Ohne Moskau wäre es nicht soweit gekommen. Und ohne Weihnachten. Claudia Helming sucht nach ausgefallenen, handgemachten Weihnachtsgeschenken für die Verwandten und Bekannten in Deutschland, findet in Moskau, wo sie für ein IT-Unternehmen arbeitet, aber nur Industrie-Massenware. Also selbst basteln? Keine optimale Lösung. Daraus entwickelt sich dann die Idee für ein Angebot im Internet, auf dem sich vor allem Handgemachtes finden und kaufen lässt. Im Dezember 2006 gründet Helming mit Michael Pütz Dawanda, der Name ist afrikanischen Ursprungs und bedeutet „die Einzigartige“. Der Wagnisfinanzierer Holtzbrinck Ventures gibt 150.000 Euro, damit die Gründer ausprobieren können, ob die Idee funktioniert.
Sie funktioniert seit acht Jahren, das Unternehmen wächst. Inzwischen haben sich verschiedene Risikokapitalgeber beteiligt, die beiden Gründer halten noch je 13 Prozent am Unternehmen. Die Gründer-Idee ist überraschend einfach: Dawanda ist im Prinzip ein klassischer Marktplatz, auf dem Kreative ihre handgemachten Kleider, Möbel, Uhren verkaufen können, nur dass sich das Ganze nicht klassisch auf einem Platz in Schöneberg abspielt, sondern auf der Dawanda-Seite im Internet.
Einen Stand eröffnen kann jeder, für Präsentation, Fotos, Begleittexte, Geschäftsbedingungen, Bezahlung und Versand ist jeder Anbieter selbst zuständig – er trägt also auch das Risiko. Dawanda verlangt Einstellgebühren von 10 bis 30 Cent je Produkt für 120 Tage sowie eine Provision von fünf Prozent, wenn ein Händler ein Produkt verkauft. Außerdem können Anbieter Werbeflächen auf der Dawanda-Startseite buchen.
4,4 Millionen Produkte
So nimmt das Unternehmen selbst in diesem Jahr wahrscheinlich rund 13 Millionen Euro ein. Allerdings bewegt das Geschäftsmodell viel mehr: Die 280.000 Einzelpersonen und Kleinfirmen, die einen Laden bei Dawanda angemeldet haben, setzen in diesem Jahr rund 140 Millionen Euro um. Im Angebot sind rund 4,4 Millionen Produkte. Dawanda liefert die Marktplatz-Software, macht sich selbst bekannter und lockt so mehr Interessenten auf die Seite und gibt inzwischen sogar ein Magazin heraus, dessen Weihnachtsausgabe erstmals auch am Kiosk verkauft wird.
Vor acht Jahren gehörten Helming und Pütz noch zu den Pionieren. Berlin war noch nicht die Gründerhauptstadt, von der heute Politiker und Wirtschaftsvertreter gerne schwärmen. Helming erinnert sich, dass sie und Mitgründer Pütz noch viel erklären mussten. Es habe nur eine kleine Internetszene gegeben, sagt sie. Alles sei sehr deutsch gewesen.
Inzwischen wird die Stadt in einem Atemzug mit London und dem kalifornischen Silicon Valley genannt. Berlin sei sehr international geworden, findet Helming. „Das tut uns gut, vor allem wenn wir Mitarbeiter rekrutieren wollen.“ Auch dass Dawanda in Berlin gegründet wurde, hat mit der Anziehungskraft der Stadt zu tun. Helming wollte unbedingt hierher. Außerdem, sagt sie, hätten bereits 2006 die meisten Kreativen in Berlin gearbeitet. Beste Voraussetzungen, um den Marktplatz zu starten. „Außerdem passt der Berliner Lifestyle zu uns.“
Größter Konkurrent ist Etsy aus New York, 2005 gegründet, 600 Angestellte und einem Warenumsatz von rund 1,35 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro). Dann gibt es noch kleinere lokale Konkurrenten. Dawanda und die angemeldeten Kreativen müssen sich auch auch gegen alle Onlineplattformen durchsetzen, die Accessoires verkaufen – auch industriell gefertigte.
Es gebe einige Menschen, die nur Handgemachtes kauften, weil sie es besser fänden als die Industrieware, sagt die Dawanda-Geschäftsführerin. Für die Mehrheit gelte aber: Überzeugt das Produkt? Ist der handgefertigte Tisch aus Bauholz besser als das Produkt des Möbelhauses zum Selbstmontieren? Wirken die auf Bestellung gefertigten Manschettenknöpfe edel, ist die Idee, Sitzkissen wie Zitronenscheiben aussehen zu lassen, cool?
Englischsprachiges Angebot
Derzeit ist Dawanda neben Deutschland in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und Polen aktiv. Und es gibt ein englischsprachiges Angebot. Es gebe durchaus Länder, in die sie sich eine Expansion vorstellen könne, sagt Helming. Das sei aber nicht im nächsten Jahr geplant, zunächst soll das Geschäft dort ausgebaut werden, wo das Dawanda-Angebot noch nicht so groß ist wie in Deutschland.
Auch im Heimatmarkt wird es Neues geben. Derzeit sei Dawanda ein reiner Marktplatz, aber Handarbeiten umfasse deutlich mehr, sagt Helming. „Wir wollen eine Anlaufstelle werden für alles, was mit dem Thema zu tun hat.“ Sie kann sich eine Gemeinde von Handarbeitsfans vorstellen, die sich über Dawanda austauscht, schließlich gibt es schon jetzt 4,3 Millionen angemeldete Nutzer. Auch Anleitungen seien ein Thema für die Seite oder Material.
Helming trauert noch ein bisschen der Zeit nach, als Dawanda nicht 160 Mitarbeiter aus 16 Nationen beschäftigte. „Mit der Größe wächst auch die Verantwortung. Als wir kleiner waren, waren wir noch freier“, sagt sie. Aber aussteigen und noch mal eine neue Firma gründen? „Ich kann mir kein schöneres Unternehmen vorstellen als Dawanda. Wir sind wirtschaftlich erfolgreich und verkörpern auch Werte, das Handwerkliche und bringen es voran.“