Die Luft- und Raumfahrt hat zuletzt wenig Begeisterung ausgelöst in der Hauptstadt: Die verfahrene Lage auf der BER-Baustelle, der Streit um Flugrouten und Nachtflugverbot, die Debatte um den Weiterbetrieb von Tegel, alles keine Glanzlichter.
„Berlin sieht das Thema eher als laut und lästig und erkennt wenig Entwicklungsperspektiven“, beschreibt Stefan Zimmermann die Wahrnehmung, die auch in der Landespolitik gelte.
Der Direktor des Triebwerks-Programms bei Rolls Royce mit Sitz im brandenburgischen Dahlewitz steht als Präsident des regionalen Branchenverbandes Berlin-Brandenburg Aerospace Allianz (BBAA) für ein wirtschaftliches Schwergewicht: 100 Mitgliedsfirmen, zwei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, 25.000 Mitarbeiter. Die Region ist nach Hamburg und München der drittgrößte Luftfahrt-Standort Deutschlands.
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Die Landesregierung Brandenburg, sagt Zimmermann, habe anders als die Berliner Kollegen die strategische Bedeutung der Luft- und Raumfahrt für die Region erkannt. Dabei säßen viele Unternehmen und Wissenschaftler auch in der Stadt. In Adlershof haben sich einige Unternehmen angesiedelt, die sich mit Tests und Simulationen befassen, andere entwickeln Software, die das eigentliche Fluggerät mit den immer komplexeren Systemen der Innenräume verbinden.
Der britische Rolls-Royce-Konzern baute nach dem Mauerfall noch im Gemeinschaftsunternehmen mit BMW ein neues Werk auf die grüne Wiese neben den Berliner Ring in der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow. Inzwischen arbeiten hier 2000 Menschen, die vor allem Triebwerke für kleine Jets bauen und neue Typen entwickeln. Zusammen mit MTU in Ludwigsfelde bildet Rolls-Royce das industrielle Schwergewicht der Branche, um das sich die Vielzahl kleinerer Mittelständler gruppiert. „Das sind alles Start-ups, zehn bis 15 Jahre alt, Ausgründungen etwa aus der TU Berlin und anderen Hochschulen und viele haben international einen ausgezeichneten Ruf“, sagt Zimmermann, der vor seinem Wechsel zu Rolls Royce vor elf Jahren im französischen Toulouse bei Airbus mithalf den weltgrößten A380 zu entwickeln.
Überhaupt sind es die kleineren Flugzeuge und ihre besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse, die die Firmen der Region besonders beschäftigen. Diese Kompetenz hat sich weltweit herumgesprochen. China interessiert sich für Berliner Know-how in der Privat- und Geschäftsfliegerei. Regionale Unternehmen können kleine Triebwerke bauen, Kleinflugzeuge herstellen. Sie verstehen sich auf die Wartung, können Regionalflugplätze managen, Piloten ausbilden.
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Und wie alles in China wächst auch der Luftverkehr, die Privatfliegerei jedoch kaum. Reiche Chinesen dürfen zwar Business-Jets von Gulfstream oder Bombardier – mit Triebwerken aus Dahlewitz – kaufen und ihren Pilotenschein erwerben. Wenn sie aber starten wollen, müssen sie bis zu einem Jahr auf eine Genehmigung warten. 80 Prozent des Luftraumes ist militärisches Sperrgebiet. Nur zwischen großen Städten gibt es Luftkorridore für große Verkehrsflieger.
Aber das wird sich demnächst ändern. Davon sind Zimmermann und der Geschäftsführer seines Branchenverbandes BBAA, Udo Rudolph, überzeugt. Nachdem sich nun die neue Regierung etabliert hat, wird der Markt liberalisiert. Deswegen sind die Berlin-Brandenburger seit zwei Jahren in der zentralchinesischen Sonderwirtschaftszone Xian präsent, denn von hier aus soll nach dem Willen der Staatsplaner der Siegeszug der Privatfliegerei im Reich gelenkt werden. Die Chinesen hätten sich weltweit nach Partnern umgeschaut, in den USA und in Europa. Und sie haben Berlin-Brandenburg als Partner ausgesucht. „Aus den Erfahrungen mit dem China-Projekt haben wir festgestellt, dass wir hier für die Privatfliegerei eine weltweit einmalige Ansammlung von Kompetenzen haben“, sagt Zimmermann.
Um diese Position auch in der Heimat auszubauen, müsse die Politik und die Flughafengesellschaft stärker als bisher die Belange der Privatflieger berücksichtigen, fordert der Verband. So sei es zum Beispiel angebracht, wenn der Flughafen BER nach seiner Fertigstellung mit dem Flugplatz Schönhagen kooperiert. Der größte Landesplatz Ostdeutschlands 45 Kilometer südlich des Stadtzentrums im Kreis Teltow-Fläming ist schon heute das Zentrum der Privatfliegerei der Region. 39 Unternehmen mit Sitz in Berlin und Brandenburg haben ihre Flieger dort stationiert, insgesamt stehen 170 Flugzeuge in den Hallen.
BER ein wesentlicher Zukunftsbaustein
In Frankfurt am Main habe die Flughafen-Betreibergesellschaft Fraport dem nahe gelegenen Verkehrslandeplatz Egelsbach unter die Arme gegriffen. Den Managern an Deutschlands größtem Airport war sehr daran gelegen, ihren Hauptkunden mit den großen Jets den Kontakt mit den Kleinfliegern zu ersparen und die Verkehre zu entzerren. Und alle Luftfahrtexperten sind sich einig, dass die Planungen für Privatflieger am BER kaum Zukunft haben können. Bei Starts von der Südbahn müssen die Pipers und Gulfstreams von ihrem Terminal am Nordpier das komplette Vorfeld kreuzen. Kollisionen und Behinderungen sind fast programmiert.
Bei allem Ärger über die verzögerte Eröffnung sieht die Luftfahrtbranche den BER weiterhin als wesentlichen Baustein ihrer Zukunft. Viele derzeit noch über die Region verteilten Mitgliedsunternehmen dächten darüber nach, ihren Standort an den BER zu verlegen. Die Magnetwirkung hingen aber davon ab, ob es am BER eine kritische Masse an Flügen geben, so die Luftfahrtexperten. Nur wenn regelmäßig Jets aus Asien oder den USA anflögen, bräuchten diese am BER Dienstleistungen.
Dass es nicht auf den Monat der BER-Eröffnung ankommt, macht das Beispiel Rolls-Royce deutlich. Anfang der 90er-Jahre investierte der Konzern mit der Perspektive, dass im Süden Berlins irgendwann einmal ein neuer Flughafen entstehen würde. Seit 2005 produzieren sie hier das größere Triebwerk V2500. 2010 ging das 70 Millionen Euro teure Testzentrum an den Start. Bis 2014 entsteht für 90 Millionen Euro einer der größten Triebwerksprüfstände der Welt.