Seit Monaten protestieren Eltern für den Erhalt der freien Geburtshilfe. Ab Juli steigen die hohen Versicherungsprämien für freiberufliche Hebammen weiter. Heute gehen Betroffene auf die Straße.
Sie sind Fahrrad gefahren, mit Kindern im Schlepptau und Plakaten am Lenkrad. Sie haben Petitionen erstellt und zu Hunderttausenden unterschrieben. Und sie sind immer wieder demonstrierend durch die Straßen gezogen. Heerscharen von Müttern und Vätern sind in diesen Tagen und in den vergangenen Monaten unermüdlich dabei, einen Berufsstand zu schützen, der ihnen in der Vergangenheit große Dienste erwiesen hat und der nun zu zerbrechen droht: die freiberufliche Geburtshilfe. Die Hebammen selbst haben bei Bundesministern und der Kanzlerin vorgesprochen. Und auch am heutigen Sonnabend wollen sie wieder zu Tausenden durch Berlin ziehen.
Doch die Zeit wird knapp. Denn in elf Wochen steigen die schon hohen Versicherungsprämien für freiberufliche Hebammen um 20 Prozent. In Berlin betrifft das ungefähr dreiviertel der 800 Hebammen. Diejenigen, die Geburtshilfe anbieten, zahlen dann ab Juli jährlich 5090 Euro für ihre Haftpflichtversicherung.
Schon jetzt schnüren die Prämien bei einem Stundenlohn von 8,30 Euro vielen die Luft ab. „Viele freiberufliche Hebammen müssen, nur um die Haftpflichtversicherung zahlen zu können, unglaublich viel arbeiten“, erzählt Jana Friedrich, die selbst seit 15 Jahren als Geburtshelferin in einem Krankenhaus arbeitet. Die 41-Jährige hat den Protest von Anfang an begleitet und schreibt darüber auf ihrem Hebammenblog. Die Auswirkungen fehlender Geburtshelferinnen bekommt sie direkt zu spüren. Kolleginnen geben auf, und bei ihr, die zusätzlich Vor- und Nachsorge anbietet, steht das Telefon kaum still. „Es rufen so viele Eltern bei mir an, die verzweifelt eine Schwangerschaftsbegleitung suchen und einfach keine finden“, erzählt sie.
Vor allem Beleghebammen leiden
Eine politische Lösung lässt auf sich warten. Die Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums wollte erste Ergebnisse im April vorstellen. Bislang ist nichts geschehen, Berichte über die Summe von 6,5 Millionen Euro, mit denen die Krankenkassen die Erhöhung der Haftpflichtprämie ausgleichen könnten, stellten sich als falsch heraus, die gebotene Summe als wesentlich niedriger. Deswegen werden auch an diesem Sonnabend Mütter, Väter und Hebammen durch die Straßen Berlins ziehen, vom Bundeskanzleramt zum Gesundheitsministerium.
„Wir gehen davon aus, dass alle sehr bemüht um eine Lösung sind, aber das dauert einfach viel zu lange“, sagt Mareike Loll aus Falkensee, die mit ihren vier Kindern an der Demonstration teilnimmt. Sie engagiert sich in der Elterninitiative „Hebammenunterstützung“, die nach ihrer Gründung im Februar binnen 48 Stunden mehr als 10.000 Unterstützer hatte. Die Juristin und Mutter hat alle ihre Schwangerschaften in Begleitung einer Hebamme erlebt und möchte, dass auch in Zukunft werdende Mütter diese Unterstützung bekommen. „Es ist wie die Begleitung durch eine enge Freundin, die zusätzlich das Fachwissen hat“, sagt die 38-Jährige.
Unter den hohen Versicherungsprämien leiden vor allem die Beleghebammen, die Frauen während der Schwangerschaft begleiten und mit ihnen zur Geburt ins Krankenhaus gehen. Sie verdienen am wenigsten. In Berlin ist ihre Zahl seit 2010 deutlich zurückgegangen, in Teilen Deutschlands gibt es gar keine mehr. Hebamme Jana Friedrich hat von einem Fall gehört, in dem die gesetzlich vorgeschriebene Hinzuziehungspflicht einer Hebamme bei einer Geburt untergraben wurde – weil es keine mehr gab.
Neues Angebot liegt vor
Alexandra Gendelmann ist Beleghebamme und hat durchgehalten. „Ich mutiere zur Luxushebamme“, erzählt sie, „ich verlange von den Eltern eine Rufbereitschaftspauschale, damit ich meine Versicherung zahlen kann.“ 450 Euro zahlen die Eltern an sie, etwa 200 Euro übernimmt die Krankenkasse. „Ich arbeite zum Glück mit einem Klientel, das sich das leisten kann“, sagt die 43-Jährige. Ansonsten hätte auch sie aufgehört. Das Problem liegt nicht allein in der Erhöhung der Prämien. Denn seit Anfang des Jahres die Nürnberger Versicherung ankündigte, 2015 aus dem Versicherungskonsortium auszusteigen, sucht der Deutsche Hebammenverband händeringend einen neuen Versicherer. Denn ohne eine Haftpflicht ist es den Hebammen nicht erlaubt zu arbeiten.
Am Freitag legte der Gesamtverband der Versicherer ein Angebot vor: Mehrere Versicherungen könnten ab 2015 mit kleinen Anteilen von ein bis vier Prozent den Anteil der Nürnberger gemeinsam übernehmen. Allerdings mit erneuten Steigerungen der Prämien auf über 6000 Euro im Jahr. In den 80er-Jahren lagen die Prämien bei etwa 30 Euro. Der Grund für die Steigerungen sind nicht etwa mehr Schadensfälle, sondern zum einen die gute medizinische Versorgung bei Geburtsschäden, zum anderen sprechen die Gerichte den Eltern höhere Summen zu. Deswegen fordert eine Bundesratsinitiative mehrerer Länder, der sich auch Berlin angeschlossen hat, eine Haftungsobergrenze. Alles was darüber hinausgeht, soll aus einem steuerfinanzierten Fonds bezahlt werden.
Doch die langwierigen Verhandlungen kosten Jobs. „Geburtshäuser schließen, Hebammen hören auf“, sagt Mareike Loll, „und die kommen ja nicht einfach so wieder.“ Das Geburtshaus Pankow ist geschlossen, das in Steglitz hat sich mit dem in Schöneberg zusammengeschlossen – denn es fehlen die Hebammen.