Triebfahrzeugführer Andreas Kühn steht am Montagmittag auf dem Bahnhof Sonnenallee in Neukölln neben seinem S-Bahnzug der Linie S41, der Ringbahn. In der Hand hält er ein Mikrofon. „Werte Fahrgäste. Die Abfahrt des Zuges wird sich um wenige Minuten verzögern“, schallt seine Ansage über den Bahnsteig.
Zur Verteidigung der S-Bahn sei beschrieben, dass der Zug aufgrund einer Sonderfahrt, aber mit regulären Fahrgästen, drei Minuten früher im Bahnhof eingefahren war. Spätestens Anfang April 2015 aber sollen diese Ansagen in Sachen Verspätung auf ein Minimum reduziert sein. Und den Fahrzeugführer werden die Fahrgäste der Ringbahn dann auch nicht mehr auf dem Bahnhof sehen.
So sehen das zumindest die Pläne der S-Bahn Berlin vor, die das Unternehmen am Montag vorstellte. Mithilfe eines neuen technischen Systems sollen die Züge der Berliner S-Bahn künftig schneller losfahren können. Die Zugabfertigung erfolgt dann durch den Triebfahrzeugführer – mit Führerstandsmonitor (ZAT-FM). So heißt das Abfertigungssystem, von dem sich das Unternehmen eine wirtschaftlich höhere Effizienz und mehr Pünktlichkeit verspricht. Und natürlich auch größere Chancen bei der Ausschreibung des Senats für den Betrieb der Ringbahn sowie von drei Zubringerlinien, heißt es.
Bilder von vier Kameras an der Bahnsteigkante
„Mit der Verringerung der Aufenthaltszeit von S-Bahnzügen auf Bahnhöfen erhöhen wir die Pünktlichkeit“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Angestrebt werde eine Pünktlichkeit von mindestens 96 Prozent. Neben diesem positiven Effekt verspricht das Unternehmen auch eine höhere Informationsdichte für die Fahrgäste.
Künftig bekommt der Lokführer die Bilder von vier Kameras an der Bahnsteigkante auf einen Monitor in seinen Führerstand übertragen. Auf dem viergeteilten Farbmonitor kann er dann den Fahrgastwechsel beobachten und den Zug auf die sichere Abfahrt vorbereiten. „Die Zugabfertigung wird insgesamt schneller“, sagt S-Bahnchef Peter Buchner. „Ist der Fahrgastwechsel beendet, kann der Triebfahrzeugführer losfahren und muss nicht warten, bis der Gegenzug abgefertigt ist.“ Das werde sich positiv auf die Pünktlichkeit auswirken.
ZAT-FM wurde an fünf Pilotstationen der Ringbahn mit mehr als einer Million Abfertigungsvorgängen getestet. „Wir werden im April dieses Jahres mit der Umstellung des Abfertigungssystems beginnen“, sagt ein Unternehmenssprecher. Auf der Ringbahn soll der Wechsel im April des kommenden Jahres abgeschlossen sein, die Umrüstung auf der Hälfte der insgesamt 166 S-Bahnstationen wird bis Ende 2015 eingeplant.
Betriebsrat und Datenschützer nicken Kameraeinsatz ab
An anderen Stationen bleibt es beim bisherigen Verfahren. Dort wird der Triebfahrzeugführer auch weiterhin auf den Bahnsteig treten, um das Schließen der Türen zu überwachen. Die S-Bahn Berlin werde sich mit dem ungefähr 40 Millionen Euro teuren Projekt den bundesweit üblichen Standards anpassen.
Das Abfertigungsverfahren ist nur ein Teil eines neuen Betriebs- und Informationssystems, das in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde. Zur besseren Fahrgastinformation gehören 590 LCD-Fahrzielanzeiger mit Echtzeitinformationen und eine automatische Bahnsteigbeschallung über ein Computernetzwerk mittels Internetverbindung. Gesteuert werden die Systeme von 21 sogenannten Stammaufsichten. Jeder dieser Stammbahnhöfe „betreut“ zwischen vier und acht Bahnhöfe, verfügt über alle innerbetrieblichen Daten zum Betriebsgeschehen und kann sich per Monitor auf Bahnsteige zuschalten.
Auch der Betriebsrat und die Datenschützer haben den Kameraeinsatz abgenickt, anscheinend wurde ein Kompromiss gefunden. Die einfahrenden Züge werden nur von hinten aufgenommen, sodass der Fahrer während seiner Dienstzeit nicht aufgenommen werden kann. Die Bilder der ungefähr 700 Kameras werden maximal 48 Stunden gespeichert und dann sofort überspielt.
160 Mitarbeiter werden auf den Bahnhöfen fehlen
An die Aufnahmen würden selbst Bahnmitarbeiter nicht herankommen, teilt die Geschäftsführung mit. Lediglich auf Nachfrage der Strafverfolgungsbehörden könne man innerhalb der 48-Stunden-Frist die gewünschten Bilder aushändigen. Von den derzeit 400 Mitarbeitern im Bereich Aufsicht werden dann 120 Mitarbeiter in den 21 Stammaufsichten tätig sein, 120 mobile Aufsichten sollen auf den Bahnhöfen unterwegs sein. Die restlichen 160 Mitarbeiter würden nicht mehr im Bereich Aufsicht arbeiten. Man werde sie an andere Stellen im Konzern versetzen.
„Das sind 160 Mitarbeiter, die demnächst auf den Bahnhöfen fehlen werden“, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband Igeb e.V. „Wir haben nichts gegen das neue Abfertigungssystem, aber für die subjektive Sicherheit der Fahrgäste gehören Mitarbeiter auf die Bahnhöfe.“ Unter ihnen seien viele ausgebildete Betriebseisenbahner, die „ihre“ Bahnhöfe genauestens kennen würden. „Die sind kompetent und können mehr, als nur einen Zug abzufertigen.“