Täglich sterben nach den Schätzungen der Welthungerhilfe über 25.000 Menschen an Unterernährung – eine Katastrophe. Doch andersherum sieht es nicht wirklich besser aus. Denn laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind hierzulande "ernährungsmitbedingte Krankheiten für 68 Prozent, also mehr als zwei Drittel der Todesfälle verantwortlich".
Was letzten Endes bedeutet: Von den jährlich etwa 850.000 Todesfällen im Bundesgebiet gehen mehr als 550.000 zumindest teilweise auf das Konto der Ernährung. In anderen Ländern Europas ist die Situation ähnlich, und in den USA ist allein Diabetes für mehr als 230.000 Todesfälle pro Jahr mitverantwortlich. Der Nahrungsüberfluss der zivilisierten Welt scheint also ähnlich gefährlich zu sein wie die grassierende Mangelernährung der Dritten Welt.
Der Kasseler Medizinprofessor Christian Löser warnt: "Die Bevölkerung der westlichen Industriestaaten wird zur Mitte dieses Jahrhunderts vornehmlich aus alten, kranken, fehlernährten Menschen bestehen." Mit anderen Worten: Die Menschen werden zwar immer älter, aber das wird ihnen aufgrund ihrer Ernährungssünden kaum noch Spaß machen. Doch man kann gegensteuern.
Die Empfehlungen der meisten Ernährungswissenschaftler und Fachgesellschaften gehen in die Richtung, dass die Menschen der Wohlstandsgesellschaft weniger tierische Fette und Einfachzucker und dafür mehr komplexe Kohlehydrate, Ballaststoffe, Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe verzehren sollten.
Zudem werden diese grob gestrickten Richtschnüre gerne mit einprägsamen Formeln wie "Five per day" (fünf Obst- oder Gemüseportionen pro Tag) und "Zwei Mal Fisch pro Woche" ergänzt, um dem Verbraucher auch konkrete Verhaltensregeln zu geben. Doch Studien zeigen, dass man dabei durchaus differenzieren sollte.
So kann man nicht pauschal das Fleisch mit seinen tierischen Fetten für ein erhöhtes Krankheits- oder gar Sterberisiko verantwortlich machen. Ein Wissenschaftlerteam der Harvard School of Public Health in Boston analysierte aktuelle Forschungsarbeiten zu den Zusammenhängen von Diabetes, Herzerkrankungen und Fleischverzehr.
Im Ergebnis zeigte sich: Schon der tägliche Verzehr von 50 Gramm verarbeitetem Fleisch steigert das Diabetesrisiko um 19 und das Risiko für eine Herzerkrankung um 42 Prozent. Wer jedoch die gleiche Menge an unverarbeitetem Fleisch isst, muss sich keine Sorgen machen: Er ist nicht mehr gefährdet als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Zum verarbeiteten Fleisch zählen alle Produkte, die durch Räuchern, Salzen, nitrithaltiges Pökelsalz oder andere Chemikalien konserviert oder optisch aufgehübscht wurden – also beispielsweise Schinken, Salami, Wurst und Hot Dogs. Es reicht also schon ein tägliches Frühstücksbrötchen mit zwei Scheiben Salami, um Herz und Stoffwechsel ernsthaft zu gefährden. Wer sich hingegen täglich ein kleines, frisches Steak in die Pfanne haut, muss nichts befürchten.
Bleibt die Frage, warum verarbeitete Fleischprodukte so schädlich sind. Ihr Anteil an Cholesterin und ungesättigten Fetten spiele jedenfalls keine Rolle, erklärt Studienleiterin Renata Micha, denn darin unterschieden sie sich nicht von unverarbeiteten Produkten. "Dafür enthalten sie 50 Prozent mehr Nitritsalze sowie vier Mal so viel Kochsalz", so die Epidemiologin.
Kochsalz gilt als Risikofaktor für Bluthochdruck, der wiederum zu den größten Risikofaktoren für Infarkte und andere Herzerkrankungen zählt. Für die konservierenden Stickstoffverbindungen wiederum wurden im Labor Hinweise darauf gefunden, dass sie die Glukosetoleranz beeinträchtigen. Die Körperzellen nehmen dann zu wenig Zucker auf. Das treibt den Blutzuckerwert nach oben und führt schließlich zu Diabetes.
Wer gesund ein hohes Alter erreichen will, muss also nicht zwangsläufig auf sein tägliches Fleischstück verzichten, aber es sollte eben möglichst oft ein chemisch unbehandeltes Stück sein. Als Antipode zu dessen gesättigten Fettsäuren sollte er zudem genügend ungesättigte Fette, vor allem aber die vor Herzerkrankungen und Krebs schützenden Omega-3-Fettsäuren auf den Speiseplan setzen. Fisch gilt hier als besonders ergiebige Quelle, doch er ist nicht die einzige. Nüsse sind hier eine vegetarische Alternative.
