Der Empfang ist ja schon mal von ausgesuchter Berliner Höflichkeit: „Fuck Invstors!“ hat jemand mit roter Farbe auf die weiße Wand im Hof in Kreuzberg gesprüht. An diesen Graffiti samt seines Schreibfehlers müssen die 200 Mitarbeiter des Onlinehändlers FAB auf dem Weg ins Büro an der U-Bahn-Station Görlitzer Bahnhof vorbei – ebenso eben jene amerikanischen „Invstors“, die hier das derzeit am stärksten wachsende Onlinehandels-Unternehmen der Welt finanzieren.
Erst vor eineinhalb Jahren in New York gegründet, hat der Shopping Club für alles rund um erschwingliche Designstücke für jeden Tag schon elf Millionen Mitglieder. Davon 1,8 Millionen in Deutschland. Und Berlin ist die Europazentrale.
Jason Goldberg, einer der beiden Gründer, ist Hauptstadt-Fan: „Ich liebe Berlin. Es ist eine lebendige, sehr internationale Stadt mit aufregender Kultur und einem tollen Spirit. Sehr inspirierend.“ Die Stadt sei „ein bisschen wie New York“, sagt er Mann aus New York, der in Mitte inzwischen eine Wohnung besitzt. Er löste sogar das Londoner Büro auf: „Wir haben den 50 Mitarbeitern in London angeboten, nach Berlin zu gehen. Und 45 sind mitgekommen“, sagt er.
FAB hängt Facebook und Twitter beim Mitgliederzuwachs ab
Jeden Tag wechseln bei FAB die Angebote auf der Seite, die dann eine Woche lang zu haben sind, manchmal auch ein bisschen länger. Einige der Designstücke kommen direkt aus der Stadt: Etwa die bunten Butterbrotbeutel der jungen Berliner Firma „Eversnack“. Oder Tragebeutel – vielleicht zum Einkaufen? – von „Mad in Berlin“. Dazu Retro-Cocktailsessel oder Schlüsselkästen mit der Gummibärenfront. Oder Seltsamkeiten wie für ausgewachsene Kerle ein Bartpflegeset mit Kamm im geschwungenen Oberlippenbart-Design.
>>>Mehr über Gründer und Start-ups in Berlin HIER.<<<
Ein paar Millionen Menschen auf dieser Welt nämlich wollen solche Dinge einfach nur haben. Und Jason Goldberg gibt sie ihnen. Sein „Everyday Design“ wird dem Amerikaner aus den Händen gerissen, seit er mit Bradford Shellhammer in New York den Online-Shoppingclub FAB und damit eine beispiellose Wachstumsrakete gestartet hat.
FAB hängt derzeit große Marken wie Facebook oder Twitter beim Mitgliederzuwachs ab und ist die am schnellsten wachsende Online-Plattform der Welt. Allein im Januar waren eine Million Mitglieder dazu gekommen.
Kunst, Mode, Schmuck und Einrichtungsgegenstände
„Es wächst wie verrückt“, sagt Goldberg trocken, „die Leute wollen unsere Design-Produkte einfach haben.“ Der zierliche 40-Jährige wirkt noch etwas müde, als er in den kleinen Besprechungsraum in Kreuzberg kommt. „Sorry“, sagt er, er sei gerade erst aus New York eingeflogen. Auch deshalb wohl trägt einer der großen Emotionalisierer des Onlinehandels erst einmal erstaunlich emotionsarm vor, wie das entstand, was das US-Magazin Forbes schon zum „heißesten Online-Händler“ der Welt kürte: „Meine Passion ist es, einfachere Lösungen für irgend etwas zu schaffen. Und mein Mit-Gründer Bradford liebt Design, Farbe und Spaß. Diese beiden Passionen haben wir zusammen geworfen und heraus kam FAB“. So einfach war das.
Einrichtungsgegenstände, Kunst, Mode, Schmuck gibt es auf Goldbergs Seite und noch vieles mehr. „FAB“, verkündet der Chef, „ist modern, bunt, frisch, inspirierend, unkompliziert, humorvoll, etwas verrückt.“ Und manchmal hart an der Kitsch-Grenze. Oder drüber. Doch genau darauf scheint die Menschheit gewartet zu haben: Bis zur ersten Umsatzmillion in Dollar hatte es nach dem Start der Seite im Juni 2011 gerade 20 Tage gedauert.
Und seither geht es nicht langsamer voran: Im vergangenen Jahr vervierfachte das Unternehmen in den USA seinen Umsatz. „Das planen wir in diesem Jahr in Europa auch“, kündigt Goldberg an und wird langsam lebhafter: „Wir sehen tolle Chancen für uns, auf Dauer eines der zehn größten Onlineunternehmen der Welt zu sein. Ja, wir denken groß, klar“.
Noch schreibt das Unternehmen keine schwarzen Zahlen
Im vierten Quartal 2012 lag der Umsatz bei 45 Millionen Dollar, genauere Zahlen sind nicht bekannt. 70 Prozent des Umsatzes kommt noch aus dem USA, der Rest aus Europa – die Hälfte davon stammt aus Deutschland. Jung sind die Mitglieder, 60 Prozent von ihnen unter 35 – also sogenannte digital natives, die mit Computern und dem Internet groß geworden sind – gut verdienend, sieben von zehn sind Frauen. Zwei Drittel der täglichen Orders kommen von Stammkunden.
