Treffen in Berlin

Besatzungskinder suchen noch immer nach ihren Vätern

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Tanja Laninger

Foto: Sergej Glanze

Tausende Besatzungskinder kamen in der Nachkriegszeit zur Welt, ohne je ihren Vater kennenzulernen. Das erste Deutschlandtreffen der Organisation GI Trace in Berlin hilft, ihre Herkunft zu klären.

Thomas L. winkt mehrere Männer und Frauen zu einem Gruppenfoto heran. Er drückt auf den Auslöser. Und lächelt. Der 67 Jahre alte Berliner ist ein glücklicher Mann. Nach Jahrzehnten der Entwurzelung hat er eine Familie gefunden.

In Houston, Texas, USA. Davon erzählt er auf diesem ersten Treffen rund 40 deutscher Besatzungskinder, das am Sonnabend im Reichstagsgebäude stattgefunden hat und das Thomas L. mit der Kamera verewigt. Eingeladen hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert, zusammen mit Ute Baur-Timmerbrink, Tochter eines Amerikaners.

Nach Angaben der Politikerin leben in Deutschland 200.000 Menschen, deren russische, britische, französische und US-amerikanische Väter als Soldaten Deutschland befreiten und weiterzogen zu neuen Einsätzen. Zurück blieben Frauen, denen Fraternisierung mit dem Feind vorgeworfen wurde, deren Kinder man als Bastarde beschimpfte. „Viele der Mütter waren verzweifelt und allein gelassen, jung und arm“, sagt Rawert, die sich seit drei Jahren politisch mit dem Thema befasst. Sie sagt, dass 70 Prozent der Kinder bei ihren Müttern aufwuchsen und 30 Prozent in einem Heim. Sie hatten Väter, die oft nichts von ihnen wussten. Und umgekehrt.

„Ich habe erst mit 52 Jahren erfahren, dass meine Biografie völlig falsch ist, das mein echter Vater Amerikaner war“, sagt Ute Baur-Timmerbrink, die seit 1996 in Berlin lebt. Drei Jahre hat sie ihn gesucht, alleine, ohne Hilfe, bis sie ihn fand. Erst zum Schluss sei sie auf die amerikanische Organisation „Trace“, später „GI Trace“, gestoßen, die das Ziel hat, Soldatenkindern bei der Suche nach ihren Vätern zu helfen.

Baur-Timmerbrink wurde als erste Deutsche zu einem Treffen in die USA eingeladen. „Dort war ich endlich unter Schicksalsgenossen.“ Ein Schlüsselerlebnis. Die Arzthelferin und Sekretärin engagiert sich ehrenamtlich für die Organisation „GI Transatlantic Children’s Enterprise“, gründet den Ableger für Österreich und Deutschland. Sie wird nun von Ehrenamtlichen wie Raimund Briechle aus München unterstützt, der ihr bei der Suche nach Thomas’ Vater geholfen hat.

Plötzlich wird er abgezogen

Gefunden haben sie eine Familie so groß „wie zwei Fußballvereine“, sagt Thomas. Sein Vater, Adnell Tapley, lebt nicht mehr, aber Adnells Bruder, Töchter und Enkel. Thomas L. strahlt vor Freude. Er ist Einzelkind. Seine Mutter hatte seinen Vater 1944/45 nach ihrer Flucht aus Ostpreußen in Bad Kreuznach kennengelernt. „Eine Tages klingelt mein Vater an der Tür ihrer Vermieter. Meine Mutter, ein hübsches blondes german girl, öffnete ihm und bumm“, sagt Thomas, die beiden hätten sich verliebt – und noch ein bisschen mehr.

Gerda wurde schwanger, aber Thomas – so dachte sie, heiße ihr Soldat – wurde plötzlich abgezogen. Ohne zu wissen, dass er Vater eines Sohnes werden würde. „Meine Mutter erfuhr nie, wohin seine Truppe verlegt wurde, sie hat nie nach ihm gesucht. Sie war nicht der Typ.“ Als Vater gab sie „unbekannt“ an, „um keinem zu schaden, denn damals galt das Fraternisierungsverbot: Soldaten durften nicht anbändeln mit deutschen Mädchen“, sagt Thomas L., der vermeintlich nach seinem Vater benannt wurde. Einem Vater, der sich immer einen Sohn gewünscht hatte, wie Thomas nun erfuhr.

Gerda war mit ihrem Kind überfordert. Thomas kam ins Internat, lernte Binnenschiffer, wurde in der DDR „in den Knast gesteckt“, weil er jemandem bei der Flucht helfen wollte, und nach dreieinhalb Jahren von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Er lebte in Berlin wie seine Mutter, machte den Führerschein für Reisebusse, tourte durch Europa, wurde Taxifahrer. Ein rastloses Leben. „Ich fühlte mich entwurzelt.“

In den 80er-Jahren nahm er die Suche nach seinem Vater auf, schrieb an Behörden verschiedener US-Bundesstaaten. Ohne Erfolg. „Ich wollte oft aufhören, entmutigt. Aber meine Lebensgefährtin hat mich immer wieder angetrieben.“ 2004 starb seine Mutter. Erst später hörte er von GI Trace. „Und sie haben meine Verwandten gefunden – innerhalb von acht Wochen.“ Am 30. August 2013 erhielt Thomas die erste Mail seiner Halbschwester Norma, 68. Seitdem schreiben sie sich. „Nicht immer geht es so aus. Manche Verwandte wollen keinen Kontakt“, sagt Lindsay Henderson vom US-Konsulat in Frankfurt am Main, die Workshops mit Besatzerkindern organisiert. „Es ist wichtig, Erwartungen zu bändigen und Gefühle zu schützen.“

Thomas steht auch in Kontakt mit seiner Halbschwester Patricia, 70, und mit Nichten und Neffen. „Sie heißen mich willkommen in der Familie“, sagt er mit glänzenden Augen. Er zieht einen Ausdruck aus einer grünen Mappe, die er bei sich trägt. Ein Mailwechsel von Donnerstag und Freitag. Er hatte berichtet, dass sein Häuschen in Brandenburg Wasserschäden habe. Nichte Lisa antwortete, wenn Thomas und seine Freundin dort nicht mehr leben könnten, stünde ihnen ihr Haus in Texas offen.

„Ist das nicht unglaublich“, fragt er, als könne er es noch nicht fassen. Für 2014 will er einen Flug in die USA buchen. Einziges Hindernis: „Ich muss meine Flugangst überwinden.“

Hilfe bei der Suche nach amerikanischen Soldatenvätern bietet GI Trace über das Internet. Die Adresse lautet: www.besatzungsvaeter.de