Berlin. Ein Drittel des urbanen Lieferverkehrs könnte bald über die Cargo-Bikes erfolgen. Doch der Weg dorthin ist noch weit.
Was Lastenräder leisten können, ist in Berlin bereits zu sehen gewesen: Ein Jahr lang hatten fünf große Paketdienstleister in Prenzlauer Berg ein gemeinsames Mikrodepot genutzt und von dort aus Sendungen mit Lastenfahrrädern zu ihren Empfängern gebracht. Bis zu elf Elektro-Cargo-Bikes waren täglich im Einsatz, 160.000 Pakete wurden im Rahmen des Modellprojekts „Komodo“ ausgeliefert. Etwa elf Tonnen Kohlenstoffdioxid konnten eingespart werden, weil die Sendungen nicht mit herkömmlichen Lieferwagen, sondern mit den umweltfreundlichen Lastenrädern unterwegs waren.
Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther (Grüne), zog nach dem Ende der Testphase im Mai dieses Jahres ein positives Fazit: „Der Praxistest hat eindrucksvoll gezeigt, wie moderner, umwelt- und klimafreundlicher Lieferverkehr funktionieren kann. Mikrodepots und Lastenräder können eine effiziente Lösung für die letzte Meile bei Paketlieferungen sein. Ich freue mich, dass unser Pilotprojekt so positiv verlaufen ist“, sagte sie. Die Cargo-Bikes hält die Senatorin für einen wichtigen Baustein, wenn es um die Neuorganisation des innerstädtischen Verkehrs geht. Warum der Senat auf die Cargo-Bikes setzt, will Günther am heutigen Freitag auch bei der Eröffnung der ersten nationalen Radlogistik-Konferenz in Berlin erklären.
Experte fordert Verbesserungen bei Infrastruktur und politischen Rahmenbedingungen
Mehr als 200 Branchenvertreter treffen im Rahmen der Konferenz zusammen. Auf verschiedenen Podien diskutieren Vertreter aus Unternehmen, Verbänden, Forschung und Politik unter anderem über die Zukunft der Radlogistik, Konzepte für Mikrodepots und notwendige Veränderungen bei politischen Rahmenbedingungen.
Nicht nur Politiker, auch Experten wie Ralf Bogdanski sehen in den Cargo-Bikes großes Potenzial. „Die Lastenrad-Logistik könnten perspektivisch etwa 30 Prozent des urbanen Lieferverkehrs abdecken“, sagte Bogdanski, der Professor an der Technischen Universität Nürnberg ist, vor Beginn der Konferenz. Nötig sei dafür nicht nur ein Ausbau der Radwege-Infrastruktur. Auch politische Rahmenbedingungen müssten sich verändern.
Bogdanski plädiert etwa für eine Aufweichung der sogenannten Radwegebenutzungspflicht für Lastenräder. Teilweise müssten die Bikes auf die Gehwege ausweichen. Dafür gebe es aber noch keine gesetzliche Grundlage. Ein anderer gesetzlicher Rahmen sei auch mit Blick auf den Antrieb der Lastenräder nötig. Derzeit darf bei den Pedelecs die Unterstützungsleistung durch den Elektromotor bei maximal 250 Watt liegen. Das sei zu wenig, sagte Bogdanski, der sich für einen stärkeren Dialog mit der Politik aussprach.
Branche sollte sich auf Standards einigen
Aber auch die Branche an sich habe noch Hausaufgaben zu erledigen, sagte Bogdanski. Sollten Lastenräder künftig tatsächlich einen größeren Teil des Lieferverkehrs übernehmen, müssten sich die Hersteller der Bikes auf Standards einigen, etwa im Bereich Fahrwerk oder Bremsen, so der Wissenschaftler. Bogdanski schlug auch eine einheitliche Größe von Wechselbehältern vor und nannte die Europalette aus der alten Logistik-Welt als Vorbild. Hersteller und Komponentenzulieferer für Lastenräder sind inzwischen auch in Berlin zu finden. Veleon und Pedal Power fertigen ihre Produkte noch im kleineren Maßstab. Citkar arbeitet in Neukölln bereits am Aufbau einer Serienfertigung. Greenpack bietet sogenannte Wechselakkus an, die auch in Lastenräder eingebaut werden können.
In der deutschen Hauptstadt sollen angelehnt an das Modellprojekt „Komodo“ weitere Mikrodepots aufgebaut werden. Derzeit werde gemeinsam mit den Bezirken nach geeigneten Standorten gesucht, teilte die Verkehrsverwaltung mit. Experten wie Ralf Bogdanski fordern, für die Mikrodepots mehr innerstädtische Flächen zur Verfügung zu stellen. Um die Waren in die Stadt zu bringen, sei aber auch in Zukunft Zulieferverkehr mit Lastwagen nötig, so Bogdanski.
Lastwagen weiter wichtig für die Versorgung
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin sieht einen stärkeren Fokus auf Lastenrad-Verkehr positiv. Die Verlagerung von motorisiertem Verkehr auf Fahrräder entlaste Luft und Klima und schaffe dringend benötigten Platz im Straßenraum, sagte Jörg Nolte, Geschäftsführer Wirtschaft und Politik der Kammer. Die Stärke der E-Lastenräder sei vor allem das Ausbringen kleiner und leichter Güter über kurze Distanzen. Dafür brauche es aber Mikrodepots. „Nach dem erfolgreichen Berliner Pilotprojekt Komodo warten wir auf ein Senatskonzept für ganz Berlin. Hier sind auch die Bezirksämter gefordert, passende Flächen bereitzustellen“, sagte Nolte.
Für den Großteil der transportierten Waren gebe es aber keine andere Alternative als den Lkw. Das dürfe man nicht vergessen, so Nolte. „Auch deren Anforderungen gilt es beim Umbau der Berliner Straßen zu berücksichtigen, damit die Ver- und Entsorgung der Stadt gewährleistet bleibt“, erklärte er.