Die Anwohner sind in Sorge
In Zehlendorf werden bald die Häuschen zwangsgeräumt. Ein russischer Immobilienfonds hat ganze Straßenzüge gekauft. Auf dem Teufelsberg soll das größte Wellnessbad Europas entstehen, die Rutsche reicht über Hausdächer hinweg bis zur Avus. Und in Schmargendorf wird eine Kartbahn durch die 30er-Zonen gelegt – ein total innovatives Projekt, Kunst und Wissenschaft und so. Könnte sein, dass sich der Berliner bei solchen Projekten wehrt. So wie er sich gegen Fluglärm und Wasserpreise gewehrt hat. Gut so. Die Menschen müssen nicht jeden Firlefanz mitmachen, den sich berlinbesoffene Immobilien-, Marketing- und Wachstumsstrategen ausdenken. Kiez ist, was man verteidigt. Heimat.
Damit eines klar ist: Es geht hier keineswegs um Verständnis für das wirre Treiben selbst ernannter Rächer, die die Freiheiten der Demokratie missbrauchen, um Demokratie zu demontieren. Gewalt ist nie hinzunehmen. Es geht vielmehr um den schützenswerten Kern Berlins. Wir müssen Verständnis haben, weil die Kreuzberger verteidigen, was allen Berlinern gehört: den öffentlichen Raum. Und über dessen Verwendung wird ein Kiez noch mit entscheiden dürfen – mit allen Konsequenzen.
Wird mit der Hauptstadt geworben, tauchen zuverlässig zwei Bilderwelten auf: hier das Preußische, mit Brandenburger Tor, dort das Punkige, junge Menschen ohne Bausparvertrag. Punk und Preußen, das sind die Pole, dazwischen liegt einiges mehr. Liberalität macht Berlins Reiz aus, der auch Geduld erfordert. Zusammenleben meint nicht multikulturelles Straßenfest, sondern lebenswerte Kieze, wo jeder seinen Platz findet. Wer weder Graffiti noch Döner mag, bleibt weg aus Kreuzberg.
Gerade wegen dieser einzigartigen Mischung zog es den Autokonzern und style-bewusste Kunstkuratoren ja auf die Brache am Wasser. Die kleinen Läden, die schrägen Leute, all das ungezügelt Kreative sollte die Kulisse bilden für ... ja, für was eigentlich? Moderne Urbanität? Denkfabrik? Unsinn. Natürlich ging es um Marketing. In der Stadt der Zukunft wird es nicht mehr, sondern weniger Autos geben. Und in kunstvollen Pavillons mischt die Industrie nun eben mit bei dieser Debatte, weniger aus Freude am Menschen als aus Sorge um Umsatz. Der Pavillon ist kein Weltkulturerbe, sondern macht schlau Werbung, in ureigenstem Interesse. Das ist völlig in Ordnung.
Die Kreuzberger, wie viele andere Berliner, sind ebenfalls in Sorge, aber nicht um die Automobilindustrie, sondern um ihr Leben. Mieten steigen. Menschen müssen wegziehen. Kieze kippen, während die Senatoren bei den Mieten Kindergarten spielen. Exakt die bunte Mischung, die die Reklamemenschen so exotisch finden, wird vertrieben, siehe Prenzlauer Berg. Wer Angst um seine Bleibe hat, empfindet von Sicherheitsdiensten abgeschirmte Limousinenflotten nicht als Geschenk des Fortschritts. Man kann den Pavillon auch als Provokation begreifen, wie ein Occupy-Zelt vorm U-Bahnhof Dahlem.
Es war entweder Unverständnis oder Krawalllust, die die Planer getrieben hat. Wer die Stadt wirklich versteht, findet hier problemlos eine Brache für jeden Marketing-Schnickschnack. Berlin ist eben auch, wenn der Mensch sich nicht alles gefallen lässt, weder am Wannsee noch im Wedding. Es tut der Stadt und ihrem Ruf gut, wenn sich Bürger auch mal sperrig zeigen.
Wer es in Berlin schafft, der schafft es überall, hat Harald Juhnke gesungen. BMW und Guggenheim haben es hier nicht geschafft. Die Nächsten werden es klüger anstellen.
