Digitaler Wandel

Wie Freiberufler und Firmen von Coworking Spaces profitieren

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Dominik Bath
Ein "Coworking Space - Cafe" in Berlin

Ein "Coworking Space - Cafe" in Berlin

Foto: dpa Picture-Alliance / Robert Schlesinger / picture alliance / Robert Schles

Coworking boomt in Berlin. Ketten haben das Geschäft mit den geteilten Arbeitsflächen entdeckt. Aber auch kleine Büros profitieren.

Berlin.  Katja Thiede geht es um Kreativität, Spaß und Platz für neue Gedanken. Mit einer vollen Windel in ihren Händen steht die junge Frau in dem Coworking-Space Juggle Hub im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg. Freiberufler, Start-ups und Mitarbeiter etablierter Unternehmen teilen sich die Arbeitsplätze in dem rund 300 Quadratmeter großen Gemeinschaftsbüro. Die Mitglieder, so nennt Thiede ihre Kunden, zahlen dafür einen monatlichen Beitrag. Aber auch die Windel ist gewissermaßen Teil des Geschäftsmodells: Denn in dem Coworking-Space können Unternehmer nicht nur einen Arbeitsplatz mieten, sondern auch eine Betreuung für ihr Kind dazu buchen.

Masato Kaneda, ein japanischer Architekt, ist Mitglied im Juggle Hub. Nur wenige Schritte von seinem Arbeitsplatz entfernt, in einem Nebenzimmer, spielt Tochter Halu. Das Mädchen ist ein Jahr alt. Wenn die Eltern arbeiten, hat eine Betreuerin den Nachwuchs im Blick. Seit Sommer 2016 gibt es den kinderfreundlichen Coworking-Space. Katja Thiede und ihre Mitgründerin Silvia Steude hatten die Marktlücke entdeckt. Mittlerweile boomt das Geschäft. Jetzt suchen die Gründerinnen nach neuen Räumen.

Konzerne suchen Inspiration für neue Geschäftsmodelle

Das rasante Wachstum ist kein Zufall. Der digitale Wandel hat die Arbeitswelt verändert. Neue Berufsfelder sind entstanden. Die globalisierte Wirtschaft verlangt von den Beschäftigten mehr Flexibilität. Eine Antwort darauf ist der Coworking-Space, in dem Freiberufler und Start-ups aus unterschiedlichen Branchen zusammen arbeiten und sich vernetzen. Das Modell ist auch für eta­blierte Unternehmen und sogar für große Konzerne interessant. In den Coworking-Spaces suchen die klassischen Firmen nach Inspirationen für neue Geschäftsmodelle. Die Branche, die mit geteilten Arbeitsflächen Geld verdient, hat das neue Bedürfnis längst erkannt. Auch in dem Gemeinschaftsbüro von Katja Thiede mieten sich immer öfter Mitarbeiter etablierter Unternehmen ein.

Im Wettbewerb um die sogenannten Corporate-Teams haben die klassischen Spaces aber mächtige Konkurrenten. Der Branchenriese kommt aus New York: WeWork, bewertet mit rund 20 Milliarden US-Dollar, betreibt in Berlin derzeit vier Coworking-Standorte, zwei weitere sollen in diesem Jahr dazukommen. Auf Anfrage der Berliner Morgenpost teilt das Unternehmen mit, in den nächsten drei Jahren in der deutschen Hauptstadt weiter stark wachsen zu wollen. Vor allem die Firmenkunden treiben diese Entwicklung an: Mehr als ein Drittel der WeWork-Mitglieder arbeiten in Unternehmen, die 15 oder mehr Schreibtische in den Coworking-Spaces gebucht haben.

Seit 2014 habe sich die Zahl verdreifacht, so WeWork. „Viele Firmen hoffen, von der lebendigen Szene in den Coworking-Spaces profitieren zu können“, erklärt Timo Braun, Juniorprofessor an der Freien Universität Berlin, der seit mehreren Jahren die Berliner Start-up Szene erforscht. In den Coworking-Spaces finden die etablierten Unternehmen nicht nur die Arbeitskräfte, sondern auch die Geschäftsmodelle von morgen, so der Wissenschaftler. Im Gegenzug erhielten viele Start-ups Zugang zu Kunden und finanzieller Starthilfe.

Wissenschaftler sieht Coworking von der Stange

Den Austausch zwischen der alten und neue Wirtschaft hat Udo Schloemer in der Factory Berlin professionalisiert. Schloemer, der zuletzt am Görlitzer Park ein riesiges Clubhaus mit 10.000 Arbeitsplätzen eröffnete, geht es um das Schaffen neuer Netzwerke und das Teilen von Wissen zwischen den Factory-Mitgliedern. „Es geht nicht um Coworking, sondern vielmehr um Co-Learning und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle“, erklärt er. Um den Austausch zu fördern, gibt es in der Factory deswegen keine festen Arbeitsplätze mehr. Mitglieder müssen sich einbringen, organisieren Veranstaltungen oder Schulungen. „Wir entwickeln die Zukunft Deutschlands“, glaubt Schloemer.

Der Zugang ist unterschiedlich teuer: Einzelpersonen zahlen pro Monat 50 Euro Mitgliedsbeitrag, Unternehmen kostet der Factory-Member-Status zwischen 25.000 und 100.000 Euro im Jahr. Für die Konzerne lägen die Vorteile auf der Hand, so Schloemer: Die Firmen sparen sich teure Investitionen in einen eigenen Inkubator. In der Factory sei zudem die branchenübergreifende Vernetzung gesichert, die den Unternehmen so wichtig sei.

Wissenschaftler Timo Braun hat das Vorgehen der neuen Player am Coworking-Markt beobachtet und sagt: „Die Ketten bieten Coworking von der Stange“. Früher seien die geteilten Arbeitsflächen ein charmantes Konzept gewesen, geprägt durch individuelle Anbieter. Heute nutzten WeWork und Co. ihre Größe aus, hätten so Vorteile, was den Einkauf von Waren und Infrastruktur angeht. Die alte Coworking-Space-Szene in Berlin sieht die neue Konkurrenz kritisch. Tobias Kremkau, Coworking-Manager im St. Oberholz, sagt etwa: „Die neuen Ketten gaukeln die Authentizität nur vor.“ Coworking werde zu einem Betriebssystem für Häuser. WeWork widerspricht: „Es geht um menschliche Beziehungen und Gemeinschaft, nicht um Immobilien“, so das Unternehmen auf Anfrage.

Die Nachfrage nach Coworking-Arbeitsplätzen bei den etablierten Firmen dürfte weiter anhalten. Viele Unternehmen steckten noch mitten im digitalen Wandel, sagt Daniel Wagenführer. Der Manager arbeitet bei Triumph-Adler (TA). Früher war Kopieren, Scannen, Faxen und Drucken das Geschäft des Mittelständlers aus Nürnberg. Doch damit lässt sich bald kein Geld mehr verdienen. Jetzt kümmert sich TA um digitales Informationsmanagement und Lösungen zum Datenschutz. Helfen sollen dabei auch unkonventionelle Ideen junger Start-ups. Wagenführer setzt dabei auf die deutsche Hauptstadt: Seit Februar 2016 hat TA einen Raum im St. Oberholz am Rosenthaler Platz gemietet.

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