Wo einst die Staatsspitze der DDR repräsentierte, herrscht heute akademische Arbeitsatmosphäre. Die Wirtschaftshochschule ESMT im alten Staatsratsgebäude darf jetzt auch Doktortitel vergeben.
Erich Honecker und Paul Heidhues teilen den gleichen Lampen-Geschmack. Die Glaskugeln an silbrigen Gestängen, die schon den Amtssitz des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR erhellten, findet auch der Wirtschaftsprofessor toll.
Heidhues und seine Studenten zapfen ihren Kaffee in Honeckers früherem Büro. In Ledersesseln hocken junge Menschen aus aller Herren Länder, manche redend, andere vor Laptops. Wo einst die Staatsspitze der DDR repräsentierte, herrscht heute Arbeitsatmosphäre in der Lounge der European School of Management and Technology (ESMT).
Vor den Fenstern der Bibliothek nebenan wächst das Schloss der Hohenzollern aus dem sumpfigen Berliner Grund. Durch das Portal des Original-Palastes betreten Studenten und Professoren das Gebäude am Schloßplatz 1 und steigen die Treppe unter Buntglasfenstern herauf, auf denen Walter Womacka den Siegeszug der Arbeiterbewegung preist.
Durchbruch geschafft, ESMT erhält Promotionsrecht
Die deutsche Business-School mit internationalem Anspruch entstand 2002 auf Initiative von führenden deutschen Unternehmen, die auch das nötige Geld bereitstellten. Vier Jahre später bezog die Nachwuchsschmiede der Marktwirtschaft den sozialistischen Prachtbau.
Jetzt hat die private Hochschule einen wichtigen Durchbruch geschafft: Das Land Berlin hat der ESMT auf Empfehlung des Wissenschaftsrates das Promotionsrecht verliehen. Damit ist die ESMT nach der Hertie-School, der Steinbeis Hochschule und dem Ableger der französischen Wirtschaftshochschule ESCP die vierte private Bildungsstätte in Berlin mit diesem Privileg.
„Das ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Hochschule“, sagt der ESMT-Präsident Jörg Rocholl. Das Recht, den Doktortitel zu verleihen, sei ein wichtiges Argument, um forschungsstarke Professoren zu gewinnen und talentierte Nachwuchskräfte für die Wissenschaft. Es sei ein „entscheidender Gradmesser für unsere Reputation“, so der ESMT-Präsident.
Und diese wächst, auch schon ohne das Promotionsrecht. Die englische Zeitung „Financial Times“ setzte den betriebswirtschaftlichen Studiengang Master of Business Administration, der zu 90 Prozent von Studenten aus dem Ausland belegt und mit 29.000 Euro pro Jahr bezahlt wird, in ihrer weltweiten Rangliste der Business-Schools auf Rang 29.
ESMT erhält Platz unter den Top-Business-Schools Europas
Die Zeitschrift „Economist“ listet die ESMT als höchsten Neueinsteiger unter ihren Top 100 auf Platz 30. Die Berliner sind Achter in Europa und Erster in Deutschland. Der Wissenschaftsrat schrieb nach eingehender Prüfung der Hochschule, der Anspruch, einen Platz unter den Top-Business-Schools einzunehmen, werde sowohl von nationalen wie auch internationalen Experten sowie der eigenen Arbeitsgruppe „für einlösbar“ gehalten, teilweise sei er schon eingelöst.
Für Berlin ist die ESMT eine Talentschmiede. Denn 60 Prozent der Absolventen bleiben in der Stadt. Wenn die Elite-Hochschule bisweilen schon als „deutsches Harvard“ bezeichnet wurde, winkt der Präsident ab. „Das ist ein Reputationsgeschäft, das muss man langsam aufbauen.“ Im Haus von Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat man „keinen Zweifel, dass die ESMT auf gutem Wege ist“.
Dazu braucht es international renommierte Wissenschaftler wie Paul Heidhues. Er leitet das Angebot für die jungen Leute, die bereits ein Studium abgeschlossen haben und sich nun weiterqualifizieren. Vor drei Jahren kam der unter anderem in den USA ausgebildete Spitzen-Ökonom aus Bonn an die ESMT. Und natürlich hat der Professor auch schon Doktoranden betreut. Nur war das bisher am ESMT eben nur als Zweitgutachter möglich. „
Für die jungen Universitätsabsolventen, die derzeit an der ESMT den Doktortitel anstreben, wird sich im Alltag so viel jedoch nicht verändern. Schon bisher arbeitete die Privat-Hochschule in einem gemeinsamen Promotionsprogramm, das im abkürzungsverliebten Wissenschaftsbetrieb als BDPEMS (Berlin Doctoral Program in Economics and Management Science) bekannt ist.