Forscher der spanischen Universität Rovira i Virgili untersuchten, wie sich der tägliche Verzehr von Nüssen auf Patienten mit metabolischem Syndrom auswirkt. Dieses zeigt sich durch erhöhte Cholesterinwerte und ein reduziertes Ansprechen auf das Zuckertransporthormon Insulin. Dazu wurden 50 Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine bekam Empfehlungen zu einer gesunden Ernährung, die andere bekam zusätzlich pro Tag einen Mix aus 15 Gramm Walnüssen sowie jeweils 7,5 Gramm Mandeln und Haselnüssen
Zwölf Wochen später zeigten die Nussesser im Unterschied zu der Kontrollgruppe eine verringerte Insulinresistenz, zudem ergaben die Messungen mehrerer Biomarker, dass in ihrem Körper weniger Erbgutschäden auftraten und das Entzündungsgeschehen zurückgegangen war. All das sind Faktoren, die in der Regel deutlich lebensverlängernd wirken.
Laut einer amerikanischen Übersichtsarbeit, in der große epidemiologische Erhebungen wie die Nurses' Health Study und die Physicians' Health Study berücksichtigt wurden, sinkt das Risiko für Erkrankungen an den Herzkranzgefäßen um 37 Prozent, wenn fünf oder mehr Nussportionen pro Woche verzehrt werden. Der Zusammenhang bliebe auch dann noch bestehen, so die Autoren, wenn man berücksichtigt, dass unter den Nussessern viele Frauen sind, die sich ja ohnehin insgesamt gesünder ernähren als Männer.
Eine ballaststoffreiche, also aus vielen Pflanzenfasern bestehende Ernährung streckt den Nahrungsbrei und verringert dadurch den Kontakt von krebsauslösenden Stoffen mit der Darmschleimhaut. Ob dies ausreicht, um tatsächlich das Tumorrisiko zu senken, ist noch ungeklärt. Als sicher gilt jedoch, dass Ballaststoffe als Träger für wichtige Vitamine fungieren und den Cholesterinspiegel senken.
Aufsehen erregte vor Kurzem eine Studie, die auf der Konferenz "Experimental Biology 2011" in Washington vorgestellt wurde. Demnach senken 75 Gramm getrocknete Apfelscheiben täglich binnen eines halben Jahres den besonders gefährlichen LDL-Cholesterin-Wert um 23 Prozent. Das sind durchaus Effekte, die mit medikamentösen Cholesterinsenkern mithalten können.
Ursache dafür sind die wasserlöslichen Ballaststoffe des Obstes. Sie binden Gallensäuren an sich, sodass die Leber neue für die Fettverdauung benötigte Gallensäure bilden muss, indem sie sich aus dem Cholesterinpool des Körpers bedient. Die Folge: Der Spiegel des schädlichen LDL-Cholesterins sinkt.
Wie sich der Ballaststoffverzehr konkret auf die Lebenserwartung auswirkt, belegt eine aktuelle Studie des National Cancer Institute im US-amerikanischen Rockville, in die die Daten von fast 390.000 Probanden einflossen. Hier zeigte sich über einen Zeitraum von neun Jahren, dass diejenigen mit den höchsten Werten im Ballaststoffkonsum ein um 22 Prozent niedrigeres Sterberisiko hatten als jene mit der geringsten Zufuhr. Hauptursache war hier vor allem, dass die Fasernesser seltener an Herz und Kreislauf erkrankten.
Doch was macht derjenige, der im Alltag einfach nicht dazu kommt, genug Obst und Gemüse zu essen? Vitaminpräparate sind jedenfalls keine Alternative. Forscher am Brigham and Women's Hospital in Boston fanden in einer Studie mit 14.641 Ärzten keinerlei Hinweise dafür, dass die Einnahme von VitaminC oder E auch nur einen einzigen Herzinfarkt verhindern könnte.
"Unter der Einnahme von VitaminC starben 857, unter Placebo 804 Probanden", erklärt Studienleiter Howard Sesso, "unter VitaminE starben 841, in der Kontrollgruppe 820." Besonders bemerkenswert ist, dass das VitaminE offenbar die Wahrscheinlichkeit für Hirnblutungen erhöht.
Da stellt sich dann die Frage, wie etwas, das den Körper nachgewiesenermaßen vor den berüchtigten "freien Radikalen" schützt, schädlich sein kann. Eine der möglichen Antworten liegt im widersprüchlichen Wesen der aggressiven Radikale, die nicht nur schädliche Oxidationen in Gang setzen. "Sie stoßen auch wichtige Abwehrmechanismen des Körpers an", erklärt Goran Bjelakovic, Internist von der Universität Nis in Serbien. Es sei daher nicht immer sinnvoll, freie Radikale durch Vitamine auszubremsen.
Zudem könnte es sein, so vermutet Bjelakovic, dass synthetische Präparat-Vitamine anders wirken als ihre Pendants aus der Natur. Der Ernährungsmediziner Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim kann dies allerdings nicht nachvollziehen: "Der menschliche Organismus unterscheidet weder bei der Aufnahme noch im Stoffwechsel zwischen isolierten Vitaminen in Supplementen und denen aus Lebensmitteln."
Doch auch Biesalski ist davon überzeugt, dass zusätzliche Vitamine einem gesunden Menschen nichts nutzen – vorausgesetzt, dass er sich ausgewogen ernährt. Und da kann die "Five per day"-Regel dann doch eine wertvolle Richtschnur sein.