Wortführer

Flüchtlingscamp am Oranienplatz – Wer ist hier der Boss?

| Lesedauer: 20 Minuten
Sören Kittel

Das Kreuzberger Zeltlager ist zu einem Slum geworden: Morgenpost-Reporter Sören Kittel verbrachte dort mehrere Tage, um herauszufinden, wer die Entscheidungen trifft und mit Politikern verhandelt.

Ein älterer Deutscher in einem dicken Mantel zieht einen Tannenbaum hinter sich her. Er schleppt ihn mitten auf den Oranienplatz, genau hinter das Info-Zelt der Flüchtlinge. Dann geht er noch einmal zurück, holt noch einen zweiten Weihnachtsbaum. Es ist gerade dunkel geworden, aber die Luft ist noch mild, nicht kalt, der Januar 2014 wird als zaghaft in Erinnerung bleiben.

Der ältere Mann zündet die Tannen an, jede Nadel ist zu erkennen, wie sie glüht, sich etwas biegt, dann vom Ast löst und in den Kreuzberger Himmel fliegt. „Are you crazy?!“, ruft ein Afrikaner, der angerannt kommt und selbst übersetzt: „Bist du verrückt?“ Der Deutsche schaut wie ein beleidigtes Kind. Der Afrikaner wirft eine Decke über den Baum und tritt die kleinen Flammen aus. „Wenn die Polizei kommt, gibt es nur Ärger“, ruft er, „du kannst hier nicht einfach so Feuer machen!“

Er kann es doch. Es ist nur eine kurze Situation, aber sie zeigt die Folgen von einem Zustand, der schon ein Jahr und drei Monate andauert, von so etwas wie Anarchie auf dem Oranienplatz. Jeder darf kommen, jeder darf bleiben, etwas vom Essen haben, Fleisch mit Reis, darf in den Sack mit Brötchen von gestern greifen und jeder, wirklich jeder, wird mit einem Lächeln und einem Handschlag begrüßt, solange er nicht Bäume anzündet zum Beispiel oder Fotos machen will.

Unerfüllte Forderungen: Keine Residenzpflicht, keine Lager

Das ist die Art von Freundlichkeit, die auch etwas Verzweifeltes hat: Weil sich eben in den vergangenen 15 Monaten nur wenig bewegt hat für die Bewohner dieses Flüchtlingscamps am Oranienplatz. Außerdem sieht es nicht so aus, als ob es in den nächsten Monaten besser wird.

Keine Partei konnte ihnen versprechen, dass sie ihre Forderungen erfüllen wird, wie auch, wenn ihre Forderungen so fundamental sind, wie sie an der Holzwand stehen: „Keine Residenzpflicht, keine Lager, keine Deportation.“ Als im Herbst einigen Flüchtlingen ein Haus in Wedding angeboten wurde, spaltete sich die Gruppe noch einmal.

Die sogenannte Lampedusa-Gruppe wohnt jetzt zumindest bis zum Frühjahr dort. Doch für das Camp am Oranienplatz hat sich noch immer kein bekannter Politiker wirklich öffentlich eingesetzt, sie werden „geduldet“. Für diesen Sonntagabend wird mit 0 Grad gerechnet, leichter Sprühregen, am Montag Schneefall bei bis zu minus 1.

Matratzen als Hüttendämmung gegen die Kälte

Jeden Tag kommen Tausende am Camp vorbei, Hunderte betreten den Platz, ein paar von ihnen beginnen ein Gespräch mit den Flüchtlingen. Manche geben auch stumm Geld und nicken dann. Die meisten Besucher sagen, es sei schwierig, eine Struktur in dem Camp zu erkennen. Es gibt keinen Chef, niemanden, der anderen etwas zu sagen hat. „Das ist unsere Stärke“, sagen sie. Hierarchie ist auch schwierig, weil die Probleme der Flüchtlinge so unterschiedlich sind.

Derzeit übernachten zwischen 30 und 40 Menschen auf dem Oranienplatz in den provisorischen Gemeinschaftszelten, in den kleinen Hütten aus Holzplatten, mit Matratzen gegen die Kälte isoliert, aber nicht vor den Ratten geschützt. Ja, die Ratten, die Ratten.

