Nach etwa der Hälfte der Sendung gab einen schönen Moment, in dem sich das ganze Elend der Debatte spiegelte. Frank Plasberg hatte gerade einen Film einspielen lassen, in dem die Herstellung der „Globuli“ erklärt wurde – jener Kügelchen, mit denen Homöopathen ihre Patienten gern versorgen. Gezeigt wurde der komplizierte Schüttel- und Verdünnungsprozess, der am Ende oft dazu führt, dass der eigentliche Wirkstoff in den winzigen Perlen chemisch gar nicht mehr nachweisbar ist.
Wie man das denn eigentlich erklären könne, fragte Plasberg nun, wie das denn sein könne: dass etwas wirke, was es gar nicht gebe. Die Frage war an Dr. Irene Schlingensiepen gerichtet, eine studierte Medizinerin, die spät zur Homöopathie fand und heute in Berlin praktiziert. Sie hatte zuvor ergreifend geschildert, wie ihr siebenjähriger Sohn, schwer asthmatisch erkrankt, mit homöopathischer Arznei geheilt worden sei. Zudem hatte sie überzeugend für eine Allianz im Sinne des Patientenwohls argumentiert, eine Allianz der klassischen Schul- und der umstrittenen Alternativmedizin.
Weizenkeime und Atome
Nun musste sie letztere erklären, und es wurde esoterisch. Die Wirkung von Homöopathika, begann sie, sei ja auch sei ja auch an Mäusen, Kaulquappen und sogar an Weizenkeimen nachgewiesen; und wir würden ja gewohnheitsmäßig immer nur im atomaren Weltbild argumentieren, nicht bedenkend, dass es „hinter Energie und Materie“ auch eine dritte Dimension gebe, die der Information – Da schnitt der Regisseur um. Ein großer Moment.
Wir sahen in das Gesicht von Dr. Christian Weymayr. Er ist Biologe und Autor des Buches „Die Homöopathie-Lüge“. Er ist einer der schärfsten Kritiker der homöopathischen Methoden und geißelt sie auch schon mal als „Religionsersatz“. Selten hat man jemanden so um Fassung ringen sehen, wie ihn in diesem kurzen Moment. Energie? Dimensionen? Weizenkeime? Für Weymeyer sind das Spiegelfechtereien, die keinen wissenschaftlichen Test bestehen. Er sagt zur Homöopathie, sie sei "nicht ganzheitlich, sondern ganz überflüssig". Ihre Behandlungserfolge? Für ihn nicht mehr als Zufälle im Normbereich der Statistik.
"Eine schizophrene Situation"
Wenige Minuten zuvor hatte er mit Blick auf die Homöopathin noch gesagt, diese sei doch eine „schizophrene Situation“: Denn einerseits hänge sie als Allgemeinmedizinerin einer Schule an, die sich von der höheren Dosierung eines Wirkstoffs auch stärkere medizinische Folgen verspreche. Andererseits argumentiere sie als Homöopathin genau umgekehrt.
Ein Dilemma. Eins von vielen, die in dieser Sendung sichtbar wurden. Ein Kamerateam der „Hart aber fair“-Redaktion besuchte die alternativmedizinische Messe „Harmonie“ in Erfurt und sprach mit Menschen, die sich von Pilzen, Flechten, Steinen oder energetisiertem Wasser eine Linderung ihrer Beschwerden versprechen. Ihr Credo allerdings, schlechten Gewissens eingestanden: Meinem Hausarzt erzähle ich lieber nichts davon.
Brauchen wir mehr Magie?
Offenbar suchten sie etwas anderes, was sie beim Hausarzt nicht immer bekommen können. Vielleicht etwas, was der bekannte Moderator und Komiker Eckart von Hirschhausen als „mehr Magie in der Medizin“ beschrieb. Er erinnerte an die Mama, die einem Kind auf die Wunde pustet und ihm damit tatsächlich hilft. „Das Aua fliegt davon“, habe seine eigene Mutter früher immer gesagt. Natürlich, sagte von Hirschhausen, wisse er heute längst, dass ein Aua nicht fliegen könne.
Aber das war auch gar nicht sein Punkt: Ihm ging es um die urmenschliche Sehnsucht nach symbolischen Handlungen, nach Ritualen und nach Zuwendung. Und die wachse nun einmal mit dem Unbehagen an der Ökonomisierung der Schulmedizin. Nur noch acht Minuten nehme sich der durchschnittliche Arzt für seinen Patienten Zeit, hatte Plasberg vorher informiert, und nach durchschnittlich elf Sekunden falle er ihm zum ersten Mal ins Wort. Wie zum Beweis hatte der Allgemeinmediziner Klaus Reinhardt, der ebenfalls in der Runde saß, Plasberg prompt unterbrochen, als der ihn dazu befragen wollte.
Dagegen vermochte von Hirschhausen die beiden Denkschulen, die sich dort gegenüber saßen, tatsächlich ein wenig näher aneinander zu rücken. Dies gelang ihm, indem er auch auf die Defizite in der schulmedizinischen Ausbildung hinwies: „Wir erfahren da sehr wenig über Psychologie“, sagte er. Hier ist offenbar ein Defizit entstanden, dem die alternative Medizin abhelfen möchte. So interessant die Frage nach den rätselhaften Kügelchen ist: Ist das nicht das viel wichtigere Thema?