Karlshorst stand nie im Verdacht, sich zum Berliner Szeneviertel zu entwickeln. Im Kulturhaus versorgt eine Handvoll Mitarbeiter den Kiez dennoch unbeirrt mit Film, Malerei und Musik.
7.45 Uhr: Katrin Krüger schließt früh auf. Die Fenster sind dunkel, die große Bühne leer, sogar auf der Baustelle vor der Tür, die den halben Bahnhof umschließt, ist es um diese Uhrzeit noch still. Von dem täglichen Trubel des Kulturhauses ist noch nichts zu spüren. „Die erste Hälfte des Tages besteht auch hier aus ganz normaler Büroarbeit“, sagt die Leiterin des Hauses. Sie mag das. „Mein Talent war schon immer das Organisatorische.“ Trotzdem liebt sie die Arbeit rund um die Kultur. „Das verändert den persönlichen Blickwinkel sehr, wenn man permanent von Musik und Kunst umgeben ist.“
10.10 Uhr: Knut Becker ist die kreative Seele des Projekts. Der Dramaturg ist ein Mann der großen Kunst, ein Kulturverliebter, jemand, der ins Schwärmen gerät, zählt er die Bandbreite dessen auf, was das Kulturhaus zu bieten hat. „Jazzkonzerte, die Galerie, die Bühnen: Wir können alles machen, alles! Die Möglichkeiten sind eigentlich unerhört.“ Becker ist ein charismatischer Mann, einer, dem man abnimmt, dass Gäste aus großer Entfernung kommen, um die Inszenierungen im Haus zu sehen, aber auch einer, dem man glaubt, dass viele sagen: „Der ist verrückt, der Becker.“ Seine Idee geht aber weiter als der Plan, in Karlshorst einen bloßen Schrein großer Kultur zu errichten. „Das alles hat einiges gekostet“, sagt er. „Mit dem, was wir hier tun würdigen wir auch den Bezirk, der uns diese Chance gegeben hat.“
11.45 Uhr: Gisela Kurkhaus-Müller ist Künstlerin. Und Karlshorsterin. Doch vor allem – das ist heute wichtig – wird sie in zwei Monaten ihre Werke im Kulturhaus ausstellen: Große, bunte Grafiken, helle Bilder und Skizzen. „Großartig“, sagt sie, als sie sich die Galerie anschaut. Mit Knut Becker läuft sie den Raum ab und überlegt schon einmal, wie sie ihre Bilder hängen könnte.
13.55 Uhr: Die Bezirksstadträtin schaut auch gelegentlich vorbei. Kerstin Beurich (SPD), verantwortlich für Bildung, Kultur, Soziales und Sport, ist stolz auf das Kulturhaus. Während sie eiligen Schrittes durch das Gebäude geht, weist sie auf ihre Lieblingsorte im Haus hin. Das Erkerzimmer, in dem häufig Kammermusik gespielt wird, die große Bühne, vor allem aber die schreiend bunten Bilder, die meterhoch die Außenwände des Kulturhauses zieren. Der Künstler, Christian Awe, ist – was sonst? – ebenfalls Karlshorster. Die Politikerin legt den Kopf in den Nacken und betrachtet die Fassade des Hauses. Fährt man mit der Bahn in den Bahnhof Karlshorst ein, sind sie das erste, was man sieht. „Eine bessere Werbung kann man sich wirklich kaum vorstellen“, sagt Kerstin Beurich.
15.05 Uhr: „Die Schüler spielen nicht nur, sie schreiben ihr eigenes Theaterstück“. Das ist die Idee von Ana Svenja Stamm, die sich im Kulturhaus jeden Donnerstag mit Schülern der Alexander-Puschkin-Schule trifft. Obwohl eigentlich seit einer halben Stunde Schluss sein sollte, stehen immer noch einige Schüler um die Theaterpädagogin herum. Ihre Idee kommt gut an. Von ihrem letzten Stück produzierten die Schüler sogar eine DVD. Die nächste Aufführung findet am 25. Juli statt. Wo, ist auch schon klar: auf der großen Bühne im Kulturhaus Karlshorst.
