Berlin. Stress, Zeitdruck, Überstunden: Das Arbeitsleben kann psychisch wie physisch sehr belastend sein. Wichtig sind dann Phasen der Erholung. Doch Erholung muss gelingen. Über 60 Prozent der deutschen Arbeitnehmer geben an, Schwierigkeiten damit zu haben. Die Arbeitspsychologin Sabine Sonnentag, Professorin an der Universität Mannheim, forscht seit 16 Jahren zu dem Thema. Gute Erholung, sagt die 55-Jährige, muss nicht zwangsläufig auf dem Sofa stattfinden.
Frau Sonnentag, wie erforscht man Erholung?
Sabine Sonnentag: Was wir im Wesentlichen tun, sind Längsschnitt- beziehungsweise tägliche Befragungen von Arbeitnehmern. Diese laufen über eine oder mehrere Wochen. Am Ende eines Arbeitstages zum Beispiel, bevor sie schlafen gehen und dann noch einmal am nächsten Morgen. Wir wollen erfahren, wie Menschen ihre Arbeit und ihren Feierabend erleben. Und ob sie nach Dienstende Erholungseffekte erzielt haben.
Woran liegt es, dass vielen Menschen das offenbar misslingt?
Sonnentag: Das eine ist, dass arbeitsfreie Zeit nicht immer auch Freizeit ist. Oft gibt es andere Verpflichtungen, im Haushalt, bei der Kinderbetreuung, bei der Pflege von Angehörigen oder im Ehrenamt. Ein weiterer Punkt: Das, was Menschen in ihrer Freizeit machen, muss potenziell nicht erholsam sein, soziale Aktivitäten zum Beispiel. Und es stört auch, dass in die Freizeit oft Aspekte der Arbeit mit hineinregieren.
Sie sprechen von ständiger Erreichbarkeit.
Sonnentag: Nicht nur. Ständige Erreichbarkeit ist ein Aspekt, der wichtig und ernst zu nehmen ist, in der öffentlichen Debatte aber etwas überbewertet wird. Denn die trifft nur für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern zu, eher auf Hochqualifizierte, die potenziell auch gerne arbeiten. Wenn wir aber an eine Kassierin denken oder an jemanden in der Fertigung, dann ist da nichts mit weiterarbeiten am Feierabend – glücklicherweise. Trotzdem kann auch bei diesen Jobs das, was am Arbeitstag passiert, die Erholung reduzieren.
Nämlich?
Sonnentag: Je mehr Zeitdruck Menschen haben, unabhängig von ihrer Beschäftigung, desto schwerer fällt es ihnen, nach der Arbeit abzuschalten. Umgangssprachlich gesagt: Wenn man etwas überdreht ist, kommt man nicht so schnell wieder davon herunter. In Drucksituationen müssen Arbeitnehmer viel Energie mobilisieren, um die Aufgaben zu schaffen. Und es ist schwer, die mobilisierte Energie im Feierabend wieder abzustellen, wenn man sie eigentlich nicht mehr braucht. Die Menschen nehmen ihre Arbeit sprichwörtlich mit nach Hause. Bei Arbeitnehmern, die ständig erreichbar sind, kann sich das noch verstärken.
Wie stelle ich fest, dass ich mich von der Arbeit nicht erholt habe?
Sonnentag: Wenn wir das untersuchen, fragen wir direkt danach, wie erholt sich Menschen fühlen. Ein klassischer Indikator für fehlende Erholung ist Müdigkeit und Schlappheit, wenn man eigentlich frisch sein sollte, nämlich morgens nach dem Schlafen. Wir fragen aber auch nach Gereiztheit oder Verärgerung. Man findet da systematische Unterschiede bei Erholten und Nichterholten. Und auch das haben wir herausgefunden: Bei Nichterholten sind Interessiertheit und Lust auf das, was der Tag bringt, reduziert.
Welche Folgen hat es, wenn ich nicht erholt bin?
Sonnentag: Das Gefühl, wie gut ich mich erholt fühle, hängt damit zusammen, wie engagiert ich im weiteren Tagesverlauf bin, wie gut ich meine Leistung erbringe, wie viele neue Ideen ich generiere. Das hat nichts mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu tun, die potenziell eher längerfristig zu beobachten sind. Über lange Zeit gesehen können sich natürlich Zustände völliger Erschöpfung aufbauen, körperlich wie seelisch.
Wie lange kann ich das aushalten?
Sonnentag: Da gibt es riesige individuelle Unterschiede. Manche können das länger durchhalten als andere. Dabei spielt wohl eine große Rolle, wie viel Spaß Menschen an ihrer Arbeit haben, wie viel Bestätigung sie da bekommen und ob sie sie unter positiven Bedingungen erledigen können. Kurzum: Arbeitsbedingungen, eigene Einstellungen und konstitutionelle Vorbedingungen spielen eine Rolle.
Wie viel freie Zeit braucht man denn zwischendrin?
S onnentag: Auch das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Kleine Auszeiten aber sind immens wichtig. Wenn man kein ganzes Wochenende hat, so hat man doch ein paar Stunden zur Erholung. Und dann ist es gut zu wissen, wie Erholung gelingen kann.
Können Sie da eine Orientierung geben?
S onnentag: Wir gehen davon aus, dass es vier wichtige Dimensionen von Erholung gibt. Das gedankliche Abschalten, Entspannung, die Selbstbestimmtheit – also Einfluss darauf nehmen zu können, wie ich meine Freizeit verbringen kann – und das, was wir „Mastery“ nennen: neue Dinge zu erleben und Herausforderungen zu meistern. Erholung muss nicht immer passiv sein und auf dem Sofa stattfinden. Unsere Daten zeigen aber, dass das gedankliche Abschalten dabei das Wichtigste ist.
Und wie gelingt mir das?
S onnentag: Ich muss aufmerksam dafür sein, bei welchen Tätigkeiten, in welcher Gesellschaft oder Umgebung ich mich gut erholen kann. Generell spielen Tätigkeiten, in denen man aufgeht, eine große Rolle. Dabei fehlt schlicht der Raum, noch an die Arbeit oder den Chef zu denken. Deshalb können viele Menschen auch bei bestimmten sportlichen Aktivitäten abschalten. Auch das Musizieren ist dafür eine prototypische Tätigkeit. Aber es können auch andere Dinge sein – mit Freunden etwas unternehmen, ein spannendes Buch lesen oder vermeintlich öde im Wald spazieren gehen.
Sie sagen, dass wir offen sein müssen für Erholung. Was meinen Sie damit?
S onnentag: Wir haben immer eine bestimmte Vorstellung davon, wie wir uns gut erholen. Und es gibt auch immer Dinge, die gerade sozial angesagt sind. Wenn ich mich aber schlecht erholt fühle, sollte ich diese Dinge kritisch in Frage stellen und offen dafür sein, etwas Neues auszuprobieren.
Sie haben auch die Bedeutung des Urlaubs für die Erholung erforscht. Wie waren Ihre Erkenntnisse?
S onnentag: Wir konnten bei unseren Untersuchungen keine Beweise dafür finden, dass ein langer Urlaub in Bezug auf die von uns gemessenen Indikatoren besser ist als ein kurzer. Vier Wochen waren nicht besser als zwei. Eine der ganz pragmatischen Schlussfolgerungen, die wir gezogen haben: Weil Urlaubstage und Wochen begrenzt sind, ist es günstiger, mehrere kürzere Urlaube zu nehmen als einen ganz langen.