Start-ups

Gründermetropole Berlin - Tech-City statt Hipsterhausen

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Jürgen Stüber

Foto: Martin Scriba / Project A

Berlin schärft sein Profil als Gründermetropole. Mehr Risikokapital fließt in die Stadt. Und die Zahl der Millionen-Exits steigt. E-Commerce- und Hightech-Unternehmen gewinnen an Bedeutung.

Der Verkauf des Berliner Online-Reifenhändlers Tirendo für 50 Millionen Euro ist ein weiterer Beleg für das Wachstum der Zukunftsbranchen in Berlin. Zum zweiten Mal in diesem Jahr haben junge Berliner Internet-Start-ups für einen zweistelligen Millionenbetrag den Besitzer gewechselt.

Berlin wächst zur deutschen Gründermetropole heran, wie Branchendaten belegen. Und Berlin gewinnt international an Bedeutung. Das zeigt der wachsende Kapitalstrom.

Die als Hipsterszene geschmähte Gründerkultur hat ihr Profil geschärft und sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor profiliert. Dabei gewinnen Start-ups an Bedeutung, die etwas von E-Commerce oder Hightech verstehen.

Der führende europäische Online-Reifenhändler Delticom AG hatte am Montag die Übernahme seines Mitbewerbers Tirendo aus dem Portfolio des Berliner Start-up-Brutkastens Project A Ventures bekannt gegeben (Link). Tirendo wurde im März 2012 gegründet und ist ein Onlineshop für Autoreifen und weiteres Autozubehör. Das Unternehmen mit seinem Markenbotschafter Sebastian Vettel ist in acht europäischen Märkten präsent und verzeichnete bereits in seinem zweiten Geschäftsjahr einen zweistelligen Millionenumsatz.

Bereits im April hatte der Elektronikkonzern Panasonic den Berliner Internet-Musikdienst Aupeo für einen zweistelligen Millionenbetrag übernommen (mehr hier). Aupeo hatte zusammen mit dem Fraunhofer-Institut ein Programm entwickelt, das dem Nutzer Musik nach seinen persönlichen Vorlieben im Internet sucht und abspielt. Dabei hatte sich Aupeo auf Lösungen für Autoradios spezialisiert.

Immer mehr Risikokapital in Berlin

Mit Saperion wechselte ein drittes Technologieuntrenehmen – wenn auch kein Start-up, sondern eine Internet-Firma mit jahrzehntelanger Erfahrung – in diesem Jahr den Besitzer. Der Druckerhersteller Lexmark kaufte den Spezialisten für Unternehmenssoftware im August für mehr als 50 Millionen Euro (mehr hier).

Nicht nur Gewinn bringende Unternehmensverkäufe werden häufiger, auch das Investitionsvolumen steigt. Kapital findet wieder seinen Weg nach Berlin und bildet den Nährboden für junge Unternehmen: 69 Millionen Euro flossen im ersten Halbjahr in ITK-Unternehmen aus der Bundeshauptstadt. Auf dem zweiten Platz liegt Bayern mit 36 Millionen Euro – weit vor Baden-Württemberg auf Platz drei mit fünf Millionen Euro. Diese Zahlen haben der Branchenverband Bitkom und der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften jetzt veröffentlicht (Link).

Investition in Hightech-Unternehmen

Auch deutschlandweit wurde der Investitionsrückgang des vergangenen Jahres gestoppt. Im ersten Halbjahr 2013 flossen 138 Millionen Euro Risikokapital an 157 deutsche IT- und Internet-Unternehmen – 20 Prozent mehr als im Halbjahr zuvor.

Ein treffendes Beispiel für das neue Gesicht der Gründermetropole ist die am Montag bekannt gegebene Investition des Risikokapitalgebers Partech Ventures in den Online-Marketing-Spezialisten YD. Er hat einen Algorithmus für Echtzeit-Marketing im Internet entwickelt. Das Hightech-Unternehmen wuchs mit seiner Idee seit der Gründung im Jahr 2008 um 900 Prozent und – ein weiterer Trend – verlegte Teile seines Unternehmens aus den Niederlanden nach Berlin (mehr hier).

Zahl der Unternehmensgründungen steigt

Einen ähnlichen Schritt hatte unlängst das in Kalifornien gegründete Kundendienstportal Zendesk vollzogen (mehr hier). Das Unternehmen will von Berlin aus im europäischen Markt wachsen.

Die junge Branche der Internetunternehmen wirkt insgesamt konsolidiert. Unternehmensgründungen bewegen sich auf einem anhaltend hohen Niveau, wie der Konjunkturbericht des Senats für das erste Halbjahr zeigt (PDF hier). Insgesamt wurden – bei einem positiven Saldo – fast 21.000 Gewerbeanmeldungen registriert, die meisten davon in Dienstleistungsbereichen. Bei jeder zehnten Gründung handelte es sich um eine technische, wissenschaftliche oder freiberufliche Dienstleistung.

Digital-Branchen werden Wirtschaftsfaktor

Die digitale Wirtschaft in Berlin ist ein relevanter Wirtschaftsfaktor geworden – mit einer Bruttowertschöpfung von 3,9 Milliarden Euro jährlich und einem Anteil von 4,2 Prozent an der gesamten Berliner Wirtschaftsleistung – wobei die amtliche Statistik die Unterscheidung schuldig bleibt, wie sich diese Werte zwischen neuen und etablierten Unternehmen der Branche aufteilt. Mehr als 62.000 Menschen finden hier Arbeit.