Sie waren Thema in den vergangenen Tagen, am Freitag machten CDU-Mitglieder mit Flyern auf dem Platz auf das Gesundheitsrisiko aufmerksam. Selbst die Flüchtlinge reden oft von ihnen, weil die Biester überall sind: quietschend, rennend, raschelnd, wuselnd. Die Nager sind ein Schreckensbild jeder Zivilisation, sie kommen, wo sich Zustände verschlechtern, sichtbar sind sie nur, wenn der Abstand zwischen Mensch und Tier geringer wird.

Wortführer kristallisieren sich heraus

Aber um über diesen Platz zu sprechen, muss man für einen Moment zumindest die Ratten ausblenden, sie nicht auch noch instrumentalisieren, wie so viel an diesem Lager instrumentalisiert wurde. Schließlich geht es hier: um Menschen.

Auch wenn es keine Struktur gibt, so kristallisieren sich doch Sprecher heraus, die auch regelmäßig Kontakt zu lokalen Politikern haben: Da ist Mahadi aus dem Sudan, Ali aus dem Niger, Isa aus dem Tschad, Turgay aus der Türkei und Bashir aus Nigeria. Die meisten der Bewohner sind Männer, auch Daniel hat ein halbes Jahr im Zelt gewohnt, auch wenn er Deutscher ist. Er ist Sympathisant – und nicht der einzige.

Doch neben all diesen Männern, die bei Streitgesprächen manchmal laut werden können, gibt es zwei Frauen, die im Zelt auch gehört werden – und vielleicht entscheidend für das Schicksal der Bewohner sein könnten: Napuli Langa aus dem Sudan, die oft interviewte, charismatische Sprecherin, wird von allen respektiert, und Canan Bayram, die Rechtsanwältin und Integrationsbeauftrage der Berliner Grünen.

Mahadi Ahmed – charmant und eloquent

Am besten geeignet für einen Sprecher wäre wohl Mahadi Ahmed. Der 29 Jahre alte Sudaner weiß, dass der Oranienplatz längst ein Symbol geworden ist für die Situation der Flüchtlinge in ganz Europa. Sein Vorteil: Er kann mit jedem ein Gespräch beginnen, ist charmant, ist erreichbar, lächelt viel, trägt immer ein sauberes Hemd, würde auch ohne seine Brille wie ein Intellektueller aussehen.

Er spricht ein schönes Deutsch, und wie bei allen hier dauert es auch bei ihm nicht lange, bis er eine Geschichte aus Afrika erzählt: von Jac, seinem besten Freund, der jetzt Rebell ist und gegen die Regierung im Südsudan kämpft.

Jeder der Camp-Bewohner hat etwas zu erzählen, das zeigt, dass ihr Horizont größer ist als die Gegend zwischen Kottbusser Tor und Moritzplatz. Manche Bewohner sagen, sie haben alles zurückgelassen und nichts anderes mehr als ihre Geschichten.

Zu Fuß nach Berlin

Mahadis Geschichte handelt von einer Flucht aus dem Sudan, über die Türkei nach Griechenland, fünfmal Gefängnis, von Patras mit der Fähre, versteckt zwischen Gemüse, nach Brindisi, von dort weiter nach Norden. „In Italien hieß es, geh nach Frankreich“, sagt er, „in Frankreich sagten sie, geh nach Belgien.“

So ging es weiter über die Niederlande nach Hildesheim, nach Braunschweig, in die Flüchtlingslager. „Dort konnte ich nichts tun“, sagt er. „Nur warten und das über Monate.“ Überall, wo er war, hat er versucht, die Sprache zu lernen, Türkisch, Französisch, Niederländisch. Vielleicht fällt ihm deshalb das Deutsche nicht mehr so schwer. Mahadi sagt: „Im Vergleich zu allen Orten zuvor, war der Oranienplatz ein Hotel für mich.“

Doch Mahadi will kein Sprecher sein. Er will helfen, ja, er übersetzt, wo er kann, er diskutiert mit, aber als Sprecher der Gruppe, dazu ist er schon zu weit weg. Er schläft in einer Wohnung, im Camp ist er zum Essen, Rauchen und Diskutieren.

Begonnen hat alles auch für Mahadi am 8. September 2012. Hunderte Flüchtlinge sind damals aus Süddeutschland nach Berlin marschiert, im Oktober begann der Hungerstreik am Pariser Platz und kurz danach schlugen sie ihre Zelte am Oranienplatz auf. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagt heute, dass sie erwartet wurden, damals. Dass schon längst beschlossen war, dass der Oranienplatz ihr Zuhause werde.