Noch schreibt das Unternehmen rote Zahlen, was im zweiten Jahr nach der Gründung kein Wunder ist. Doch verdiene er mit jedem der verkauften 15.000 Artikel schon Geld, versichert Goldberg. Nur wegen der vielen Investitionen komme unter dem Strich noch kein Gewinn heraus. Doch das soll sich bald ändern: „Unser Plan ist, dass wir 2014 weltweit profitabel sind“, verspricht Goldberg, der zuvor schon die Onlinefirmen Jobster – ein Job-Portal -– und Socialmedian gegründet hatte. Diese Social News-Plattform hat das Business-Netzwerk Xing gekauft – deshalb arbeitete Goldberg anschließend mal bei Xing in Hamburg.
FAB sieht er immer noch am Anfang: Eine Milliarde Dollar Umsatz soll das Unternehmen in drei Jahren machen. „Wir haben noch einen langen Weg zu gehen, um das nächste Ikea zu werden“, lacht Goldberg, weil er weiß, was für ein Ziel er da ausgegeben hat. „Ikea hat sein Konzept auf 40 Länder ausgerollt, jeder auf der Welt kennt Ikea. Da wollen wir auch hin.“ Es sei eine fantastische Firma, „aber Ikea ist nicht so inspirierend wie FAB“.
Preise zwischen zehn und 5000 Euro
Wer irgendwo in Deutschland FAB erwähnt, erntet eigentlich nur zwei Reaktionen: Die einen haben noch nie von der Seite gehört. Und die anderen sind begeistert – entweder wegen der Wachstumsstory oder wegen der Produkte.
Jeder zweite georderte FAB-Artikel stammt aus dem Bereich Wohnen, mit 20 Prozent folgt die Mode, dann kommen mit jeweils zehn Prozent Kunst und Schmuck. Die Trendscouts um Bradford Shellhammer – als Chief Design Officer so eine Art Geschmacks-TÜV des Unternehmens – suchen neue Produkte in aller Welt, die dann eine Woche lang angeboten werden.
Für kleine, unbekannte Designer kann es der Durchbruch sein, wenn sie auf die FAB-Seite kommen: Mit einem Schlag stehen ihre Produkte in einem der größten Schaufenster der Welt, sie werden von elf Millionen Mitgliedern und zahllosen weiteren Besuchern gesehen – und im besten Fall auch gekauft.
„Unsere Sachen sind einmalig. 90 Prozent davon bekommt man nicht bei Amazon“, darauf besteht Jason Goldberg. Die Preise liegen zwischen zehn und 5000 Euro, wobei vierstellige Forderungen die Ausnahme bilden.
„Sorry“, entschuldigt er dann abermals, als eine Mitarbeiterin ihm vom Kreuzberger Asiaten ein paar Sushi bringt. Die verdrückt er während des Gespräches.
Wer die Welt erobern will, kann halt keine Zeit verschwenden: Als Nächstes will er auch in Europa eine eigene Logistikinfrastruktur aufzubauen. „Damit haben wir in den USA die Lieferzeiten von zwei Wochen Anfang 2012 auf einen Tag am Ende des Jahres gebracht. Das wollen wir jetzt auch für Europa und Deutschland schaffen“, sagt Goldberg. Derzeit müsse der europäische Kunde noch etwa vier bis fünf Tage auf seine Bestellung warten. „Ich mag es, wenn Dinge funktionieren“, sagt der Chef.
Einkaufen mit dem Smartphone
Und das ist eigentlich erstaunlich. Denn Raketenwissenschaft ist es nicht gerade, cool gestylte Sachen ins Netz zu stellen und zu verkaufen. Wie zur Erklärung des Phänomens FAB zeigt Goldberg sein Smartphone und blättert durch seinen eigenen Shop: „Es macht Spaß und ist sehr einfach: Die Leute haben eine Minute nichts zu tun, warten auf die Bahn oder trinken einen Kaffee und sagen sich: Mal sehen, was es neues bei FAB gibt. Und wenn ihnen etwas gefällt, haben sie es in Sekundenbruchteilen bestellt. Die Leute lieben das“. Er muss mit seiner Geschäftsidee ein schlummerndes amerikanisch-europäisches Kundenbedürfnis geweckt haben.
Vor allem ist FAB in der Königsdisziplin des Onlinehandels – dem mobilen Einkauf per Smartphone oder Tablet-Computer – deutlich besser aufgestellt als die meisten andere Online-Händler. In den USA kommt FAB auf einen Mobil-Umsatzanteil von 40 Prozent , in Europa auf 20 Prozent. Im Weihnachtsquartal schickten die Kunden in Amerika mehr als die Hälfte der Orders von mobilen Endgeräten – so etwas hatte es in der Welt des Internethandels zuvor noch nie bei einem großen Unternehmen gegeben. Selbst in Deutschland kam im Weihnachtsgeschäft fast jeder dritte Umsatz-Euro über iPhones oder iPads.
Ob es sich noch lohnt, einen Maler zu bestellen, der diesen „Invstor“-Graffiti im Hof über pinselt? Wahrscheinlich nicht. Denn auch FAB hat das Problem so vieler anderer Start-ups in der Hauptstadt: Der Platz wird knapp. 200 junge Frauen und Männer aus zwölf Nationen arbeiten inzwischen hier, 300 weitere sind in New York, 100 im indischen Puna beschäftigt. So hat der Firmengründer nach unserem Gespräch nur noch ein Stehtischchen neben dem Durchgang zur Küche erwischt, an dem er an seinem Laptop aufgeklappt hat. Ansonsten sind alle Plätze belegt.
Mit derlei egalitärer Start up-Romantik hat es allerdings bald ein Ende: In ein paar Wochen steht der Umzug in ein renoviertes 6000-Quadratmeter-Gebäude in den Josetti Höfe an der Spree an. Am neuen Standort nahe der Jannowitzbrücke gibt es dann vielleicht sogar ein Büro für den Chef.