Das Smartphone ist eingeschaltet, die Nachricht an die Lieben ist rasch abgeschickt: "Sitze im Café. Latte macchiato zu schaumig." Ein kleines blaues blinkendes Pünktchen verrät auf der digitalen Landkarte, wo ich sitze - und welches Café keinen ordentlichen Kaffee zu Stande bringt. Mit dem Smartphone-Handy klicke ich die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung ab - oder was andere für sehenswert hier halten. Dann mache ich mich auf den Weg. Weil ich fremd in der Stadt bin, hilft mir meine Navigations-App. All das ist richtig nützlich - doch was ich tippe und tue, ist auch äußerst nützlich. Für die Anbieter dieser Dienste. Für Google, für Facebook, für Apple. Schließlich wissen sie so genau, was ich mich interessiert, was ich mag, wo ich hingeh, was ich tu.
Google, Apple und Facebook hatten zuletzt mit immer neuen Diensten und Datenschutzänderungen die deutsche Politik in Aufregung versetzt. Der Bundesrat hat sogar bereits ein Gesetz für Google Streetview vorgelegt. Demnach soll der Blick in öffentliche Bereiche erlaubt, der in offensichtlich geschützte verboten sein. Der Blick hinter "blickschützender Vorrichtungen" wie Hecken und Mauern soll verboten sein.
Diese Woche trafen sich in Berlin Politiker, Datenschützer und Unternehmensvertreter auf einem so genannten Geodaten-Gipfel. Anlass war der Google Streetview. Es ging aber auch um neue Dienste, die Schritt und Tritt von Smartphone-Nutzern für neue Servicedienstleistungen auswerten. Streetview ist ein Dienst von vielen, die auf ortsbezogene Daten setzen. Das jüngste Projekt dieser Art ist "Facebook Places" mit über 500 Millionen Nutzern.
Mitgliedern des Sozialen-Netzwerk-Anbieter Facebook verrät "Places", wo die "Freunde" gerade sind. Wer sich mit seinem Smartphone anmeldet - ob im Restaurant oder beim Einkaufen - taucht auf Internet-Landkarten auf: Weithin sichtbar für alle "Freunde" und "Kontakte" als Punkt im Netz. Zunächst gibt's diesen Dienst nur in den USA, doch nach und nach sollen alle Facebook-Mitglieder weltweit auf ihn zugreifen können. Für Menschen auf der Straße eine nette Spielerei - für Unternehmen und Organisationen eine Möglichkeit zum Geldverdienen, glaubt das IT-Magazin "Techcrunch". Sie können so jederzeit beobachten und aufzeichnen, was wo stattfindet. Ein Paradies für Statistiker, Werbeleute, Datensammler.
Das stört inzwischen sogar die Amerikaner an Facebook-Places: Die Bürgerrechtsorganisation ACLU bemängelte, dass man nicht nur sich, sondern auch seine Freunde ungefragt an manchen Orten anmelden - und damit sichtbar machen kann. Darüber hinaus kann nicht nur Facebook die blinkenden Menschen-Punkte auf der Landkarte verwalten - sondern auch seine Partner. Facebook verweist aber darauf, dass jeder selbst bestimmen kann, wer ihn beobachten darf.
Das ist die Frage. "Places" sind nicht die ersten. Sie folgen dem Vorbild von Check-In-Diensten wie "Foursquare", "Gowalla" oder "Google Latitude", die ihren Nutzern über das Handy das Einloggen in virtuelle Landkarten ermöglichen. Es ist die Idee einer gigantischen Kontaktbörse: Man ist in der Stadt unterwegs, langweilt sich - und sieht auf einen Blick, wer gerade in der Nähe ist.
Apple will aus dieser Art von Diensten ein Geschäft machen - und die GPS-Standortdaten seiner Kunden an Werbetreibende und andere Unternehmen verkaufen können. Dafür hat die Firma vor zwei Monaten ihre Datenschutzrichtlinie geändert. Ein neuer Zusatz räumt nicht nur Apple, sondern auch "Partnern und Lizenznehmern" das Recht ein, "präzise Standortdaten" zu erheben, nutzen und weiterzugeben.
Wehren kann man sich kaum: Alle, die das neue iPhone-Betriebssystem iOS 4 nutzen wollen, müssen dieser Änderung beim Download zustimmen. Wenn sie im Apple Store oder in iTunes einkaufen wollen, müssen sie ebenfalls den neuen Nutzungsbedingungen zustimmen.
