Im Kempinski Bristol am Kurfürstendamm stiegen im alten West-Berlin die Stars, Konzernchefs und wohlhabende Touristen ab. Das Flair von einst ist noch heute zu spüren.
07:50 Es ist ein kühler Morgen. Zwei Geschäftsreisende aus London gehören zu den wenigen Gästen, die schon auf der Terrasse des Restaurant „Reinhard’s“ sitzen. Der Kellner René Krak lacht mit ihnen. Dann geht er zum Buffet und stellt einen Brotkorb mit den gewünschten Toasts, Vollkornbrötchen und Plunderstücken zusammen. „Die meisten Gäste befinden sich morgens stimmungsmäßig in einem tiefen Loch“, sagt René Krak. „Unsere Aufgabe ist es, sie aus diesem Loch nach oben zu befördern.“
09:00 Die Marketingexpertin Rabia Valtin empfängt eine Geschäftsfrau aus Aachen, die im September eine Konferenz in Berlin plant. Rabia Valtin zeigt der Besucherin bei einem Rundgang Zimmer und Suiten, dann führt sie sie durch die Restaurants und Veranstaltungsräume. Valtin erzählt von der Geschichte des Hauses, das 1926 am Kurfürstendamm 27 als Weinhandlung mit großem Restaurant eröffnete und am Ende des Krieges abbrannte. 1952 entstand an der Stelle das Luxushotel „Kempinski Bristol“. Rund 30 Jahre lang war es das einzige Luxushotel Berlins. Nach der Wende kamen Fünf-Sterne-Hotels in Mitte und am Potsdamer Platz dazu. Am Kudamm aber kann man nach wie vor nirgendwo nobler absteigen, als in dem sanft geschwungenen 50er-Jahre-Bau an der Ecke zur Fasanenstraße.
10:35 Frank Hokamp, Chefkoch des „Kempinski Grills“, arbeitet an einer Spezialität des Hauses. Er wuchtet einen Lachs auf seine Arbeitsfläche und beginnt, ihn zu filetieren. „Daraus machen wir unsere beliebten Lachs-Riesengarnelen-Bratwürste“, sagt er. „Dazu gibt es Curry-Ananas-Sauce.“
11:15 Am Empfang checkt eine Reisegruppe aus. Vermutlich hat keiner der Gäste eine Kleinigkeit bemerkt, die Robert Mehners geübtem Auge sofort aufgefallen ist: Eine Lampe an der Decke brennt nicht mehr. Der Haustechniker holt seine Leiter, klappt sie auf und tauscht in Sekundenschnelle das LED-Lämpchen aus.
12:45 Streng genommen gehört das Restaurant Reinhard’s nicht zur Hotelgruppe Kempinski. Aber für die Gäste des Hotels, die dort frühstücken und für die Berliner ist es eben doch Teil des „Kempi“. Bei schönem Wetter wie heute sind alle Tische auf dem Bürgersteig besetzt. „Die Terrasse ist 70 Meter lang, wenn Hochbetrieb herrscht, laufe ich während einer Schicht 40 bis 50 Kilometer. Das habe ich einmal nachgerechnet“, erzählt Kellner René Krak. An einen der Tische direkt am Kudamm nimmt Prominenten-Friseur Udo Walz mit zwei Freunden Platz. Walz ist Stammgast. In der nächsten Stunde wird er zu Mittag essen, etlichen Passanten die Hände schütteln und einige Autogramme verteilen.
13:40 Das Hotel hat 301 Zimmer, 55 davon sind Suiten. In der „Berlin Suite“ hängen goldgerahmte Schwarz-Weiß-Fotos von prominenten Gästen, die einst im Kempinski wohnten: Grete Weiser, Jean Gabin, Charlie Rivel und Rainer Werner Fassbinder. Die Zimmer und das Bad sehen frisch und sauber aus, trotzdem wird Angelika Polke, die seit Mitte der 90er-Jahre als Zimmermädchen in dem Hotel arbeitet, anderthalb Stunden für die Reinigung brauchen und Glasflächen und Bilderrahmen auf Hochglanz polieren. „Wir sehen viel, wir hören viel – und wir reden wenig“, sagt sie über ihren Job.