Canan Bayram – kämpferisch und freundlich

Canan Bayram ist jemand, der zwar keine direkte Macht im Lager hat, aber als Helferin fast jeden Tag anwesend ist. Sie kennt die aktiven Unterstützer, weiß, mit wem sie auf Deutsch, Englisch oder Türkisch sprechen kann und hat ebenfalls eine freundliche, fast fröhliche Art.

„Es ist eine wichtige Bewegung“, sagt sie. „Diese Flüchtlinge sind durch das Camp sichtbar in Berlin und tragen so ihr Problem in die Mitte der Gesellschaft.“ Sie weiß um die desolaten hygienischen Zustände, aber nimmt diese in Kauf: „Der Status Quo der Gesetzeslage wird durch diesen Slum sichtbar.“ Der Platz sei vorher auch kein schöner Ort gewesen.

Canan Bayram lächelt oft zurückhaltend, als ob sie mehr weiß, als sie sagt. Die Juristin kennt sich im Strafrecht aus und weiß, dass Ultimaten wirkungslos sind. Sicher ist, dass sie mit ihrer Partei die wichtigste Verbündete in diesem Machtgeflecht rund um den Oranienplatz ist.

Demokratische Sitzung: Jede Wortmeldung muss übersetzt werden

Die Linken und die Piraten haben den Grünen mit der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann weitgehend das Feld überlassen. Die CDU ist wegen Innensenator Frank Henkels wiederholtem Ruf nach einer Räumung beinahe verhasst, und die SPD ist über Senatorin Dilek Kolat zwar offen für Gespräche – allerdings nur hinter verschlossenen Türen, mit Vertretern, die jedes Mal neu gewählt werden.

Eine solche demokratische Sitzung am Oranienplatz ist ein großer Moment, zu der Nicht-Afrikaner ungern gesehen sind. Jede Wortmeldung muss in mehrere Sprachen übersetzt werden, mindestens Englisch, Französisch, manchmal Arabisch. Das dauert, und auch die Themen gehen oft durcheinander: Wer darf für die Lampedusa-Leute sprechen, jene, die später kamen und zum Teil andere Probleme haben? Wofür wird das Geld verwendet? Was passiert im Falle einer Schließung des Camps?

Immer wieder kristallisieren sich Wortführer heraus. Einer von ihnen ist Bashir Zakariyar, der Nigerianer. „Was uns hierherbringt, ist der Wunsch, frei zu sein“, sagt er. „Ich habe so viel hinter mir gelassen.“ Seine Frau und seine Kinder seien tot, sagt er. „Die einzige Lösung für uns ist das Recht auf Arbeit.“ Was soll sein Leben sonst wert sein?

Bashir, Sprecher der Lampedusa-Gruppe, hat nichts zu verlieren

Bashir, 42 Jahre alt, laute Stimme und eine auffällige Narbe am Auge, ist derzeit der anerkannte Sprecher der Lampedusa-Gruppe, deren Interessen er bei Dilek Kolat vertritt. Doch seine Lage ist geschwächt, sagen einige Camp-Bewohner, weil er nicht mehr am Oranienplatz wohnt.

Er hat mit vielen anderen das Angebot angenommen, bis zum Frühjahr in ein Haus in Wedding zu ziehen. Außerdem gilt er als aufbrausend, erst letzte Woche musste er zurückgehalten werden, um im Streit nicht auf andere einzuprügeln. Aktuellen Polizeiberichten zufolge hat er sich am Freitag vor die stehende U-Bahn geworfen und sich mit Polizisten geprügelt. Er sagt dann immer, er habe nichts zu verlieren.

Die Stimmung ist oft schlecht im Januar 2014 im Camp, denn mit der Kälte kommen die Zweifel, ob sie wirklich noch einen Winter durchhalten können. Wozu, wenn sich nichts ändern wird? Wenn niemand ein Machtwort sprechen kann, weil es niemanden gibt, der Macht hat. Es ist wie im Buch „Herr der Fliegen“, in dem Kinder auf einer Insel stranden, nur dass es hier Erwachsene sind, die meist ein Trauma mit sich tragen.