Auch Google wertet Standortdaten seiner Android-Nutzer aus. Dafür greift der Konzern auf die Daten der GPS-Chips in den Android-Handys sowie die Daten zurück, die beim Einbuchen in Mobilfunknetze und WLAN-Hotspots anfallen. Erlaubt der Nutzer der mobilen Google-Suche den Zugriff auf die Standortdaten, erfährt Google, nach was man wo sucht. Je mehr Nutzer die kostenlosen Google-Anwendungen nutzen, desto mehr Daten geben sie über sich preis.
Doch es sind nicht nur die Großen wie Google und Apple: Alle nützlichen Navigations- und Augmented-Reality-Anwendungen haben eine zweite Seite: Um zu wissen, welche nützlichen Informationen gerade auf dem Handy-Smartphone eingeblendet werden sollen, muss zuerst klar sein, wo sein Besitzer gerade steht. Auch Dienste, die etwa Twitter-Meldungen oder Google-Buzz-Nachrichten auf einer Landkarte anzeigen, greifen auf die Standortdaten des Nutzers zurück. Für die Anbieter sind die Standortdaten jedenfalls geldwert. Apple etwa will mit seinem neuen Anzeigendienst iAd ortsbezogene Werbung schalten.
Das Profil wird immer klarer
Je mehr Apps ein Mensch kauft und benutzt, je öfter er sich auf Landkarten ein- und ausklingt, je häufiger er sich in der Stadt zeigt, desto klarer wird sein Profil. Solche Profile sind auf sind auf dem Werbemarkt viel Geld wert - denn mit ihnen lassen sich Anzeigen gezielter platzieren. Apple-Chef Steve Job kündigte jedenfalls bereits an, im kommenden Halbjahr auf dem US-Markt 60 Millionen Umsatz mit mobiler Werbung generieren zu wollen.
Die Anzeigenkunden sind bereit die höheren Preise zu zahlen, da sie glauben, dass für die Kunden eine ortsbezogene Werbung eine wesentlich höhere Relevanz besitzt - etwa weil ein örtliches Unternehmen Vorbeifahrende gezielt mit Sonderaktionen locken kann.
Aber die Geodaten bringen auch Gutes. Was möglich ist, zeigen die Projekte der US-Firma Sensenetworks, die im Umfeld des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard University entstanden ist. Sie erfasst Mobilfunkdaten, Bluetooth-Kennungen von Handys, die GPS-Koordination von Taxis und die Routenplanung von GPS-Geräten. Angefüttert wird das Ganze mit demographischen Zahlen, Sehenswürdigkeiten, Verkaufsdaten und dem Wetter.
Für San Francisco entwickelten die Sensenetzworks-Forscher den Smartphone-Dienst Citysense. Er analysiert Bewegungsmuster von Millionen von Menschen und zeigt, wo es eng wird in der Stadt. Mit dem Dienst CabSense können New Yorker in Echtzeit erkennen, an welcher Straßenecke sie am ehesten ein Taxi erwischen können. Die Forscher wollen auch das Verhalten ganzer Städte, Unternehmen oder gar Gesellschaften vorhersagen. So ließe sich etwa anhand von intelligenten Stromzählern, Telekommunikationsverkehrsdaten und Daten von Krankenhäusern feststellen, wie sich Epidemien verbreiten. Kranke Menschen haben einen anderen Rhythmus als gesunde. Die heutigen Daten reichen für solche Szenarien schon aus.
Selbstverpflichtung für die Branche
Was sagen die Politiker dazu? In Deutschland will Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) Facebook, Google & Co. zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung bringen - schließlich hat Google den Deutschen schon umfassende Widerspruchsrechte eingeräumt. Die Internetdienste sollen sich vor allem zu datenschutzfreundlichen Grundeinstellungen verpflichten.
Doch oft wissen selbst die Programm-Entwickler nicht, was ihre Software tut. Das stellte das Sicherheitsunternehmen Lookout fest, als es mehr als 300.000 Programme in Apples AppStore und Googles AndroidMarket analysierte. So versucht ein Drittel der kostenlosen iPhone-Anwendungen die Ortsdaten abzufragen, was der Nutzer allerdings erst einmal bestätigen muss; bei Android waren es immerhin 29 Prozent der kostenlosen Anwendungen. Darüber hinaus versuchten acht Prozent der freien Android-Apps sowie 14 Prozent der freien iPhone-Apps das Telefonbuch des Nutzers zu verwenden. Unter anderem versuchte eine Anwendung für Bildschirmhintergründe auch die Handy-Rufnummer und weitere Daten abzugreifen, um sie an einen chinesischen Server zu schicken.
Um sich zu schützen, könnte jeder etwas tun: Die Dienste immer wieder einmal wechseln, um den Aufbau von Profilen zu behindern. Doch da gäbe es ein Problem: Wer löscht schon gerne sein Facebook-Profil, wenn er bereits 300 "Freunde" hat?