Die Stadt braucht Investoren
Es geht um mehr als die Vertreibung von BMW Guggenheim Lab aus Kreuzberg. Es geht, das ist leider nicht übertrieben, um die Zukunft dieser Stadt. Wer Investoren, Stadtsanierer oder wie im konkreten Fall selbst internationale Denkforen durch Androhung per Wort und Tat zum Rückzug drängt, versündigt sich an dieser Stadt. Aber am Wohle Berlins, am wirtschaftlichen Aufschwung samt Minderung der Arbeitslosigkeit, die in dieser Stadt noch immer mit zur höchsten im Lande zählt, sind diese provinziellen Spießer aus dem vorwiegend linken Spektrum ja ohnehin nicht interessiert. Allenfalls an der pünktlichen Überweisung staatlicher Transferzahlungen.
Sie wollen ihren angestammten Kiez, in den viele selbst irgendwann eingedrungen sind und Alteingesessene vertrieben haben, in der ihnen lieb gewordenen Ausprägung, auch Piefigkeit, über die Zeit retten. Dabei rollen jetzt in Kreuzberg nicht wie einst in den Sechzigerjahren massenhaft Abrissbagger an. Es geht um die Nutzung und Entwicklung insbesondere des Spreeufers, das dort kilometerlang in Ausprägung von Ruinen ähnlichen Bauwerken und Brachen vor sich hin gammelt. Die von radikalen Wortführern beschworene Gentrifizierung, also das Verdrängen der Bewohner durch zahlungskräftigere Bevölkerungsschichten, trifft allenfalls bedingt zu.
Dass es auch den Kritikern in Wahrheit um viel mehr geht, nämlich ganz generell darum, die Ansiedlung großer Unternehmen zu verhindern, daraus machen sie gar keinen Hehl. Nicht anders ist ihre Ankündigung zu verstehen, nach der Vertreibung von BMW Guggenheim jetzt auch Daimler-Benz und Coca-Cola vom Spreeufer zu vergraulen.
Berlin kann, Berlin darf sich solche Feindschaft gegenüber Investoren, selbst wenn sie nur von kleinen Gruppen befeuert wird, nicht leisten. Weil Berlin mehr Wirtschaftskraft, mehr Arbeitsplätze und damit verbunden höhere Einkommen für die Menschen in dieser Stadt braucht. Nur dann gibt es Hoffnung, die Probleme, die eine Metropole hat, im ersten Schritt zu entschärfen, im zweiten zu lösen. Denn allein Wirtschaftskraft schafft Steuerkraft. Die wiederum ist Voraussetzung dafür, dass in dieser Stadt endlich wieder gestaltet wird und nicht länger vorwiegend Schulden verwaltet werden.
Aber es nützt nicht viel, wenn die Verantwortlichen dieser Stadt in nah und fern – wie in den nächsten Tagen der Regierende Bürgermeister mit einer großen Wirtschaftsdelegation in Indien – von der Weltoffenheit und Toleranz Berlins schwärmen, die Realität aber eine andere ist. Für interessierte Investoren in New York, Mumbai (früher Bombay) oder Hongkong gibt es Kreuzberg nicht. Sie kennen allein den Namen Berlin. Wenn über den schlecht gesprochen wird, stimmt das vor allem potenzielle ausländische Investoren nachdenklich. Mitglieder großer internationaler Unternehmen oder Thinktanks wie BMW Guggenheim Lab behalten ja ihre Erfahrungen auch mit Berlin – positive wie negative – nicht für sich. Viel spricht sich schnell herum unter den Global Players. Wie vor Jahren Klaus Wowereits schnöde Abweisung des US-Milliardärs Ronald Lauder („Wir brauchen keinen reichen Onkel aus Amerika“), als der am Flughafen Tempelhof investieren wollte.
Investoren ziehen weiter, wenn sie nicht erwünscht sind. Auch BMW und Guggenheim sind nicht auf unsere Stadt angewiesen. Wir aber brauchen sie und viele andere Investoren, wenn Berlin lebenswert bleiben und auf Dauer nicht zu einem Armenhaus verkommen soll.