Wirtschaft

Die digitalen Mediziner

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Jürgen Stüber

Jürgen Stüber über das neue Wachstumsfeld der Berliner Gründerszene

Digitale Gesundheitsdienstleistungen werden sich im Jahr 2017 zum neuen Wachstumsfeld der Berliner Gründerszene entwickeln. Dafür sprechen einige Indizien. Zum einen haben größere Wagniskapital-Investoren das Thema entdeckt. Zum anderen vernetzen sich die Interessensgruppen der Gesundheitswirtschaft zunehmend miteinander.

Und schließlich beginnt sich das Thema eHealth auch bei Verbrauchern zu etablieren, seit Fitness-Armbänder, Arztsuchportale und die Online-Terminbuchung populär geworden sind. Sogar einzelne Ärztekammern schlachten ihre heiligen Kühe und sind anscheinend bereit, das Fernbehandlungsverbot aufzuweichen, also das Verbot einer Behandlung von Patienten mithilfe elektronischer Medien.

So spricht der Berliner Frühphasen-Investor und Unternehmensentwickler Project A sechs Jahre nach seiner Gründung von „einer neuen Phase“ der Firmengeschichte. Digital Health sei aus Investorensicht ein neues Thema, sagt Project-A-Partner Uwe Horstmann und verweist auf die drei Portfoliofirmen, an denen sich sein Unternehmen beteiligt hat: Klara (eine Art WhatsApp für Medizin), Kry (Videosprechstunde) und Junomedical (ermöglicht die Suche nach der besten Klinik für eine spezielle Behandlung). „2017 wollen wir in dieses Ökosystem reingehen“, kündigt der Investor an. Gleichwohl räumt Horstmann ein, dass Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarn auf diesem Gebiet noch viel nachzuholen habe – eine Folge der hochgradigen Regulation in Deutschland.

Inkubatoren, also eine Art Brutkästen für neue Unternehmen, gewinnen in Berlin an Kontur. Flying Health, der Inkubator des Frohnauer Kinderarztes Markus Müschenich und Christian Lautner, zum Beispiel. Die beiden haben inzwischen neun Start-ups unter ihre Fittiche genommen. Vier von ihnen haben Smartphone-Apps mit Gesundheitsthemen auf den Markt gebracht. Patientus bietet eine Videosprechstunde an. Happymed entwickelt eine Videobrille für Patienten, die Patienten die Angst vor schmerzhaften Eingriffen nehmen soll. Caterna ist eine Computer-Sehschule für Kinder, die unter der Krankheit Amblyopie leiden.

Auch die Pharmaindustrie ist aktiv geworden: die Bayer AG schon länger und neuerdings auch Pfizer Deutschland. Letztere kooperieren nicht nur mit Flying Health. Sie betreiben auch ihr eigenes „Berlin Health­CareLab“, in dem der Konzern Start-ups beim Wachstum begleitet. Viomedo ist eine Art Google für klinische Studien. Cortium hat einen tragbaren Sensor entwickelt, der Vitalwerte wie Herzaktivität, Atemfrequenz und Temperatur misst und für den behandelnden Arzt verschlüsselt im Internet ablegt.

Weniger Ressentiments als die Ärzteschaft haben die Krankenkassen gegenüber digitalen Dienstleistungen. Denn sie sehen darin Potenziale zur Kostensenkung. So gehören die Versicherer Barmer und Signal Iduna zu den Gründungspartnern von Flying Health.

Partner des Inkubators ist übrigens auch der Automobilkonzern Audi. Das Unternehmen sucht Möglichkeiten, um Fahrer gesünder ans Ziel zu bringen. So können während der Fahrt Vitalfunktionen gemessen und Warnungen an Fahrer gesendet werden. Assistenten können Musik- oder Sitzeinstellungen anpassen oder im Notfall Hilfe rufen. Einen neuen Begriff für dieses Geschäftsfeld gibt es auch schon: „Automotive Health“.