Es gibt sie, die Flüchtlinge, die das auch falsch finden. Einer, der nicht fotografiert werden will und auch sonst eher leise spricht, sagt: „Es ist schon komisch, dass wir keinen Chef haben.“ Es sei so schwierig, Entscheidungen zu treffen, es dauere immer sehr lange. Dann: „Bei den Elefanten gibt es immer einen Leitbullen“, sagt er, „auch bei Löwen führt immer einer an.“ Nur hier im Camp könne jeder mitbestimmen. „Das ist nicht gut.“

Napuli Langa – Besonnen bringt sie Menschen zusammen

Die Frau, die in den vergangenen Wochen die Kraft hatte, die Menschen zusammenzubringen, ist Napuli Langa. Wie Mahadi formt auch sie ruhige und besonnene Sätze, gestikuliert sanft, hin und wieder wie Angela Merkel: wenn sich alle Finger an den Spitzen berühren. Sie ist sich bewusst über die Macht, die das Camp hat, weil sie so lange durchgehalten haben.

„Wir werden inzwischen schon im Ausland angesprochen“, sagt sie und meint Flüchtlings-Konferenzen in Wien, auf die Vertreter eingeladen waren. „Ihr seid die Oranienplatz-Flüchtlinge“heiße es dann bewundernd. „

Dabei ist unser Problem kein Kreuzberger Problem, sondern eines, das von hier aus größer werden muss: Berlin, Deutschland, Europa.“ Bei den Treffen mit Dilek Kolat ist sie dabei. Sie gibt sich dann kompromisslos und ist anschließend enttäuscht, wenn ihre Maximal-Forderungen für alle Flüchtlinge in Deutschland nicht erfüllt werden.

„Niemand sei hier, um den Deutschen Geld zu nehmen“

Napuli versteht zudem das Sprechen in Bildern. „Ich bin nackt gekommen“, sagt sie, „und ich habe alle meine Rechte zu Hause zurückgelassen.“ Niemand hier im Camp sei in Deutschland, um den Deutschen das Geld zu nehmen. „Aber wir wollen menschenwürdig behandelt werden.“

Große Sätze, die sie vergangenes Wochenende bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz auf der Bühne vorgetragen hat. Doch auch sie sucht nicht die große Bühne. Viel lieber sitzt sie im dunklen Zelt, spricht mit anderen Flüchtlingen, singt zur Gitarre. Während es in allen Ecken zu rascheln beginnt. Napuli selbst spricht von den „größten Ratten“, die sie je gesehen hat. „Wie Katzen“, sagt sie.

Die Ratten aber sind auch ein Zeichen, dass mit den Strukturen etwas nicht stimmen kann: Vielleicht reicht es nicht aus, dass die Küchengruppe das Essen kocht und dann den Topf lange Zeit erst einmal stehen lässt. Und natürlich ist es nachlässig, dass die Gruppe „Infrastruktur“ die gespendeten Brötchen für alle zugänglich abstellt, dann aber die Tüten von Ratten aufgerissen werden.

Ali aus dem Niger wird im Camp als Handwerker geachtet

Ali ist ein Mitglied dieser Gruppe. Der 25 Jahre alte Mann aus Niger hat sich im Oktober eine Hütte gezimmert, zwischen dem Info-Zelt und dem, in dem Napuli sitzt. Er ist stolz auf diese vier Wände, auch wenn er weiß, dass die Ratten sich leicht unter der Holzwand durchgraben.

„Aber Tiere sind doch normal in der Großstadt“, sagt er, „ich habe auch schon einen Fuchs im Camp gesehen.“ Ali trägt saubere Kleidung, geht jeden zweiten Tag in den Waschsalon und nutzt auch das kostenlose Angebot für eine Dusche bei der Caritas. Von dort hat er auch seine Zahnbürste. „Hier bin ich wirklich frei“, sagt er.

Er mag es, dass es keine feste Struktur gibt auf dem Oranienplatz, in seinem Flüchtlingslager in Halle an der Saale hatte er zu viel Struktur. „Ich musste mich anmelden und abmelden“, sagt er, „und ich durfte nichts tun, nicht arbeiten, nicht zur Schule gehen.“

Hier im Camp wird er geachtet, weil er gut mit seinen Händen umgehen kann, anderen zeigen, wie sie ihre Zelte besser gegen Regen schützen – und weil er etwas Englisch spricht. Das Reden über die großen Ziele aber, das überlässt er lieber den anderen. Er ist froh, wenn er sich zurückziehen kann.

