Nachtleben

Überleben die Clubs die Corona-Pandemie? So ist die Lage

| Lesedauer: 6 Minuten
Frances Theres Beier
Bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 14,5

Bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 14,5

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen ist erneut gestiegen. Sie liegt jetzt bei 14,5 - vor einer Woche betrug sie noch 10,9.

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Auch im zweiten Corona-Herbst müssen wohl die meisten Clubs geschlossen bleiben – überlebt die Branche? Das sind die Aussichten.

Berlin. Knapp zwei Wochen hielt die wiedergewonnene Freiheit an – dann mussten die Clubs und Diskotheken in den Niederlanden schon wieder schließen. Die Sieben-Tage-Inzidenz schnellte in kürzester Zeit auf über 400 in die Höhe. Im Kampf gegen die stark steigenden Corona-Infektionszahlen nahm die Regierung viele Lockerungen, die vor allem das Nachtleben betrafen, zurück.

Als ein Grund gelten Vorfälle wie dieser: Allein 200 Menschen infizierten sich Anfang Juli in einem Nachtclub in Enschede nahe der deutschen Grenze, obwohl der Zugang nur mit einem negativen Corona-Test oder Impfnachweis möglich war.

Getestet, geimpft oder genesen muss man auch in Österreich sein, um die Clubs zu besuchen, die am 1. Juli öffneten. Zwar hat sich die Inzidenz seitdem mehr als verdoppelt. Mit 28 liegt sie aber immer noch weit unter dem Wert der Niederlande. Auch in Deutschland nimmt das Nachtleben nach über einem Jahr Stillstand wieder Fahrt auf. Kommt damit die Rettung für die in der Pandemie schwer angeschlagene Branche?

Verschiedene Modellprojekte mit wissenschaftlicher Begleitung – etwa in Schleswig-Holstein – oder ausgelassene Tanzpartys im Freien gibt es bereits wieder. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kündigte kürzlich an, Clubs für Geimpfte im Herbst wieder vollständig öffnen zu wollen.

Erst muss die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden

Doch die ersten Erfahrungen zeigen: Unbeschwertes Feiern ist noch längst nicht wieder möglich. Nachdem sich vor zwei Wochen ein Gast in Osnabrück mit dem Coronavirus infiziert hatte, drohte bis zu 1370 Partygängern die Quarantäne. In Hannover müssen sich jetzt 3000 Leute isolieren. Die Fälle häufen sich.

Mit aller Macht zu früh wieder zur Normalität zurückzukehren – das hält Pamela Schobeß für bedenklich. Die Berliner Clubinhaberin und Sprecherin des Musikspielstättenverbands Livekomm hat die Situation in den Niederlanden genau beobachtet.

Sie ist überzeugt, dass es in den Clubs erst weitergehen kann, wenn die Pandemie unter Kontrolle gebracht ist. „Das funktioniert nur, wenn wir eine gewisse Impfquote erreicht haben. Was nützt es, jetzt auf Biegen und Brechen zu öffnen und im Zweifel selbst damit die Inzidenz hochzutreiben?“

Von einer Öffnung mit Schutzmaßnahmen, die eine Beschränkung der Kapazität vorsehen, hält die Clubbetreiberin nichts: „Wirtschaftlich ist das ohne eine zusätzliche Förderung nicht umzusetzen. Bei den Auflagen hätte man mehr Personal als Gäste, und eine Clubkultur mit Abstand und Maske ist unmöglich, das haben viele noch nicht verstanden.“

Ständige Ungewissheit wird zur Dauerbelastung

Die Corona-Pandemie hat die Branche mit rund 2000 Musikspielstätten wie kaum eine andere getroffen. Seit März 2020 müssen die Türen der meisten Clubs geschlossen bleiben. Nur die Corona-Hilfen vom Staat, mit denen sich viele Betriebe von Monat zu Monat hangeln, hielten die Läden noch am Laufen, sagt die Verbandsvertreterin.

Die ständige Ungewissheit werde zu einer Dauerbelastung. Schobeß kritisiert, dass sich die Politik keine Exit-Strategien zurechtgelegt hat, nachdem im vergangenen Jahr klar wurde, dass die Pandemie noch eine ganze Weile anhalten wird.

Die Tatsache, dass in der Partyhauptstadt Berlin bisher „noch kein Club verloren gegangen ist“, wie Schobeß sagt, zeige, dass die finanziellen Hilfen greifen. Sie halten eine Branche über Wasser, die allein in Berlin in normalen Zeiten inklusive nachgelagerter Dienstleistungen einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro generiert. Mehr zum Thema: Mallorca – Diese Idee soll das Chaos am Ballermann stoppen

Der Umsatzrückgang, den die Musikspielstätten durch die Corona-Pandemie bisher erlitten haben, liegt seit Mitte März 2020 bei 90 Prozent, das geht aus der vom Bund finanzierten „Clubstudie“ der Initiative Musik hervor. Um den Betrieb am Laufen zu halten, setzt jeder fünfte Betreiber in der Pandemie vermehrt auf Open-Air-Programme.

Die meisten Clubs wollen trotz Corona weitermachen

Ans Aufgeben denken die wenigsten. Eine deutliche Mehrheit will ihre Räumlichkeiten weiter als Ort der Begegnung von Publikum und Künstlern nutzen. So sollen Konzerte in Musikspielstätten mit Publikum weiter unverzichtbar bleiben und zum Erhalt der Clubkultur beitragen. Ein Großteil der Betreiber rechnet damit, dass eine Rückkehr zu den vorherigen Umsatzniveaus nicht vor dem Jahr 2022 zu erwarten ist.

Oppositionspolitiker kreiden der Bundesregierung an, sie habe nicht genug unternommen, um das Überleben der Clubs zu sichern. Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linke-Fraktion im Bundestag, plädiert dafür, die Impfkampagne gemeinsam mit der Clubszene zu organisieren.

„Viele Mitarbeiter haben schon in diesem Jahr in den Impfzentren gearbeitet und kennen sich bestens aus. Mit ihrer Unterstützung käme man hervorragend an die jüngeren Jahrgänge heran“, sagt Korte unserer Redaktion. Damit die Branche überlebt, müssten Hilfsprogramme und Kurzarbeit weitergeführt werden.

FDP-Fraktionsvize: „Die vielen Clubs brauchen Sicherheit“

FDP-Fraktionsvize Michael Theurer pocht auf eine verlässliche Perspektive für die Clubs. „Wir brauchen jetzt mobile Impfteams in der Fläche, die Menschen davon überzeugen, dass das Impfen entscheidend ist. Die vielen Clubs und Soloselbstständigen brauchen die Sicherheit, dass im Herbst nicht sofort wieder alles dichtgemacht wird, weil der Impffortschritt doch nicht so erfolgreich war wie gehofft.“

Doch mit Blick auf den zweiten Corona-Herbst zeigt sich, dass es für die Branche erneut schwierig wird. Die Bundespolitik hat die Massenausbrüche in niederländischen Clubs aufmerksam beobachtet. Deshalb bleibt fraglich, ob eine Öffnung angesichts der Erfahrungen aus dem Nachbarland und einer fehlenden Herdenimmunität möglich sein wird.