Neujahrsempfang 2013

Die Rede von Carsten Erdmann im Wortlaut

| Lesedauer: 8 Minuten

Foto: Reto Klar

Carsten Erdmann, Chefredakteur der Berliner Morgenpost lobte in seiner Rede das Start-up-Potenzial Berlins.

Liebe Gäste, liebe Leser, so voll, so bunt war es hier noch nie. Herzlich willkommen! Ganz besonders freue ich mich, dass der Justizsenator bei uns ist. Auch Ihnen ein Herzliches Willkommen, Herr Heilmann. Sie rufen mich ja freundlicherweise gelegentlich an, wenn etwas Wichtiges ansteht. Da ich nichts von Ihnen gehört habe, gehe ich davon aus, dass die nächste Stunde ungestört verläuft. Vielen Dank.

Die Durchsuchung der Redaktion im vergangenen November war für mich sicherlich eines der ungewöhnlichsten Erlebnisse 2012. Sie hat mir wieder einmal gezeigt, dass die innere Realität einer Behörde mit der Wirklichkeit nicht immer übereinstimmt.

Zwei andere Ereignisse in Berlin haben mich im vergangenen Jahr bewegt, empört und, ich gestehe, auch hilflos hinterlassen. Da war der Überfall auf den Rabbiner Daniel Alter. Er trug eine Kippa, er wurde auf der Straße angegriffen. Der Tag, an dem Juden ihre religiöse Herkunft in Berlin verstecken müssen, um hier sicher zu leben, ist ein schwarzer Tag. Bei Antisemitismus kennen wir bei der Berliner Morgenpost keine Kompromisse. Egal, in welcher Form er auftritt. Ich nehme an, das sehen viele von Ihnen wie wir. Herr Alter, ich freue mich sehr, dass Sie heute hier bei uns sind.

Es gab ein weiteres Verbrechen, das Berlin - ja, die ganze Republik aufgewühlt hat – der feige Mord an Jonny K. auf dem Alexanderplatz. Seine Schwester Tina hielt seine Hand, als er starb. Heute ist sie bei uns. Herzlich willkommen, liebe Tina. Sie haben erlebt, wie brutal diese Stadt sein kann - und wie mitfühlend zugleich. Ich habe großen Respekt vor der bedächtigen, zurückhaltenden Art, mit der Sie und Ihre Familie diese Tragödie bewältigt haben. Bei aller Wut, allem Schmerz, dafür danke ich Ihnen ganz persönlich.

Ich wünsche mir für 2013 in dieser Stadt eine konsequente Haltung gegenüber allen Gewalttaten. Ganz gleich aus welchem Motiv. Berlin wird nur dann lebenswert bleiben, wenn wir uns gemeinsam gegen jeden stellen, der die Liberalität dieser Stadt missbraucht. Und: Wenn wir all jenen Respekt entgegenbringen, die etwas bewegen.

Eine Frage nach Gerechtigkeit

In seiner neuen Hymne auf Berlin singt David Bowie „Where are we now?“. Diese Frage stellen sich einige Menschen in dieser Stadt ganz besonders – und mit Ihnen viele in dieser Republik: Wo stehen wir mit dem Flughafen? Wo stehen wir mit dem Aufsichtsrat? Wo stehen wir mit den politischen Mehrheiten in der Stadt? Und überhaupt: Wo steht uns der Kopf?

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle die große Koalition im Roten Rathaus als Signal für Aufbruch und Dynamik interpretiert. So viel zu meinem Prognosetalent.

Der Flughafen Berlin-Brandenburg ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Wirtschaft nicht funktioniert. Keine Currywurst-Bude dürfte es sich erlauben, so zu planen. Wir reden viel über Gerechtigkeit in Berlin. Hier erleben wir den Realitätscheck. Wie erklären wir das BER-Debakel dem kleinen Selbstständigen, der jeden Monat das Geld für seine Steuervorauszahlung vorstrecken muss? Wie können wir Wählern Politikverdrossenheit vorwerfen? Und: Wie gewinnt man dieses verspielte Vertrauen zurück? Ganz ehrlich, ich bin etwas ratlos.

Aber Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht auch anders ginge. Deswegen gibt es hier zum Glück auch eine ganz andere Dynamik und den Geist von Aufbruch, von Machen, Wollen und Können. Ein gewisser Johann Georg Halske war von 1825 bis 1828 Schüler am Grauen Kloster. Er ging in der Ritterstraße, ganz in der Nähe unseres Verlages, in die Lehre.