Plovdiv – Mit fünf Russen im Zelt ohne Flüchtlinge

Und so könnte man weitermachen, Menschen vorstellen, die mitten in Berlin eine Wohnform gewählt haben, die es sonst nur in Entwicklungsländern gibt und die einer gewissen Lagerfeuerromantik nicht entbehrt. Denn das gibt es jeden Abend: das Feuer, um das sie dann stehen, und das – ganz brandschutzsicher – in einer Metallwanne lodert. Oft bleiben Kreuzberger Mütter mit ihren Kindern auf Fahrradsitzen kurz stehen, gehen zur Flamme, wärmen sich und lächeln unsicher den Flüchtlingen zu.

Die wenigsten wissen, dass es auch ein Zelt gibt, in dem keine Flüchtlinge wohnen, sondern das ganz in russischer Hand ist. Oncu, ein 46 Jahre alter Bulgare aus Plovdiv, wird von den fünf Russen geduldet. Die Afrikaner sagen, sie reden mit denen kein Wort: „Wir sprechen kein Russisch“, sagt einer, „wir stören einander aber nicht.“

Die Russen schlafen tagsüber und schauen abends Filme aus ihrer großen russischen DVD-Sammlung, die Heizungen laufen und die Aschenbecher füllen sich mit Zigarettenstummeln. Oncu sagt, er habe einfach keine Wohnung, von dem Protest der Afrikaner um einen Aufenthaltsstatus wisse er wenig. Aber das Essen schmecke gut.

Mit Spaß durch den Winter

Das ist vielleicht das größte Problem, das durch fehlende Strukturen entsteht: Der Protest verwässert, plötzlich geht es für manche darum, einfach günstig durch den Winter zu kommen. Es gibt Drogenabhängige und Alkoholiker, die sich nur zur gern auch am Feuer wärmen, Passanten freundlich nach einer Zigarette fragen oder beschimpfen. Den Flüchtlingen gefällt das nicht, aber was sollen sie sagen: Geht bitte, wir haben das Platzrecht?

Vielleicht ist die wichtigste Gruppe nicht die, die mit Politikern spricht, sondern die Info-Zelt-Gruppe. Wenn es nach dem Willen einiger Politiker geht, ist sie bald die einzige, die noch übrig bleibt. Vor genau einer Woche wurde das Dach dieses offenen Zeltes heruntergerissen. Die Seile waren durchtrennt, einige vermuteten, das waren Leute um den jähzornigen Bashir der Lampedusa-Gruppe. Andere sagen, die würden doch nie den eigenen Leuten schaden.

Vielleicht sollten sie jeden Tag hier sitzen, an der Info-Theke, die besonnene Napuli Langa, der eloquente Mahadi Ahmed, die kämpferische Canan Bayram oder der streitbare Bashir Zakariyar. Hier werden die Güter hingeschafft von Kreuzbergern, neue Betten, Jacken, Spenden.

Isa aus dem Niger: „Wir werden hier nicht weggehen“

Hier kommen sie her, die Unterstützer: Touristen aus aller Welt und Anwohner, Mütter und Väter, die ihren Kindern beibringen wollen, dass man füreinander da sein muss. Egal, wo man herkommt. Die besser Gekleideten geben 20 Euro, andere nur drei, aber es gibt auch Bettler, Flaschensammler, die Cent-Beträge in die Kassette stopfen.

Hinter dieser Geldkassette sitzt oft Isa aus dem Niger und sagt dann „Thanks, man.“ Manchmal schauen er und seine Helfer aus der Info-Point-Gruppe nur aus müden Augen durch Zigarettendunst. Neben ihnen auf dem Boden liegt ein Buch von Michael Ende: „Momo“. Es handelt von einem Mädchen, das die Fähigkeit hat, die Probleme von Menschen zu lösen, indem sie einfach nur dasitzt und zuhört. Eine schöne Idee.

Wer sich zu Isa ins Info-Zelt setzt, der hört oft diese beiden Sätze auf Englisch: „Wir werden hier nicht weggehen. Wenn wir geräumt werden, gehen wir auf die andere Seite des Platzes und machen weiter.“ Vielleicht ist diese Einstellung ein Fehler, der korrigiert werden muss, genau wie der Slogan auf einem Transparent: „Wir sind die Betrofen.“