16.15 Uhr: Für Lars Währs Job muss man schwindelfrei sein. „Das sind doch schon so fünf, vielleicht sechs Meter“, ruft er nach unten, während er das Gerüst vor der Bühne emporklettert. So ist das, wenn der Arbeitsraum ein Saal ist und man als Techniker alleinverantwortlich für Licht, Ton und Bestuhlung ist. Bevor der gebürtige Stralsunder nach Karlshorst kam, war er Buchdrucker. Traurig über den Jobwechsel ist er nicht. „Im Gegenteil“, sagt er mit Überzeugung. „Ich fühle mich eigentlich privilegiert. Andere zahlen, um das sehen zu können, was ich hier während der Arbeit genießen darf.“
17 Uhr: Fiona Loeffler macht mehr als nur für das leibliche Wohl der Besucher zu sorgen. Die Schülerin steht seit einem Jahr abends hinter der Bar des Kulturhauses. Doch auch abseits des Tresens mangelt es ihr nicht an Ideen, was im Haus geschehen könnte. Eine befreundete Band trat bereits vor einigen Wochen hier auf, sie selbst spielt mit dem Gedanken einen Poetry Slam in den Räumen zu organisieren. „Karlshorst ist ein Dorf, jeder macht mit“, sagt sie. Das macht das Kulturhaus dann wohl zu einer Art modernem Dorfzentrum.
17.20 Uhr: Die Schüler der Schostakowitsch Musikschule zeigen ihr Können. Nach und nach füllen sich die 200 Stühle vor der Bühne des Kulturhauses. Zeit nervös zu werden, könnte man meinen. Bei Maximilian Gaube (Akkordeon), Rebecca Meisel (Geige), Anika Lemm (Cello) und Maja Maria Brocker (Geige) ist davon allerdings nichts zu sehen. Die vier Schüler proben ein letztes Mal, dann geht es unter donnerndem Applaus auf die Bühne.
18 Uhr: Catrin Gocksch ist in Kulturdingen bewandert. Sie ist studierte Sängerin, promovierte über Pop- und Rockmusik und leitete jahrelang eine Musikschule. Da hört sich ihre momentane Stellung als Fachbereichsleiterin Kunst und Kultur im Bezirk Lichtenberg fast schon staubig bürokratisch an. Doch der Eindruck verfliegt, sieht man sie im Kulturhaus Pläne erarbeiten, mit den Mitarbeitern sprechen und Programme entwiclenn. Dass das Projekt eine „Herzensangelegenheit von ihr ist, ist auf den ersten Blick klar. „Nach gerade einmal eineinhalb Jahren steckt das Kulturhaus fast noch in den Kinderschuhen“, sagt die Fachbereichsleiterin: „Es gibt also noch viel zu tun!“
19.15 Uhr: Der „verflimmerte Donnerstag“ widmet sich – der Name verrät es bereits – im Kulturhaus stets dem dem Film. Irina Vogt heißt die Filmwissenschaftlerin aus Pankow, die einmal in der Woche herausragende Filme kommentiert und vorstellt. „Viele Gäste sind längst alte Bekannte“, sagt sie. „Trotzdem sieht man Woche für Woche immer neue Gesichter“. Sie schüttelt ein paar Hände, reguliert das Licht und beginnt mit der Show. An diesem Tag widmet sie sich dem britischen Kino. Mark Hermans „Brassed Off“ wird gezeigt, ein Film über eine Brass Band zu Zeiten der großen Bergarbeiterstreiks in England. „Wer vorher keine Blasmusik mochte“, sagt Irina Vogt, „wird sie danach auf jeden Fall lieben“. Dann macht sie das Licht aus.