Angst im Netz

Warum die "Digital Outsider" das Internet fürchten

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Claudia Ehrenstein

Foto: picture alliance / dpa

Rund 27 Millionen Deutsche gehen nie oder sehr selten ins Internet. Eine Studie hat untersucht, was diese Menschen vom Surfen abschreckt.

Die Internet-Nutzer in Deutschland haben offensichtlich sehr unterschiedliche Erwartungen an die Sicherheit im Netz. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI).

DIVSI-Direktor Matthias Kammer sprach von „diametral entgegen gesetzten Sicherheitsbedürfnissen“ und warnte vor daraus resultierenden Konflikten, die zum Auseinanderbrechen der „gesellschaftlichen Solidarität“ führen könnten.

Der Studie zufolge fühlt sich allen voran die junge Generation der sogenannten Digital Natives im Internet sicher und setzt beim Umgang mit persönlichen Daten auf Eigenverantwortung. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, denen es anders geht.

„Ich surfe, also bin ich“, wandelte Kammer den Spruch des Philosophen René Descartes („Ich denke, also bin ich“) ab, um das Lebensgefühl der Digital Natives zu beschreiben. Dagegen fühlen sich die sogenannten Digital Immigrants, die zwar regelmäßig aber meist nur notgedrungen im Netz unterwegs sind, stark verunsichert und fordern von der Politik strenge Regelungen zum Datenschutz.

Sogenannte Digital Outsiders hält die Angst, die Kontrolle über ihre persönliche Daten zu verlieren, davon ab, überhaupt online zu gehen. Sie fürchten zudem, mit einem versehentlichen falschen Tatsendruck „das Internet zu löschen“, wie Kammer etwas spöttisch erläuterte. 27 Millionen Menschen in Deutschland, so ergab die Studie, gehen nie oder so gut wie nie ins Internet – das sind 40 Prozent der Bevölkerung und doppelt so viele, wie bislang angenommen. 41 Prozent der Internetnutzer, also etwa 28 Millionen, sind Digital Natives. Die Digital Immigrants machen knapp 20 Prozent aus.

Kammer sieht die Politik vor der großen Herausforderung, die Sicherheitsbedürfnisse der einzelnen Nutzergruppen zu erfüllen und eine vernünftige Balance zwischen dem Wunsch nach Freiheit und dem Wunsch nach Sicherheit zu finden.

Große Kluft zwischen Jung und Alt

Für die Studie wurden mehr als 2000 Personen in 45-minütigen Interviews persönlich befragt. Zudem wurden mit ausgewählten Studienteilnehmern mehrstündige Einzelgespräche geführt. Nie zuvor sei der Zustand der Internet-Gesellschaft in Deutschland präziser dargestellt worden, erläuterte Kammer die Studie.

Auffällig sei die große Kluft zwischen den jungen Internet-Nutzern, die sich selbstbewusst im Netz bewegen nach dem Motto: „Meine Daten können alle haben – so wichtig bin ich nicht“ – und den skeptischen Alten, die sich nicht ins Internet trauen.

Ein Drittel aller Internet-Nutzer sind der Meinung, dass es im Internet völlige Sicherheit geben kann. 50 Prozent befürchten jedoch, dass es eine solche absolute Sicherheit nicht geben kann. Drei Viertel der Deutschen erwartet daher auch, dass Politik und Wirtschaft für mehr Sicherheit im Internet sorgen. Ein Viertel – darunter vor allem die Digital Natives – lehnen es dagegen ab, die Freiheit im Internet auf irgendeine Art und Weise zu beschränken. Die Studie hat die drei verschiedenen Nutzergruppen noch einmal genauer analysiert und dabei insgesamt sieben verschiedene Internet-Milieus identifiziert: Der „Internetferne Verunsicherte“ geht nur in Ausnahmefällen online und fühlt sich dabei oft überfordert.

Der „Ordnungsforderne Internet-Laie“ schreibt zwar Emails oder telefoniert über Skype, ist dabei aber sehr vorsichtig und immer auf der Hut. „Ich würde im Internet nur etwas bestellen, wenn mein Sohn daneben sitzt“, gab ein Studienteilnehmer zu Protokoll. Beide Milieus bilden die Digital Outsiders.

Digital Natives bestimmen Sprache im Internet

„Verantwortungsbedachte Etablierte“ nutzen das Internet sehr selektiv, haben aber insgesamt eine positive Einstellung zum digitalen Fortschritt. Der „Postmaterielle Skeptiker“ hat eine sehr kritische Einstellung zu kommerziellen Angeboten und Strukturen („Wenn im Internet was umsonst ist, bezahlt man mit seinen Daten“) und hält nichts von „blinder“ Technik-Faszination. Beide Milieus gehören zu den Digital Immigrants.

Bei den Digital Natives lassen sich drei Milieus unterscheiden. „Unbekümmerte Hedonisten“ haben Spaß dabei, im Internet unterwegs zu sein und denken dabei nicht an mögliche Risiken. „Effizienzorientierte Performer“ sind Internet-Profis. „Digital Souveräne“ aber bilden die digitale Avantgarde. Sie nutzen das Internet als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit und fallen durch eine ausgeprägte individualistische Grundhaltung auf. Sie sind überzeugt, im Internet sollte „eine gewisse Anarchie“ herrschen. Die Digital Natives sind es, die Sprache und Grammatik im Internet bestimmen, heißt es in der Studie.

Es sei daher wichtig, gerade auch diese Gruppe zu sensibilisieren, dass es Menschen gibt, die sich im Internet nicht so zuhause fühlen wie sie selbst. Andernfalls, warnte DIVSI-Direktor Kammer, seien Konflikte programmiert. Das DIVSI wurde von der Deutschen Post gegründet und 2011 auf der Computermesse Cebit in Hannover vorgestellt.

Schirmherr war bis zu seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich für Freiheit und Verantwortung auch im Internet stark macht. Gauck sieht aber auch Risiken: „Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger auszuhöhlen“, schreibt Gauck noch im Vorwort der Studie und fordert, die Nutzer für die „Gefahren für unser aller Freiheit“ zu sensibilisieren.