Berliner Universitäten kooperieren mit Doktorandenprogramm
Beteiligt sind die drei großen staatlichen Universitäten TU, FU und HU, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Die Idee dahinter: Jede Universität für sich ist im internationalen Maßstab zu klein, um Nachwuchsforscher allein auf einem Top-Niveau auszubilden. Das Netzwerk ermöglicht es, in Berlin Wirtschaftswissenschaften auf internationalem Standard anzubieten.
Fünf Jahre dauert es in der Regel, bis ein sehr guter Betriebs- oder Volkswirt sich bis zum Doktorandenniveau hochgearbeitet hat. In dieser Zeit sind Stipendien unerlässlich. Zeit, um nebenher zu arbeiten, lässt der Studienbetrieb nicht.
Und weil das Promovieren auf eine wissenschaftliche Laufbahn vorbereitet und nicht aufs große Geld in Banken oder Konzernen, kann die ESMT anders als für ihren normalen Betriebswirtschafts-Studiengang auch keine Studiengebühren verlangen. Die Berliner Einstein Stiftung sponsert Doktoranden, auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zahlt den Teilnehmern die rund 1300 Euro, die ihnen ein Leben in Berlin ermöglichen.
Johannes Johnen hatte sich nach dem Bachelor in Bonn und dem Master im französischen Toulouse deutschlandweit um einen Platz in einem Doktorandenprogramm beworben.
Promotion unter dem Hammer-und-Zirkel-Mosaik
Dass er in Berlin seinen Kaffee in Honeckers Büro trinken, Seminare unter dem Hammer-und-Zirkel-Mosaik im Sitzungssaal des Staatsrates und Übungen im Übergangsbüro des gesamtdeutschen Kanzlers Gerhard Schröder abhalten kann, war für den 27-Jährigen nicht ausschlaggebend. „Es zählen gute Professoren und gute Betreuung“, sagt Johnen: „Das Gebäude nimmt man halt mit.“
Ein Jahr ist er nun dabei im Promotionsprogramm. Jetzt beginnt er damit, eine konkrete Forschungsfrage zu entwickeln. In Paul Heidhues hat er seinen Betreuer gefunden und seit wenigen Tagen auch einen festen Schreibtisch in der ESMT.
Den Professor und den Nachwuchsforscher eint das Interesse an Fragen, die in Zeiten weltweiter ökonomischer Krisen Konjunktur haben. Sie untersuchen, was es bedeutet, dass in der Realität viele Menschen vom in den Wirtschaftswissenschaften lange verfochtenen Dogma des wirtschaftlich rational auf funktionierenden Märkten handelnden Homo oeconomicus abweichen.
Präsident Rocholl will Fakultät weiter ausbauen
Wenn sie etwa exorbitant hohe Zinsen für die Überziehung ihrer Kreditkarte bezahlen, während sie gleichzeitig Geld zurücklegen. Heidhues’ Untersuchungen, zu denen sein künftiger Doktorand einen Beitrag leisten möchte, widmen sich dem aus solchen Irrationalitäten folgenden Marktversagen und den Möglichkeiten des Staates, regulierend einzugreifen bei Kreditkartenverträgen oder Hypothekendarlehen. „Ich möchte schon promovieren und dann in die Wissenschaft“, sagt der junge Mann.
Obwohl die Gänge breit, die Foyers ausgedehnt und die Decken sechs Meter hoch sind, werden die Arbeitsräume knapp bei 150 Vollzeitstudenten und 2500 Teilnehmern an Weiterbildungskursen, die die Unternehmen pro Jahr ins Staatsratsgebäude schicken.
Die Fakultät soll von 21 Professoren auf 30 wachsen, 2014 startet der neue Studiengang „Master in Management“. Präsident Rocholl denkt deshalb langfristig darüber nach, den Westflügel des Gebäudes auszubauen. Auf der Grünfläche hinter dem Haus anzubauen, ist nicht möglich. Die Wiese, wo manchmal Studenten gegen Dozenten Fußball spielen, steht ebenso unter Denkmalschutz wie Margot Honeckers Rosenstauden.