Kommission in Brüssel legt neue Strategie vor: Bis 2030 sollen alle Verpackungen wiederverwertbar sein. Sondersteuer kommt nicht
Es ist eine düstere Vision, die die EU-Kommission zum Handeln antreibt: „Wenn wir weiter so viel Plastik produzieren und wegwerfen wie bisher, dann wird es im Jahr 2050 mehr Plastikmüll in den Meeren geben als Fische“, warnte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans am Dienstag in Straßburg. „Wir können nicht ohne Plastik leben, aber wir können auch daran sterben, wenn wir nicht handeln.“ So begründet Timmermans eine neue, weitreichende Strategie zur Eindämmung des Plastikabfalls in Europa, die die EU-Kommission am Dienstag beschlossen hat.
Viel mehr Plastik als bisher soll wiederverwertet werden – Verpackungen aus Kunststoff sollen ab 2030 generell nur noch erlaubt sein, wenn sie wiederverwertbar sind. Ganz verboten wird wohl die Verwendung von Mikroplastik etwa in Duschgel oder Zahnpasta. „Wir brauchen Plastik“, sagt Timmermans, „aber besseres Plastik, das wiederverwendet oder recycelt werden kann.“
Jährlich 26 Millionen Tonnen Plastikmüll in Europa
Das Problem ist offenkundig: Die Produktion von Plastik steigt und steigt, heute wird jedes Jahr zwanzig Mal so viel hergestellt wie 1960. Und in den nächsten 20 Jahren dürfte sich die Menge weltweit noch einmal verdoppeln. In Europa sammeln sich laut EU-Kommission jährlich rund 26 Millionen Tonnen Plastikmüll an. Aber nur ein knappes Drittel davon wird zur Wiederverwertung gesammelt, der Rest landet auf legalen oder illegalen Mülldeponien, wird verbrannt – oder einfach ins Meer geworfen. „24 Stunden am Tag enden in jeder Sekunde rund 700 Kilogramm Plastik in der Meeresumwelt“, warnt Timmermans. „Es dauert fünf Sekunden, das zu produzieren, fünf Minuten, es zu nutzen und etwa 500 Jahre, es wieder abzubauen.“
Durch die riesigen Müllteppiche auf den Ozeanen sterben jährlich Hunderttausende Vögel und Meeressäuger. Deutschland gibt in der EU ein zwiespältiges Bild ab: Die Bundesbürger werfen jährlich ein Fünftel mehr Plastikverpackungen weg als der EU-Durchschnittsbürger. Andererseits wird hierzulande wesentlich mehr Kunststoffmüll recycelt.
Bei der Wiederverwertung will die EU-Kommission jetzt ansetzen: Die ungenutzten Potenziale des Plastik-Recyclings sollen gehoben werden. Die technischen Kapazitäten sollen dafür innerhalb weniger Jahre um ein Drittel ausgebaut, Verfahren und Standards verbessert werden. Denn bisher ist die Nachfrage nach solchem Material gering. Die Industrie soll sich verpflichten, einen höheren Prozentsatz von recyceltem Plastik einzusetzen.
Das ehrgeizigste Ziel gilt den Verpackungen, die 60 Prozent des gesamten Plastikmülls ausmachen und als zentrales Problem gelten. Bis 2030 sollen alle Plastikverpackungen recycelbar oder mehrfach benutzbar sein. Der Einsatz von vielen Einwegprodukten aus Plastik – den Deckel für Kaffeebecher, die Box beim Imbiss, Strohhalme oder Einwegbestecke – soll begrenzt werden, wobei Einzelheiten noch nicht klar sind und im Laufe des Jahres nachgeliefert werden sollen.
Konsequenter will die Kommission gegen Mikroplastik vorgehen. Die Kommission erwägt, eine solche absichtliche Verwendung ganz zu verbieten, zumindest bei Produkten, bei denen dies einfach möglich ist; Kosmetika gehören dazu. Die Verwendung von Mikroplastik, etwa in Textilien, soll dagegen zumindest reduziert werden. Die Plastikpartikel gelten als riskant, sie werden auch vom Menschen über die Nahrungskette aufgenommen. Schließlich will die Kommission die Entsorgung von Schiffsabfall im Meer stoppen. Alle Häfen in der EU sollen verpflichtet werden, den Müll anzunehmen und zu entsorgen.
Seit China den Müll nicht mehr kauft, wächst der Druck
Die Idee einer solchen Öko-Steuer auf Kunststoffe, die Haushaltskommissar Günther Oettinger vergangene Woche mit Blick auf neue EU-Einnahmen ins Gespräch gebracht hatte, wird in Brüssel aber vorerst nicht ernsthaft weiter- verfolgt. Man sehe dafür „bisher noch keine Mittel und Wege“, sagte EU-Kommissar Jyrki Katainen. „Wir schauen uns das an, aber es ist noch zu früh.“ Die Steuererhebung auf die Plastikproduktion gilt als ausgesprochen kompliziert, schon weil es Ausnahmen für bestimmte Produkte geben müsste, in denen dieses Material alternativlos ist. Und dass die EU-Staaten einer neuen Steuer zustimmen könnten, die direkt in die Brüsseler Kassen fließen würde, ist nicht absehbar.
Nicht explizit geregelt ist der Einsatz von Plastiktüten. Denen hatte die EU schon vor Jahren – mit Erfolg – den Kampf angesagt: Vorgeschrieben ist bereits, dass der Verbrauch europaweit auf durchschnittlich 90 Tüten pro Kopf im Jahr 2019 reduziert wird, bis 2025 ist eine Obergrenze von 40 Tüten pro Kopf festgelegt; die Umsetzung ist Sache der Mitgliedstaaten. In Deutschland haben Handel und Regierung vereinbart, dass die Plastiktüten seit Juli 2016 nicht mehr kostenlos abgegeben werden, der Verbrauch ist bereits um ein Drittel gesunken.
Dass das Plastikmüllproblem in der EU jetzt dennoch an Brisanz gewinnt, liegt an China: Bislang hatte die Volksrepublik Europa große Mengen Plastikmüll abgenommen. Doch zum 1. Januar erließ die Regierung in Peking ein Importverbot für Plastikmüll, um die Umwelt und die Arbeiter zu schützen.