“Kauf mich, ich bin gesund“, scheinen immer mehr Fertiggerichte, Säfte, Kartoffelchips und Bonbons aus dem Regal zu rufen. Mit immer neuen Heilsversprechen kurbelt die Lebensmittelindustrie den Absatz an. Dickmacher verschweigen sie. Demnächst sollen Bakterien sogar Wurst gesünder machen.
Falsche Ernährung dürfte es hierzulande eigentlich gar nicht geben. Das könnte zumindest der Kunde im Supermarkt denken, wenn er den Angaben auf den Lebensmitteletiketten Glauben schenkt. "Kauf mich, ich bin gesund", scheinen immer mehr Fertiggerichte, Säfte, Kartoffelchips und Bonbons aus dem Regal zu rufen. "Es kommt kaum noch ein Produkt auf den Markt, das kein gesundes Mäntelchen trägt", moniert Angelika Michel-Drees, Ernährungsexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Besonders heimliche Dickmacher werden gerne als Wellness-Produkte getarnt. Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Grünen im Bundestag, spricht vom "großen Zuckerversteckspiel" der Firmen.
Sage und schreibe 10.500 Werbeaussagen mit Gesundheitsbezug haben deutsche Hersteller bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit innerhalb eines Jahres gemeldet. Produzenten, die mit gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben werben, müssen diese seit 2007 genehmigen lassen. Um den Wildwuchs auf den Etiketten einzudämmen, will die Behörde bis 2010 eine Liste zulässiger Slogans fertigstellen.
Doch noch sind der Kreativität der werbetreibenden Wirtschaft kaum Grenzen gesetzt. Mit immer neuen Heilsversprechen kurbelt die Lebensmittelindustrie den Absatz an. Der Gesetzgeber machte bislang wenig Vorgaben. Lediglich Zutaten und Zusatzstoffe müssen auf dem Etikett vermerkt sein. Alle anderen Angaben sind freiwillig. Nährwerte muss der Hersteller nur dann ausweisen, wenn er mit niedrigem Energiegehalt wirbt.
Probiotika kurbeln Bakterien an
Arzneiähnliche Lifestyleprodukte mit gesundheitlichem Zusatznutzen verkaufen sich immer besser. Joghurt, Quark und Co werden mit sogenannten Probiotika angereichert. Das sind Milchsäurebakterien, die im Darm ganz verschiedene Wirkungen entfalten sollen: schädliche Stoffe abbauen und das Immunsystem stärken, die Verdauung fördern oder auch Allergien vorbeugen. Verbraucherschützer bemängeln, dass der ausgelobte Nutzen über den oft zu hohen Zuckergehalt hinwegtäuscht. "Vor allem Kindernahrungsmittel sind meist übersüßt", sagt Matthias Wolfschmidt von Foodwatch.
Probiotika spalten auch die Fachwelt. Zwar ist im Labor ein positiver Effekt einiger Bakterienstämme nachgewiesen. Doch ob diese Wirkung auch durch die Aufnahme mit der Nahrung erzielt werden kann, ist fraglich. "Dazu müssen immer dieselben Keime in großen Mengen aufgenommen werden, man müsste also täglich das gleiche Produkt verzehren", erklärt Antje Gahl, Ernährungswissenschaftlerin und Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn.
Zuckergehalt riesig
Als umsatzstärkstes Molkereiprodukt überhaupt gilt der Trinkjoghurt Actimel von Danone. Zuckergehalt des "Abwehrkräfte stärkenden" Drinks: 11,4 Gramm je 100 Milliliter. Optiwell Control, das beim Abnehmen helfen soll, spült Millionen in die Kassen von Milchverarbeiter Campina. Das Mischgetränk enthält Fettsäuren, die angeblich das natürliche Sättigungsgefühl verstärken und den Appetit dämpfen. Demnächst sollen Bakterien sogar Wurst gesünder machen.
"Wir beobachten bei designten Lebensmitteln immer häufiger untypische Zusammensetzungen", sagt Verbraucherschützerin Michel-Drees. Während Wurst mit Milchsäurebakterien angereichert wird, findet sich Kalzium nicht nur in der Milch, sondern auch in Fruchtsaft. Und die in Fisch vorkommenden Omega-3-Fettsäuren kann sich der moderne Konsument mit dem Frühstücksei einverleiben. "Hauptsache, die Zusätze klingen irgendwie gesund."
Ebenfalls beliebt ist das Behandeln ganz gewöhnlicher Massenware mit Farben, die ökologische Qualität suggerieren sollen. So verwandelt sich ganz gewöhnliches Toastbrot aus Weißmehl dank des Farbstoffs Malzextrakt in eine Art Vollkornattrappe. Wer nun meint, der aufgeklärte Verbraucher lasse sich so leicht nicht täuschen, den belehren zahlreiche Studien eines Besseren. Denn das Thema Ernährung ist zwar in aller Munde, doch das Wissen darüber erweist sich bei näherem Hinsehen als lückenhaft. So ergab die im Januar veröffentlichte Verzehrstudie, für die 20 000 Deutsche befragt wurden, dass nur acht Prozent den Kalorienbedarf von Erwachsenen kennen.
Schwierigkeit Nährwertangaben
Eine andere Untersuchung zeigte, dass die meisten Europäer Schwierigkeiten haben, Nährwertangaben einzuordnen. Zwei von drei Verbrauchern in der EU bewerten eine Packung Kekse mit dem Aufdruck "fettarm" als sehr gut oder ziemlich gut. Den hohen Zuckergehalt erkennt nur ein Drittel, obwohl er deutlich in der Nährwerttabelle angegeben ist.
Auch dass die meisten Dicken in bildungsfernen Milieus leben, deckte die Verzehrstudie auf. Verbraucherschützer fordern daher eine einfache Kennzeichnung in den Ampelfarben Rot für einen hohen Gehalt an Fett, Zucker oder Salz, Gelb für mittleren Gehalt und Grün für niedrigen Gehalt. Eine Mogelpackung sehen Konsumentenorganisationen im Versuch einiger Konzerne, Nährwerte durch zu klein angesetzte Portionen schönzurechnen. So muss der Verbraucher schon ganz aufmerksam hinsehen, um zu erkennen, dass die Erdnüsse nur deswegen kalorienarm scheinen, weil sich die Angaben auf lediglich 25 Gramm beziehen.
Die fantasievolle Etikettierung von Dickmachern ist indes keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Schon vor 50 Jahren wurden Kräuterbonbons als "wohltuend für Hals und Rachen" angepriesen. Der Slogan ließ Generationen in dem Glauben, die beigemischten Pflanzenextrakte machten aus der Zuckerware ein gesundes Nahrungsmittel oder gar eine Art Medizin. Und das berühmte Milchglas auf der Kinderschokolade beruhigte das Gewissen vieler Mütter, deren Nachwuchs die rot-weißen Riegel dem gesunden Getränk vorzog.