Unfallstatistik

Berlins Fahrradfahrer leben äußerst gefährlich

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Isabell Jürgens

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Berlin registrierte im Jahr 2012 weniger Verkehrstote. Nur die Zahl der toten Radfahrer steigt. Die Polizei will gegen diesen Negativtrend vorgehen - mit einer E-Bike-Staffel.

„Eine Radfahrerin ist gestern Abend bei einem Verkehrsunfall in Marzahn schwer verletzt worden. Erste Ermittlungen ergaben, dass die Radfahrerin gegen 18.20 Uhr die Allee der Kosmonauten befuhr, als sie von einer 33-Jährigen, die mit ihrem Auto aus der Beilsteiner Straße nach rechts in die Allee der Kosmonauten einbog, angefahren wurde. Die 50-Jährige wurde durch angeforderte Rettungskräfte mit Knochenbrüchen und Prellungen zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus gebracht.“

Bei steigenden Temperaturen sind sie wieder da, die Fahrradfahrer. Und damit werden auch wieder mehr Meldungen wie diese vom Mittwoch auf der Internetseite der Berliner Polizei zu sehen sein.

Denn die Zahl der verunglückten Fahrradfahrer ist immer noch überproportional hoch, betonte Polizeipräsident Klaus Kandt bei der Vorstellung der Unfallstatistik 2012.

Im vergangenen Jahr starben demnach insgesamt 15 Radfahrer im Straßenverkehr. 2011 wurden elf, 2010 sechs getötete Radfahrer registriert. „Dabei ist die Zahl der Verkehrstoten insgesamt deutlich zurückgegangen“, so Kandt weiter. Waren 2011 noch 54 Menschen im Straßenverkehr getötet worden, sank die Zahl der Verkehrstoten 2012 auf das historische Tief von 42.

Nach Angaben Kandts wurden im vergangenen Jahr insgesamt 130.782 Verkehrsunfälle registriert, geringfügig mehr als noch im Jahr 2011 (+ 0,24 Prozent). Dabei wurden 14.807 Personen leicht und 2049 Personen schwer verletzt. Anlass zur Sorge würde deshalb vor allem die gestiegene Unfallbeteiligung der Fahrradfahrer geben, so der Polizeipräsident.

Denn an 7342 Unfällen im vergangenen Jahr waren Radler beteiligt. Vor zehn Jahren waren es noch 5900. Bei den Unfällen wurden 4533 Radfahrer verletzt, 628 von ihnen sogar schwer. Obwohl die Gruppe der Radfahrer nur mit 5,6 Prozent am Gesamtunfallaufkommen beteiligt sei, zeigten sich Radfahrer in der Verunglücktenbilanz mit einem Anteil von 31 Prozent stark überrepräsentiert. Brennpunkte waren unter anderem die Prinzenstraße/Ecke Moritzplatz und die Kreuzung Stralauer Allee/Warschauer Straße mit jeweils 17 Unfällen.

Hohe Dunkelziffer

Die Polizei geht zudem davon aus, dass nur ein Teil der Radunfälle überhaupt statistisch erfasst wird. Die Dunkelziffer liege bei 50 bis 65 Prozent, sagte der Chef der Verkehrsabteilung, Markus van Stegen. Das heißt: in Wirklichkeit gab es doppelt bis dreimal so viel Radunfälle wie in der Statistik aufgeführt. Radfahrer und Autofahrer waren bei den erfassten Unfällen etwa je zur Hälfte die Unfallverursacher. Die Radler fuhren gegen die Fahrtrichtung, übersahen Autos oder waren zu schnell unterwegs. Autofahrer hingegen ignorierten oft beim Rechtsabbiegen nachfolgende Radfahrer oder nahmen ihnen an Kreuzungen die Vorfahrt.

Als Konsequenz aus den stark gestiegenen Zahlen der Radunfälle kündigte Kandt die Schaffung einer eigenen Fahrradstaffel an. Diese solle für mehr Sicherheit im Radverkehr sorgen. „Damit wird ein Einsatz auf Augenhöhe ermöglicht“, sagte der Polizeipräsident. Geplant sei, die Staffel ab Sommer 2014 in der Innenstadt einzusetzen, um Verkehrsvergehen zu ahnden und das Verletzungsrisiko zu minimieren. „Damit sich die Beamten nicht abstrampeln müssen, sondern sich voll auf den Verkehr konzentrieren können, werden wir voraussichtlich Elektroräder einsetzen“, sagte Kandt. Berlins Polizeipräsident verwies auf die guten Erfahrungen der Polizei in Hamburg. Dort gebe es die Fahrradstaffel bereits.

Immer mehr Berliner steigen aufs Rad

Dass die Zahl der Radfahrerunfälle so stark gestiegen ist, hängt vor allem mit dem geänderten Mobilitätsverhalten der Berliner zusammen. Seit 2001 hat sich die Anzahl der Radfahrer um 31 Prozent erhöht. 13 Prozent aller Wege in der Stadt werden inzwischen mit dem Fahrrad zurückgelegt, wie aus dem Verkehrsbericht des Senats „Mobilität in der Stadt“ hervorgeht. Der Bezirk Mitte verzeichnet dabei den größten Zuwachs. Gegenüber 2001 stieg der Radverkehr sogar um knapp 80 Prozent. In Kreuzberg betrug die Steigerung 70 Prozent, in Prenzlauer Berg knapp 30 Prozent. Nach dem Willen des Senats soll das Fahrrad im Stadtverkehr noch wichtiger werden: Durch den Ausbau des Wegenetzes für Radfahrer sollen im Jahr 2025 20 Prozent aller Wege in Berlin mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

