Leserforum

Berlin diskutiert über die Wohnungspolitik in der Stadt

| Lesedauer: 9 Minuten
Sabine Flatau und Franziska Birnbach
Morgenpost vor Ort zum Wohnen in Berlin

Morgenpost vor Ort zum Wohnen in Berlin

Die Mieten steigen, der Wohnraum wird immer knapper. Droht Berlin in Zukunft eine Wohnungsnot? Und wer kann es sich zukünftig noch leisten, im Stadtzentrum zu leben? Berliner antworten.

Video: Max Boenke/BM
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Die Berliner Morgenpost vor Ort: Beim dritten Leserforum wurde intensiv über Mieterhöhungen, Kündigungsschutz, Neubau und Subventionierung diskutiert.

Der Potsdamer Platz in Berlin-Mitte ist ein Touristenmagnet. Die moderne Architektur, die Cafés, Geschäfte, Kinos und Museen locken Berlinbesucher, aber auch Einheimische an. Immer mehr Menschen ziehen nach Berlin, um hier zu arbeiten und das vielfältige Leben zu genießen. Mit rund 200.000 neuen Einwohnern rechnet der Senat in den kommenden Jahren. Wohnungen in der Innenstadt sind begehrt, Mieten steigen.

„Droht Berlin eine Wohnungsnot?“ Zu dieser Frage hatte die Berliner Morgenpost am Dienstagabend Leser und Experten eingeladen. Ort des Diskussionsforums „Morgenpost vor Ort“ war die „Berliner Freiheit“ im Beisheim-Center am Potsdamer Platz – im Herzen der Stadt. Etwa 150 Zuhörer verfolgten gespannt die Diskussion, die Moderator Hajo Schumacher leitete.

Rund 85 Prozent aller Berliner leben in Mietwohnungen. Darauf müsse die Landesregierung reagieren, sagte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). Er wolle keine Politik für Vermieter machen. „Das, was man ausreizen kann für den Mieterschutz, das wollen wir machen.“ Müller hat in den vergangenen Monaten mehrere Beschlüsse im Senat initiiert.

Der jüngste stammt vom Dienstag: Der Kündigungsschutz für Berliner, deren Mietwohnung verkauft und damit zur Eigentumswohnung wird, ist in der gesamten Stadt einheitlich auf zehn Jahre festgelegt worden. In dieser Zeit kann der neue Eigentümer den bisherigen Mieter nicht wegen Eigenbedarfs kündigen. Bislang lag diese Frist in sechs Bezirken bei sieben Jahren, in den anderen Bezirken bei drei Jahren. Ob die Regelung auch gelte, wenn die Mietwohnung mehrmals weiterveräußert werde, wollte Morgenpost-Leser Bernd Neugebauer wissen.

Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gänzlich untersagen

„Ein Weiterverkauf hebelt diese Regelung nicht aus“, antwortete Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Er begrüße die neue Verordnung. „Doch sie schützt nur die Mieter, die bereits in der Wohnung wohnen. Und sie schützt nicht vor Mietererhöhungen.“ Das Mietniveau in umgewandelten Wohnungen sei um 20 bis 30 Prozent höher. Wild: „Umwandlung bedeutet auch immer Vernichtung von preiswertem Wohnraum. Das können wir in der aktuellen Situation nicht gebrauchen.“

Deshalb schlage der Mieterverein vor, dass in den so genannten Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gänzlich untersagt werden sollte. Diese Gebiete gibt es etwa in Prenzlauer Berg und Friedrichshain-Kreuzberg. Eine solche Bestimmung „haben wir in der Vorbereitung“, sagte Senator Müller. Sie müsse noch mit dem Koalitionspartner abgestimmt und vom Parlament mitgetragen werden. „Es ist ein weiteres Instrument, mit dem man in Abstimmung mit den Bezirken die Mieter besser schützen kann.“ Morgenpost-Redakteurin Isabell Jürgens gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass aber auch ein großes Interesse an Eigentumswohnungen bestehe – gerade auch von jungen Familien und speziell in den genannten Bezirken.

Soziale Durchmischung in allen Bezirken gewünscht

Auch das Thema „Verdrängung aus dem Kiez“ spielte beim Forum eine Rolle. Michael Müller wohnt in Tempelhof, in einer Mietwohnung nahe dem Platz der Luftbrücke. Das Haus gehöre inzwischen einer Pensionskasse, erzählte er. Probleme mit dem Vermieter habe er nicht. „Meine Familie lebt seit 50 Jahren hier, ganz in der Nähe unserer Druckerei“, so Müller. Man könne nicht nur in den Szenegegenden von Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg oder Mitte gut wohnen, sondern beispielsweise auch in Tempelhof. Wenn die Rede davon sei, dass Menschen aus einem Kiez verdrängt würden, müsse man auch die Alternativen sehen.

„Jeder der zwölf Bezirke hat eine komplette Infrastruktur“, sagte der Senator. „Es gibt Kitas, Schulen, medizinische Einrichtungen, Gastronomie, Busse und Bahnen. Der Umzug innerhalb der Stadt ist zumutbar.“ Er wolle eine soziale Durchmischung in allen Bezirken, sagte Müller. Deshalb seien die städtischen Wohnungsgesellschaften angehalten, überall ihre Bestände zu vergrößern, in dem sie Wohnhäuser kaufen oder neu bauen.