1847 gründeten Halske und ein gewisser Werner Siemens die „Telegraphie-Bauanstalt“. Sie hatten sich bewusst für Berlin entschieden. Ahnte damals irgendjemand, dass hier eine Innovationskraft entstehen würde, die die Welt verändert? Nein, diese jungen Männer wurden als Spinner abgetan. Aber ohne diese beiden Start-Upper gäbe es heute vermutlich weder die Telekom noch Apple oder Google.

Liebe Münchner, wir gönnen Euch den Siemens-Konzern, möchten aber bei der rituell geführten Debatte um den Länderfinanzausgleich darauf hinweisen, dass das Unternehmen in Berlin gegründet und groß wurde.

Ob Apple, Facebook oder Amazon – alle digitalen Giganten haben ihre Wurzeln im Silicon Valley. Wie konnte dort, mitten in der Pampa, diese unbändige Gründerenergie entstehen? In den 30er-Jahren machte sich Professor Frederick Terman Sorgen um die Attraktivität der Universität Stanford. Was hat er getan? Zuerst hat Terman zunächst Platz geschaffen. Dann hat er Geld besorgt. Und er hat sich gekümmert. Um jeden einzelnen seiner Studenten. Terman hat seinen Gründern das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Seine Studenten William Hewlett und David Packard kehrten zurück ins Valley, obwohl ihre Frauen eigentlich in die Stadt wollten. Sie gründeten in einer Garage Hewlett Packard – es war die Geburtsstunde des Silicon Valley.

Meine Damen und Herren, schauen Sie aus dem Fenster. In Berlin haben wir alles, was Professor Terman damals auch hatte. Dazu eine unglaublich spannende, attraktive, manchmal sogar fröhliche Stadt. Wir wissen nicht, ob jemals ein neuer Halske oder Gates aus Mitte kommt. Aber wir können die Bedingungen dazu verbessern.

Jeden Tag werden in Berlin zwei bis drei neue Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnik-Branche gegründet, vom Internet-Händler über den Spiele-Entwickler bis zum Industrie-Dienstleister. Diese Unternehmen machen bereits fünf Prozent der Berliner Wirtschaft aus. Mit 50.000 Beschäftigten aus allen Ländern der Welt. Tendenz stark steigend. Allein im ersten Halbjahr 2012 flossen 370 Millionen Euro Risiko-Kapital in die Stadt. So viel wie in kein anderes deutsches Bundesland.

Was Berlin noch fehlte, war eine richtig große, international beachtete Start-up-Konferenz. So wie die TechCrunch Disrupt in San Francisco oder LeWeb in Paris. Eine solche wird es in Berlin demnächst geben. Sie heißt hy! Berlin und tagt nächste Woche, am 18. und 19. Januar, im Radialsystem. Axel Springer unterstützt diese Konferenz, die von den zwei jungen Berlinern Aydogan Ali Schosswald und Hans Raffauf ins Leben gerufen wurde.

„Die Zukunft umarmen und mit dem Bewährten verzahnen“

Aus Berlin für Berlin. Wer hier etwas bewegen will, der weiß: Wir müssen die Zukunft umarmen und mit dem Bewährten verzahnen. So wie die Berliner Morgenpost. Sie ist und bleibt die starke Marke für Berlin – als Zeitung, im Web, als App.

Wir von der Morgenpost werden uns künftig noch intensiver um die Szene der Gründer kümmern. Um Bastler, Risiko-Kapitalisten und Visionäre. Morgen beginnt eine große Serie zur Gründerstadt Berlin; und wir freuen uns darauf, gemeinsam mit media.net berlinbrandenburg eine Start-up-Runde einrichten zu können. Dort werden wir regelmäßig die wichtigsten Köpfe der Stadt und der Szene zusammenbringen. Wo findet das statt? Am Kudamm. In der ehemaligen Wohnung unseres Start-uppers: Axel Springer!

Berlin ist eine offene Stadt. Deswegen wollen wir von der Berliner Morgenpost ab sofort noch sichtbarer, spürbarer, hörbarer unterwegs sein. Facebook hin, Smartphone her: die wichtigste Kultur ist der Dialog zwischen den Menschen. 2013 werden wir unsere Reporter und Redakteure auf die Stadt loslassen, um mit Bürgern, mit Würdenträgern, mit Verantwortlichen, mit Ihnen persönlich zu diskutieren. In Schulen, Vereinsheimen und Kneipen. Sie wollen mit Hajo Schumacher über Angela Merkel diskutieren, mit Christine Richter über den Senat, mit Uwe Bremer über Hertha? Oder Sie wollen mit mir Klartext reden? Wir werden es Ihnen anbieten. Sie werden uns noch besser kennenlernen – und wir Sie. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass 2013 ein herausragendes Jahr wird.

Vielen Dank.