Dennoch sei die hohe Zahl der Radunfälle häufig auch auf das Fehlverhalten der Radler zurückzuführen, sagte Kandt. Bei Kontrollen seien knapp 30.000 Ordnungswidrigkeiten von Radfahrern registriert worden (+ 37 Prozent). Viele Radfahrer würden rote Ampeln ignorieren oder nachts ohne Licht fahren. „Ich selbst bin begeisterter Fahrradfahrer und fühle mich in Berlin auch sicher“, sagte Kandt. Der Polizeipräsident berichtete jedoch weiter, selbst schon Opfer eines rechts abbiegenden Autos geworden zu sein. Deshalb fahre er grundsätzlich mit Helm und äußerst defensiv: „Vorfahrt lässt sich eben nicht erzwingen“, so Kandt.

Die Hauptursachen bei der Gesamtheit aller Unfälle waren Fehler beim Abbiegen, Vorfahrtsmissachtung und zu schnelles Fahren. Risikogruppen im Straßenverkehr sind neben kleinen Kindern und Rentnern junge Erwachsene am Steuer. Am häufigsten verletzt wurden Fußgänger, Radfahrer und Motorradfahrer. 17 Fußgänger starben.

790 Kinder verunglückten

Die schwächste Gruppe aller Verkehrsteilnehmer – das sind Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr – weist in der Anzahl der registrierten Verkehrsunfälle gegenüber dem Vorjahr einen erfreulichen Rückgang um fast fünf Prozent auf. „Es verbleiben aber immer noch 950 Verkehrsunfälle, an denen Kinder beteiligt waren“, sagte Kandt. 2012 wurde ein Kind tödlich verletzt. Insgesamt verunglückten 790 Kinder, das ist ein Anstieg von 0,7 Prozent. Hauptunfallursachen bei den Unfällen mit Kindern, so der Polizeipräsident, seien bei Kraftfahrern Abbiegefehler sowie falsches Verhalten gegenüber Kindern als Fußgänger. Kinder achteten hingegen weniger auf den Fahrzeugverkehr bei der Fahrbahnquerung oder träten plötzlich zwischen geparkten Fahrzeugen hervor. Rad fahrende Kinder verletzten sich häufig durch Missachtung des Fließverkehrs oder benutzten nicht die für ihr Alter vorgesehenen Verkehrsflächen. „Kinder verunglückten dabei zu gleichen Teilen als Fußgänger und als Radfahrer“, sagte Kandt.

Die Polizei Berlin werde deshalb auch weiterhin einen Schwerpunkt in dieser Altersgruppe im Bereich der Verkehrserziehung und in Zusammenarbeit mit den Schulen bei der Mobilitätsbildung setzen. Der Polizeipräsident plädierte dafür, Kinder bis zum 10. Lebensjahr auf dem Weg zur Schule oder zur Kita und zurück durch Erwachsene begleiten zu lassen.

Die zweite sogenannte Hochrisikogruppe sind die Senioren. Die Zahl der Verkehrsunfälle 2012, an denen die über 64-Jährigen beteiligt waren, hat um 2,7 Prozent erneut leicht zugenommen. An 13.873 Unfällen (2011: 13.506) waren Senioren beteiligt. Verletzt wurden 2505 ältere Menschen. Hauptgrund für die Zunahme der Unfälle bei Senioren ist die demografische Entwicklung: Die Bevölkerungsgruppe der Senioren ist in den vergangenen zehn Jahren in Berlin um drei Prozent gewachsen und wird Prognosen zufolge weiter wachsen. „Ältere Menschen sind heute nicht nur agiler und fitter, sie nehmen auch intensiver und länger als frühere Generationen am aktiven Leben teil“, sagte Kandt.

Mit Tempo 159 durch die City

Kandt kündigte am Mittwoch zudem Temposündern den Kampf an. Zwar sei der Einsatz von mehr Personal nicht möglich. Durch den Einsatz modernerer Technik werde die Erfassung von Temposündern dennoch zunehmen. Die Polizei hatte 2012 etwa eine Million Geschwindigkeitsüberschreitungen registriert. Damit habe jeder 17. Fahrer die zulässige Geschwindigkeit übertreten. Mehr als 800.000 Bußgelder wurden daraufhin verhängt. Berlin habe insgesamt 70 Millionen Euro Bußgeld von Verkehrssündern und Falschparkern eingenommen.

Allein durch die Radarkontrollen im Britzer Tunnel in Neukölln seien 70.000 zu schnelle Autofahrer erwischt worden, ergänzte Verkehrsexperte van Stegen. Der Leiter der Verkehrsabteilung der Polizei lieferte auch den gemessenen Spitzenwert der Temposünder 2012: Mit Tempo 159 – 109 Stundenkilometer schneller als die erlaubten 50 Stundenkilometer – war ein Autofahrer auf der Straße des 17.Juni geblitzt worden. Auf der A 100 zwischen Beusselstraße und Jakob-Kaiser-Platz war ein Pkw mit 183 Stundenkilometern unterwegs. Erlaubt ist dort Tempo 80. Und in der Tempo-30-Zone auf der Afrikanischen Straße in Wedding wurde ein Fahrer mit 118 Stundenkilometern erwischt.