Berlin. Die Bahn freut sich über einen Boom bei den Fahrgästen. Doch höhere Kosten und der mögliche Tarifabschluss drücken auf die Bilanz.

Gute Nachrichten von der Deutschen Bahn sind selten. Eine konnte Bahnchef Richard Lutz bei der Vorstellung der Bilanz des ersten Halbjahrs aber verkünden. „Wir haben einen Boom beim Bahnfahren“, stellt er fest. 68 Millionen Fahrgäste waren bis Ende Juni im Fernverkehr der Bahn unterwegs, ein Zuwachs um mehr als 15 Prozent. Sie sorgten für einen Rekord bei der Verkehrsleistung. Im ersten Halbjahr stieg der Umsatz um 36 Prozent auf rund 2,9 Milliarden Euro. Und erstmals seit Beginn der Pandemie 2020 könnte die Sparte in diesem Jahr wieder schwarze Zahlen schreiben. Darüber hinaus fällt die Bilanz allerdings nicht so gut aus.

Unterm Strich steht bei einem Umsatz von 21 Milliarden Euro ein Minus von 71 Millionen Euro in der Bilanz. Dabei läuft es im eigentlichen Geschäft dank der Spedition Schlenker gar nicht schlecht. Mehr als 620 Millionen Euro Gewinn fuhr das Transportunternehmen ein. Im vergangenen Jahr waren es noch 1,2 Milliarden Euro. Doch die Frachtraten sind rückläufig, nachdem die Pandemie Probleme in den Lieferketten und ungewöhnlich hohe Preise in der Logistik nach sich zog. Dennoch ist Schenker mit einem Umsatz von gut zehn Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten der Gewinnbringer der Deutschen Bahn. Wie lange das noch so ist, ließ Finanzvorstand Levin Holle offen.

Bahn will Teile des Konzerns verkaufen

Der Verkauf von Schenker werde weiter geprüft, sagt er. Dass sich die Bahn von der Spedition ganz oder teilweise trennt, ist wahrscheinlich. Denn die Bahn drücken Verbindlichkeiten von über 30 Milliarden Euro. Der Erlös aus dem Verkauf von Schenker soll für den Abbau des Schuldenbergs sorgen.

Auf der Verkaufsliste steht auch die britische Tochter Arriva, die mit Nahverkehr Geld verdient und nach einigen verlustreichen Jahren wieder schwarze Zahlen schreibt. Sorgenkind bleibt auch der Güterverkehr, der weiterhin in der Verlustzone bleibt und einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingt. Die privaten Güterbahnen sprechen schon von einem „Selbstzerstörungsprogramm“, das gestoppt werden müsse. Die Wettbewerber lehnen vor allem die hohen Subventionen für Einzelwagentransporte ab, die der Bund gewähren will. Sie werfen der Bahn auch eine „Dumpingstrategie“ vor, bei der Transporte zu Preisen unterhalb der eigenen Kosten angeboten werden.

Höhere Ticketpreise, um die Bahn in schwarze Zahlen zu bekommen?

Doch für das Minus in der Bilanz macht der Bahnchef andere Faktoren verantwortlich. Steigende Kosten und hohe Investitionen in die Infrastruktur würden die Bahn belasten, sagt er. Aus eigenen Mittel hat das Unternehmen in diesem Jahr bisher über drei Milliarden Euro ins Schienennetz gesteckt. Lutz begreift den Aufwand als Vorleistung für die ab dem kommenden Jahr höheren Zuweisungen des Bundes für die Infrastruktur. „Aktuell sind wir nicht in der Lage, unsere laufenden Investitionen aus den Einnahmen zu finanzieren“, betont Lutz.

15 Prozent mehr Passagiere verbucht die Bahn.Trotzdem fährt der Konzern Verluste ein.
15 Prozent mehr Passagiere verbucht die Bahn.Trotzdem fährt der Konzern Verluste ein. © dpa | Anne Stein

Ein weiterer Kostenblock kommt voraussichtlich bald dazu. Denn der Tarifabschluss mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wird die laufenden Kosten weiter erhöhen, sollten die EVG-Mitglieder den ausgehandelten Schlichtungsvorschlag in einer Urabstimmung annehmen. Im Oktober erhalten die rund 180.000 Tarifbeschäftigten dann eine Inflationsausgleichsprämie von 2850 Euro. Ab Dezember steigen alle Löhne und Gehälter dann um 200 Euro monatlich. Im August 2024 kommen weitere 210 Euro obendrauf. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lobt die Schlichterempfehlung und hofft auf ein Ende des monatelangen Tarifstreits. Weitere Streiks würden nicht die die aktuelle wirtschaftlich Lage passen.

An diesem Freitag berät der Vorstand der EVG das Ergebnis der Schlichtung. Rät die Gewerkschaftsspitze einhellig zur Annahme des Kompromisses, wird ein positives Votum der Mitglieder wahrscheinlich. Am 28. August soll das Ergebnis der Abstimmung bekannt gegeben werden.

Die hohe Kostenbelastung will Finanzvorstand Holle durch die höheren Einnahmen auffangen. Die Verkehrsleistung soll weiter erhöht werden. Auch höhere Ticketpreise könnten für einen steigenden Umsatz sorgen. Dazu wollte sich Lutz noch nicht äußern. Über Preisanpassungen entscheidet in der Regel der Aufsichtsrat der Bahn auf seiner Sitzung im September.

Bahn wird immer unpünktlicher

Die Fahrgäste trotzen den Qualitätsmängeln im Bahnverkehr, die noch zunehmen werden. Im Halbjahresbericht räumt die Bahn ein, dass sie die Pünktlichkeitsziele im laufenden Jahr wohl verfehlen wird. Gerade einmal 61 Prozent der Züge sind fahrplangemäß unterwegs. Im vergangenen Jahr waren es noch 69 Prozent. Mit der Totalsanierung zwischen Frankfurt und Mannheim im kommenden Jahr wird sich die Lage vermutlich noch einmal für einige Monate verschlechtern. Die Strecke wird für die Modernisierung komplett gesperrt. Derzeit bereitet die Bahn Ersatzfahrpläne vor. Unter anderem werden 400 Busse die Nahverkehrszüge ersetzen.

Die Wettbewerber der Bahn drängen auf eine baldige Sanierung der Infrastruktur. „Lange geht es nicht mehr gut mit Deutschlands größtem Staatsunternehmen“, kritisiert der Chef des Verbands Mofair, Matthias Stoffregen. Die Politik müsse sagen, wie viel ihr die Schiene wert ist und wie sichergestellt werden kann, dass das Geld nicht im Bahnkonzern verschwindet. Die Branche hofft dabei vor allem auf die Umwandlung der Infrastruktursparte in ein gemeinnütziges Unternehmen, die für das kommende Jahr geplant ist.