Mehr als zwei Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers können die Gläubiger langsam auf Geld hoffen. Bis zum Dezember will der Insolvenzverwalter einen Plan zur Abstimmung vorlegen, wer denn nun welchen Anteil aus dem verbliebenen Vermögen des einst so mächtigen Wall-Street-Hauses erhält. Bis zum März 2011 soll der Plan dann in trockenen Tüchern sein. Hunderte Milliarden Dollar an Forderungen dürften wenige Dutzend Milliarden an Restvermögen gegenüberstehen.
Die Unternehmensberatung Alvarez & Marsal sucht derzeit nach Lösungen, um das Gros der Gläubiger zufriedenzustellen. Kürzlich veröffentlichte sie einen Zwischenstand und warnte gleichzeitig: „Wenn kein Kompromiss erzielt werden kann, werden wir notwendigerweise andere Alternativen verfolgen.“ Wer einen Dollar investiert hat, darf damit rechnen, um die 20 Cent herauszubekommen. Für manche ist das enttäuschend, andere sind froh, überhaupt noch etwas zurückzuerhalten.
Problem ist es, die eingereichten Forderungen zurechtzustutzen. Zwischenzeitlich lag die Höhe bei schwindelerregenden 1162 Milliarden Dollar (nach aktuellem Stand 867 Milliarden Euro). Ein Viertel davon war gegen Tochtergesellschaften gerichtet, auch im Ausland. Das erschwerte das Prozedere. In den vergangenen sechs Monaten seien aber große Fortschritte erzielt worden, teilte Alvarez & Marsal mit: „Die Gespräche laufen.“
Im März diesen Jahres hatten die Insolvenzverwalter bereits einen Plan vorgelegt, um die Gläubiger auszahlen zu können. Doch es brach ein Sturm der Entrüstung los. Viele Opfer der Pleite fühlten sich benachteiligt. Momentan kalkulieren die Insolvenzexperten mit berechtigten Forderungen zwischen 250 und 350 Milliarden Dollar. Dem stehen aktuell Vermögenswerte von 21,1 Milliarden Dollar gegenüber. Am Ende sollen es unterm Strich 57,5 Milliarden Dollar sein, nicht zuletzt gespeist durch Schadenersatz-Klagen gegen Großbanken wie Barclays, JP Morgan Chase und Bank of America. Sie sollen sich auf Kosten von Lehman bereichert haben.
Auch eine Tochter der Deutschen Bank ist jüngst ins Visier geraten. Ursprünglich waren mehr als 65.000 Forderungen eingegangen. Eine Heerschar von Anwälten und Unternehmensberatern durchforstet die Bücher von Lehman und sichtet die Ansprüche – und kassiert dafür Spitzenlöhne von auch mal 1000 Dollar die Stunde. Die Kosten für die Abwicklung kratzen bereits an der Milliarden-Dollar-Marke.
Die Lehman-Verwalter spekulieren allerdings fleißig mit dem vorhandenen Geld, um es zu mehren. Sie treiben Außenstände ein und versuchen sogar, Dritten ihre Dienste als Vermögensverwalter anzudienen. Dafür wurde eigens ein Unternehmen namens Lamco gegründet. Jeder Dollar zählt. So kommen am Samstag sogar die Kunstwerke der ehedem so stolzen Investmentbank unter den Hammer. Vor allem handelt es sich dabei um Bilder, die in der Firmenzentrale nahe des New Yorker Times Square hingen. Das Auktionshaus Sotheby’s schätzt, dass die mehr als 400 Stücke gut zehn Millionen Dollar einbringen werden. Darunter sind Arbeiten von Damien Hirst, Gerhard Richter oder Richard Prince.
Die wahren Werte von Lehman Brothers sind aber längst verhökert: Das Kerngeschäft in den USA schnappte sich der britische Rivale Barclays. Er zog auch in das repräsentative Hauptquartier mitten in Manhattan ein, das durch seine umlaufenden Leuchtbänder weltberühmt wurde. Bis heute streiten sich Insolvenzverwalter und Barclays um den Preis von schlappen 1,75 Milliarden Dollar. Große Teile des Europageschäfts gingen an die japanische Nomura-Finanzholding. Der weitaus größte Teil des Vermögens von Lehman Brothers ist aber schlicht für immer und ewig weg. Die Bank hatte wie so viele Rivalen auf einen anhaltenden Boom des US-Häusermarkts gesetzt und milliardenschwere Finanzwetten darauf abgeschlossen. Als die Immobilienblase platzte, ging Lehman das Geld aus. Alle Hilferufe an die Politik verhallten ungehört, kein Konkurrent wollte sich die Finger verbrennen.