Start-ups Berlin

Merkel fordert Gründerboom in Deutschland

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Florian Kain

Foto: Hannibal Hanschke / dpa

Die Bundeskanzlerin trifft sich mit den wichtigsten Berliner Start-ups. Berlin schreibt sie für die Start-up-Szene eine Hauptrolle zu. Aber: Deutschland müsse auch noch besser werden.

Während sie in der Unionsfraktion noch rätseln, mit welchen positiv besetzten Themen fernab der Euro-Rettungsmanöver die CDU/CSU und ihre Kanzlerin im Herbst eigentlich ihren Bundestagswahlkampf bestreiten soll, scheint Angela Merkel längst fündig geworden zu sein. Entschlossenen Schrittes und mit ihrem Start-up-affinen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) im Schlepptau enterte die Kanzlerin am frühen Donnerstagabend das prallvolle Palais der Kulturbrauerei an der Schönhauser Allee.

Dort hatten sich 170 Geschäftsführer, Investoren und Strategen der wichtigsten Berliner Start-ups versammelt, um mit der Regierungschefin auf Tuchfühlung zu gehen – beziehungsweise umgekehrt. Denn tatsächlich war das Stelldichein unter dem Motto „Internet & Start-up in Deutschland“ sogar auf ausdrücklichen Wunsch der Kanzlerin organisiert worden. Die Idee kam Angela Merkel bei einem Gipfeltreffen mit Deutschlands IT-Elite, das im Juni vergangenen Jahres im Kanzleramt über die Bühne gegangen war. Damals war auch Lars Hinrichs, Gründer der Internet-Plattform Xing, mit von der Partie. Dieses Treffen sollte Folgen haben: „Die Kanzlerin hat uns gebeten, diesen Abend zu organisieren, und wir haben das sehr gerne für sie gemacht“, sagte Hinrichs der Berliner Morgenpost. „So bekommt Angela Merkel die Möglichkeit, das Thema Internet und Start-ups auf ihre Agenda zu nehmen.“

Die ersten Lacher beim bestens aufgelegten Publikum erhielt Merkel dann schon für die launige Begründung ihrer förmlichen Anrede „Meine Damen und Herren“. „Ich will lieber nicht gleich so weit gehen und ‚liebe Freunde‘ sagen, man muss sich ja vorsichtig annähern.“ Das passte ohnehin besser, denn tatsächlich hatten die Gäste auf den in Start-ups üblichen ungezwungenen Turnschuh- und T-Shirt-Chic weitgehend verzichtet. Man weiß halt, was sich gehört, wenn die Kanzlerin zum Kennenlernen kommt.

Merkel fordert „Willkommenskultur“ für ausländische Fachkräfte

Welche Wünsche die in Prenzlauer Berg versammelten Jungunternehmer, die gemeinsam immerhin 127.000 Beschäftigte auf die Waage brachten, denn wohl an die Regierung haben könnten, davon hatte Angela Merkel bereits am Nachmittag eine Idee bekommen. Da hatte sie – sozusagen zur Einstimmung auf den Hauptevent am Abend – erst bei den Kollegen des Forschungsnetzwerks ResearchGate in Mitte und dann noch in der Spielesoftware-Schmiede Wooga GmbH vorbeigeschaut. Beide Start-ups beschäftigen Mitarbeiter aus aller Herren Länder. Und die beklagen sich durchaus auch über die kleinen Dinge des Lebens, die im Alltag Probleme bereiten können. Zum Beispiel, wenn bei der Anmeldung im Bezirksamt niemand Englisch spricht.

Angela Merkel nahm das als Anregung auf und plädierte prompt für eine „Willkommenskultur“ für ausländische Fachkräfte, die in Deutschlands Behörden Einzug halten müsse. Sie setzte das quasi mit dem Begriff Bürokratieabbau gleich. Grundsätzlich aber sei es „beeindruckend“, wie in diesen Unternehmen Menschen aus 40 oder 50 Nationen gemeinsam arbeiteten, das sei die „gelebte Globalisierung“.

So nötigt die prosperierende Start-up-Szene in der deutschen Hauptstadt Angela Merkel zwar schon viel Respekt ab, aber sie machte keinen Hehl daraus, dass das Potenzial aus ihrer Sicht noch viel größer ist. „Deutschland muss besser werden, Europa muss besser werden“, sagte sie. Und setzte noch einen drauf: „Wir brauchen einen Gründerboom wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Das konnte man durchaus als programmatische Ankündigung verstehen, auch für den Wahlkampf. Grundsätzlich teile sie die Überzeugung: „Alles, was digital werden kann, wird auch digital.“ Die massiven Veränderungen, die das für unsere Arbeitswelt bedeute, kann die Kanzlerin, wie sie einräumte, selbst noch nicht abschätzen. „Wir reden viel von Wachstum, aber manchmal weiß ich nicht, ob es konkrete Vorstellungen gibt, wohin wir wachsen wollen.“

Hauptrolle kann und muss Berlin spielen

Die Hauptrolle könne und müsse in dieser Entwicklung aber Berlin spielen – als Stadt, in der Kreative den nötigen Raum bekommen, um sich frei zu entfalten und von der man wisse, „dass man hier gerne sein kann“. Gleichzeitig müsse sich auch die EU bemühen, eine gemeinsame Gründer-Kultur zu etablieren, um besser mit der weltweiten Konkurrenz mithalten zu können. Dazu gehörten in einem ersten Schritt vergleichbare Rahmenbedingungen für Gründungen, damit es nicht zu kompliziert wird. Eine konkrete Forderung hatte die Kanzlerin auch noch parat: Sie appellierte an die Bundesländer, den Weg dafür freizumachen, dass die Dividenden auf Streubesitz an Start-up-Firmen steuerfrei gestellt werden. Eine solche Regelung war im Vermittlungsausschuss am Widerstand des Bundesrates gescheitert. „Wir sollten an dieser Stelle wirklich ein Zeichen setzen“, sagte sie mit Hinweis darauf, dass mehr Wagniskapital für Firmenneugründungen angeworben werden müsse.