14:55 Tim Froese ist Auszubildender im ersten Lehrjahr. Er absolviert gerade den klassischen Einstieg ins Hotelfach und arbeitet einige Monate als Page. Er kümmert sich um das Gepäck der Gäste, erklärt ihnen das Haus, parkt ihre Autos ein und beantwortet die wichtigsten Fragen. „Die meisten Gäste wollen wissen, wo sie gut essen können und wo das KaDeWe ist“, sagt er.
15:30 Auf der Terrasse herrscht frühsommerliche Hochstimmung: Eisbecher, Erdbeertorte, kühle Sommerdrinks und Berliner Weiße werden serviert. Hoteldirektorin Birgitt Ullerich und die Marketingexpertin Rabia Valtin befinden sich jedoch gedanklich bereits in der Weihnachtszeit. Die Prospekte für die Feiertage müssen demnächst in Druck gehen, jetzt sprechen die beiden Frauen die Texte durch. Birgitt Ullerich hat bereits in den 90er-Jahren im Management des Hotels gearbeitet, dann war sie zehn Jahre lang in anderen Kempinski-Häusern tätig Seit knapp fünf Jahren ist sie Direktorin im „Kempinski Bristol“.
17:10 „Der Handyempfang hier unten ist ganz miserabel“, stellt Harry Mai zufrieden fest. „Die Gäste sollen bei uns ja auch nicht groß herumtelefonieren. Handys verbieten können wir aber auch nicht: Dann würden sie nervös werden.“ Der Mitarbeiter im Spa-Bereich ist nach eigener Auskunft „Bademeister, Therapeut und Barmixer“ in Personalunion. Er kann wunderbare Geschichten erzählen: Playboys, Rockstars, Politiker und Schauspieler-Legenden sind in dicken weißen Handtüchern gehüllt an ihm vorbeigehuscht. „Einmal war eine ganz berühmte Popsängerin hier, die auf der Bühne und in Videos immer ultra-kurze Kleidchen und Dekolleté bis zum Bauchnabel trägt“, erzählt er. „Hier dagegen war sie entsetzt, dass auch Männer in die Sauna gehen. Schließlich hat sie sich wie eine Geisha in Handtücher gehüllt und ist in die leere Sauna gegangen. Nach zwei Minuten kam sie wieder heraus. Hat wohl keinen Spaß gemacht, dick vermummt in der Sauna zu sitzen.“
18:20 Dirk Hoffmann, Restaurantleiter des „Kempinski Grills“, begrüßt die ersten Abendgäste. Ein Ehepaar aus Charlottenburg, das regelmäßig kommt, hat einen Tisch für zwölf Personen reserviert. Der Geburtstag der Frau soll gefeiert werden. Nachdem die Gäste ihr erstes Glas Champagner geleert haben, nimmt Hoffmann die Bestellungen auf. „Früher war Berlin eine Gourmet-Wüste. Es gab außer unserem nur wenige Restaurants, in denen man gut essen konnte“, sagt Hoffmann, der seit 24 Jahren im Haus arbeitet. „Und unsere Bar war die gefährlichste der Stadt. Wenn Harald Juhnke da war, kam kaum einer vor vier Uhr früh raus.“
19:30 Die Bar macht bei ihrer Öffnung einen völlig harmlosen Eindruck. Ein halbes Dutzend Gäste nimmt Platz. Barchef Andreas Jochem mixt zwei seiner Eigenkreationen namens „Sunflower Crushed“ aus Gin, Holunderblütensirup, Kumquats und Rohrzucker. Draußen auf der Terrasse ist es kühl geworden. Einige Gäste wechseln von den Korbstühlen auf der Terrasse direkt in die Bar. Noch weiß keiner, ob es später noch „gefährlich“ wird.