Berlin. Gab es wirklich ein Auto-Kartell, das systematisch betrogen hat, wackelt die ganze Branche. Die Politik darf nicht weiter zuschauen.
Deutsche Autos haben einen legendären Ruf, der die Welt umspannt. Sie sind Ikonen unserer (vermeintlichen) Tugenden. Nebenbei brummt das Geschäft, mehr als 800.000 Arbeitsplätze bietet die Industrie hierzulande. Die Außenhaut glänzt also noch.
Doch dahinter breitet sich der Verfall aus, wie bei einem rostigen Blech, das nur vom Lack zusammengehalten wird. Der Diesel-Skandal, ausgelöst von Volkswagen, begleitet uns nun schon fast zwei Jahre. Es wurde nicht nur ein bisschen geschummelt, sondern mit krimineller Energie betrogen, davon sind die Staatsanwälte überzeugt.
Die Konzerne wussten früh, dass geringer Verbrauch, niedrige Kosten und hoher Komfort auf der einen Seite und saubere Abgaswerte auf der anderen Seite nicht in Einklang zu bringen sind. Also wurde so manipuliert, dass nur im Testbetrieb günstige Werte erreicht werden. Kaum erklärlich war bislang, warum Volkswagen damit über Jahre ungeschoren davonkam. Erst ein Zufallsfund in den USA brachte die Ermittlungen ins Rollen. Warum eigentlich wies auf die Ungereimtheiten nie ein Konkurrent hin, der von VWs Problemen profitiert hätte?
Kartell-Mitglieder deckten sich gegenseitig
Dafür gibt es nun eine einfache und gleichzeitig erschütternde Erklärung: Möglicherweise liegt hinter dem Diesel-Skandal ein noch tieferer Abgrund. Recherchen des „Spiegel“ zufolge haben die großen deutschen Konzerne seit den 90er-Jahren ein Kartell gebildet, in dem Absprachen getroffen und Informationen ausgetauscht wurden.
In etwa 1000 Sitzungen trafen sich die Unternehmen, die eigentlich erbittert miteinander konkurrieren sollten. Dort verständigte man sich über technische Details: Offenbar sollte der freie Wettbewerb unterdrückt werden, dort, wo es aus Sicht der Konzerne allen schadete. Also auch bei den Abgasvorschriften. So einigte man sich darauf, die Tanks, in denen die Reinigungsflüssigkeit für die Diesel-Abgase transportiert wird, möglichst klein zu belassen – aus Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Diesel-Motoren, einer gemeinsamen Stärke.
Ganze Chefetagen könnten Job verlieren
Noch äußert sich das Kartellamt nicht, das die Vorwürfe nach einer Art Selbstanzeige von Volkswagen untersucht. Doch die Ausmaße könnten erschreckend sein und die Abgas-Manipulationen zum Nebenschauplatz werden lassen. Beispielsweise legen die Dokumente nahe, dass sich die Konzerne auch detailliert über den Umgang mit ihren Zulieferern absprachen. Welche Dimensionen allein die behördlichen Strafzahlungen annehmen können, zeigten kürzlich die wesentlich kleineren LKW-Hersteller: Sie mussten zusammen 2,9 Milliarden Euro wegen Kartellbildung abführen. Obendrauf könnten Schadenersatzklagen kommen.
Erhärten sich die Vorwürfe, wird in der Branche kein Stein auf dem anderen bleiben. Ganze Vorstandsetagen könnten ihren Job verlieren, die frech über viele Jahre behauptet haben, dass ausgerechnet der eiserne Konkurrenzkampf die hiesige Automobilindustrie so stark mache. Letztlich würde auch die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Doch das lässt sich ohnehin nicht mehr vermeiden. Zu krass sind die Verfehlungen der Branche.
Die Bundesregierung, die die Hersteller immer noch protegiert, sollte eingestehen: Die Autobauer haben sich offenbar weit aus der Legalität verabschiedet – auch, weil sie sich auf die schützende Hand aus Berlin verlassen konnten. Das muss ein Ende haben. Ein neuer Anstrich für die alten Strukturen reicht nicht aus. Wer den Autokonzernen wirklich helfen will, setzt sich ein für einen Neuanfang mit unbelasteten Managern und einer korruptionsfreien Unternehmenskultur.