Doch große Bestände der städtischen Gesellschaften seien erst 2006 verkauft worden, etwa an Investmentfonds aus den USA, sagte Isabell Jürgens. „Das ist bitter. Jetzt will man neu bauen oder dazukaufen.“ Und Neubauten seien teuer. „Diese Entscheidungen würden wir heute so nicht mehr fällen“, räumte Senator Müller ein. „Es gäbe dafür nicht mehr die politische Akzeptanz.“ Doch auch wenn etwa die GSW noch der Stadt gehören würde, gäbe es das Problem fehlender Wohnungen.

Wie hoch Mieten sein sollten

Welche Miethöhe ist akzeptabel? Auch diese Frage spielte eine große Rolle beim Forum. Die Berliner Durchschnittsmiete liege laut Mietspiegel bei etwa 5,50 Euro je Quadratmeter, erläuterte Moderator Hajo Schumacher. Aber wer zahle so wenig? Neu gebaute Wohnungen könnten zu einem höheren Preis angeboten werden, sagte Reiner Wild vom Mieterverein. Der Mietspiegel sei nur bei bereits bestehenden Verträgen anzuwenden.

„Man will heute anders wohnen als vor 50 Jahren“, sagte Senator Müller. „Man will bestimmte Standards wie Barrierefreiheit, Schallschutz, Aufzüge. Das ist eine positive Entwicklung.“ Allerdings sei der Flächenverbrauch pro Kopf ein Problem geworden. „Wir liegen damit weit an der Spitze.“ Durchschnittlich etwa 40 Quadratmeter Wohnfläche stehe jedem Berliner Mieter derzeit zur Verfügung. „Ist das erforderlich?“ Dann müsse eine dreiköpfige Familie eine 120 Quadratmeter große Wohnung haben. „Können Genossenschaften und Gesellschaften dann noch kostengünstige Mieten anbieten?“, fragte Müller.

Die Miete in Neubauten liege meist schon bei mindestens zehn Euro je Quadratmeter, sagte Leser Karsten Grommek. „Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass unter zehn Euro Kaltmiete nichts mehr zu machen ist“, sagte Frank Schrecker, Vorstandschef der Wohnungsbaugenossenschaft Berolina. 3700 Wohnungen gehören der Genossenschaft. Derzeit errichtet sie Häuser nahe dem Moritzplatz in Kreuzberg. „Wir bauen Mietwohnungen, weil wir der Meinung sind, dass es in der Mitte der Stadt noch etwas Anderes geben muss außer Eigentumswohnungen“, sagte Schrecker. „Unsere Wohnungen sollen auch in 20 oder 30 Jahren noch in gutem Zustand sein.“ Man baue deshalb Parkett ein, und Duschen mit Glastür. Das wirke sich aber auch kaum auf den Baupreis aus.

Die städtischen Gesellschaften sollen nach Willen des Senats dennoch eine günstige Miete, auch bei ihren Neubauten anbieten. „Durch Subventionierung und verbilligten Grundstückserwerb kann man die Miete von zehn auf acht Euro senken“, sagte Senator Müller. Außerdem sei an eine Querfinanzierung gedacht. Gute Wohnungen in begehrter Lage könnten zu einer höheren Miete angeboten werden und dadurch niedrigere Mieten in anderen Wohnungen ermöglichen.

Renten steigen nicht so schnell wie Mieten

Leserin Elisabeth Schwabe aus Köpenick kritisierte, dass es möglich sei, die Miete alle drei Jahre um 20 Prozent zu erhöhen. Gehälter und Renten würden aber nicht alle drei Jahre in gleicher Weise steigen. In Bezug auf Mieterhöhungen habe das Land Berlin nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten, sagte Michael Müller. Etwa 300.000 Wohnungen in Berlin gehören den städtischen Gesellschaften, etwa 200.000 den Wohnungsgenossenschaften. „Den privaten Unternehmen gehören etwa 1,4 Millionen Wohnungen“, so Müller. „Wir haben nur einen kleinen Anteil, in dem wir eingreifen können.“ Bei den städtischen Wohnungen sei festgelegt worden, dass die Miete in vier Jahren um höchstens 15 Prozent steigen dürfe. In den anderen Wohnungen gelte Bundes- und Landesmietrecht.

Eine Wohnungsnot wie etwa nach dem zweiten Weltkrieg gebe es derzeit nicht, meinte Reiner Wild vom Mieterverein, „aber eine Wohnungsknappheit. Das sei vielen Berlinern gegenwärtig. „Die Nachfrage nach Wohnraum ist deutlich höher als das Angebot.“ Die daraus resultierenden Probleme müssten in Angriff genommen werden.

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen habe schon vor Jahren Wohnungsneubau gefordert, sagte Vorstandsmitglied Maren Kern. Ende der 90er-Jahre habe der Leerstand in den Verbandsunternehmen noch bei zehn Prozent gelegen. Jetzt werde Neubau geplant, werde geprüft, wo man Flächen verdichten könne, um preiswert zu bauen. „In den nächsten fünf bis acht Jahren wollen wir etwa 15.000 neue Wohnungen schaffen.“

Jedes größere Wohnungsbauprojekt in der Stadt stoße auf Widerstand, sagte Morgenpost-Redakteurin Isabell Jürgens und nannte den Mauerpark und das Tempelhofer Feld als Beispiele. Mauerpark, Gleisdreieck und Tempelhofer Feld seien große Grünflächen, die die Stadt in den vergangenen Jahren dazubekommen habe, sagte Müller,. „Deshalb muss es möglich sein, an den Rändern von Tempelhof bis zu 5000 Wohnungen zu bauen.“ Es müsse für die gebaut werden, die nach Berlin ziehen und um eine Entlastung für die zu schaffen, die bereits in der Stadt leben.