Es handelt sich um einen Zustand der totalen Erschöpfung: Das Burnout-Syndrom. Nicht nur Manager und Prominente sind betroffen - jeder sechste Deutsche leidet darunter. Jetzt ist das Leiden offiziell als Krankheit anerkannt. Doch die eindeutige Diagnose bleibt schwierig.
Die depressive Stimmung schlägt bei Markus M. ein wie ein Blitz und bleibt für Stunden. Das Herz rast, alles regt ihn auf, dazu kommt die unerträgliche Angst. Früher hat er bis zu 200 Telefonate täglich geführt, das war selbstverständlich. Jetzt verwechselte er die Nummern sogar von treuen Kunden. 20 Jahre leitete der Manager das Finanzunternehmen. Offiziell hat sich daran nichts geändert, doch seit seinem Zusammenbruch ist nichts mehr wie früher.
Wie lange das so weitergeht, ist ungewiss. Markus M. weiß nur: Er bildet sich seine Krankheit nicht ein. Seit diesem Juni ist es amtlich, hat er es schwarz auf weiß: Das Burnout-Syndrom ist als Krankheit offiziell anerkannt, kann zur Arbeitsunfähigkeit führen – die Kosten trägt dann die Versicherung. Der Fall von Markus M. wurde zum Präzedenzfall. Dreieinhalb Jahre hat sein Rechtsstreit mit der Versicherung gedauert. Aber schließlich erkannte die Versicherung das Urteil des Landgerichts München an. Ab sofort zahlt sie für ihren Burnout-Patienten. Ab einer 50-prozentigen Arbeitsunfähigkeit springen die Versicherungen ein. Aber aus dem Präzedenzfall eine Regel zu machen, dürfte auch künftig schwierig bleiben. Das Burnout-Syndrom ist schwer objektivierbar – es lässt sich nicht körperlich dingfest machen.
Nicht mehr nur Manager und Prominente sind betroffen. Es sind diese Fälle, die die Krankheit berühmt gemacht haben: Ricky Martin verschwand vom Radar der Öffentlichkeit und tauchte erst vier Jahre später wieder auf. Mariah Carey produzierte einen Top Hit nach dem anderen, bis sie sich im August 2001 in eine Klinik einweisen ließ. Auch hier hieß es bodenlose Erschöpfung sei der Grund. Tim Mälzer ließ es nicht so weit kommen. Das Burnout-Syndrom steht für den Zustand, wenn sich psychische und mentale Erschöpfung breit machen und nicht mehr weichen wollen. Es ist ein Prozess, der die Betroffenen bis zu Selbstmordgedanken treibt.
Chronische Motivationslosigkeit macht sich bei den Betroffenen breit
Erste Anzeichen des Burnout-Prozess können bereits Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und eingeschränkte Leistungsfähigkeit sein. Wird nichts unternommen, verschärft sich die Situation. Soziale Kontakte und Hobbys werden vernachlässigt. Psychosomatische Reaktionen können den Burnout begleiten. Der Vorgang mündet dann in Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit bis hin zur Suizidgefahr. Das Gefühl, dass die eigenen Anstrengungen nicht anerkannt werden, liegt dem ganzen Burnout-Prozess zu Grunde.
Professor Joachim Bauer, Leiter der Ambulanz der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikum Freiburg, hebt die Neurobiologischen Aspekte des Burnout-Syndroms hervor. Die Motivationssysteme im Gehirn stellen einen Botenstoff-Cocktail her. Werden diese Botenstoffe ausgeschüttet, fühlen wir uns vital und motiviert. „Was die Motivationssysteme des menschlichen Gehirns aktiviert, ist die Beachtung, das Interesse, die Zuwendung und die Sympathie anderer Menschen“, sagt Bauer. „Die stärkste Motivationsdroge für den Menschen ist der andere Mensch.“
Soziale Ausgrenzung und Isolation verhindern, dass die aktivierenden Stoffe in unserem Gehirn bereitgestellt werden. Aber wir sind keine Sklaven unserer Biologie. Vielmehr verwandelt das Gehirn psychische Erlebniseindrücke in biologische Signale.
Mitmenschen spielen viel größere Rolle als gedacht
Ausgebranntsein, Leere, Selbstmordgedanken – woher kommt es? Die simple Gleichung: Stress + Hektik = Burnout funktioniert so nicht mehr. Psychologen wissen heute: Die Mitmenschen, das soziale Umfeld, spielt eine viel größere Rolle als gedacht. Das zeigen, so Bauer, die in den 90er Jahren im Gehirn entdeckten Spiegelnervenzellen. Diese Spiegelneurone funktionieren in etwa wie die Saite einer Gitarre. Sie schwingt automatisch mit, wenn eine andere Gitarrensaite gespielt wird, vorausgesetzt, diese ist auf den gleichen Ton gestimmt. Nach diesem Prinzip, erklärt Bauer, erzeugen Spiegelzellen des Gehirns in uns eine Resonanz. Sie geben uns intuitiv Auskunft, was in einem anderen Menschen vor sich geht. Dies geschieht automatisch und ohne bewusstes Nachdenken, weil die unbewusst arbeitenden Teile unseres Gehirns fortlaufend die Körpersprache der uns umgebenden Menschen lesen, und uns ständig über deren Reaktionen informieren.
Menschen nehmen sehr genau wahr, welche Resonanz sie auslösen, das heißt wie sie auf andere wirken. Laut Bauer richten wir an unsere Mitmenschen, wiederum unbewusst, drei Fragen. „1. Zeig mir, dass ich da bin. 2. Zeig mir, wer ich bin. 3. Zeig mir, was meine Entwicklungschancen sind.“ Und wieder sind es die Spiegelneurone, welche die Antworten registrieren.
„Zwischenmenschliche Beziehungen“, sagt Bauer, „sind großenteils ein Spiegelgeschehen.“ Wenn wir uns gegenseitig nicht wahrnehmen oder nur schlechte Rückmeldungen geben, macht sich das nicht nur am Arbeitsplatz an einem schlechten zwischenmenschlichen Klima bemerkbar. Es wirkt sich auch auf die Motivation und somit auf die Arbeitseffizienz aus.
Soziale Ausgrenzung verhindert, dass der Botenstoff-Cocktail die Motivationssysteme des Gehirns aktivieren kann. Dauert eine angespannte zwischenmenschliche Situation länger an, kann ein Burnout die Folge sein.
Der Versuch das Syndrom genauer zu definieren, ist kompliziert. „So gibt es über 150 Leiden, die man mit Ausgebranntsein in Verbindung bringen kann“, stellt Professor Detlev O. Nutzinger, Ärztlicher Direktor der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik in Bad Bramstedt fest. In der in Deutschland verbindlichen Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) wird Burnout als „Zustand der totalen Erschöpfung“ beschrieben. Es ist unter der Diagnose Z 73.0 „Erschöpfungssyndrom“ verschlüsselt. Eine Definition, die für die Diagnose wenig hilfreich ist, findet Matthias Burisch, Professor der Psychologie an der Universität Hamburg.
Erste Warnsignale
Als erstes Warnsignal, hebt Burisch hervor, können Schlafstörungen auftreten. Nutzinger erklärt, dass man die Beschwerdebereiche vier Symptomkonstellationen zuordnen kann. Zum einen können psychosomatischen Beschwerden auftreten. Diese körperlichen Warnsignale betreffen das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt, die Muskulatur und das Immunsystem. Eine weitere Symptomgruppe macht sich auf emotionaler Ebene bemerkbar. Typisch sind Stimmungsschwankungen. Ärger und Angstgefühle verstärken sich. Diese negative Grundstimmung mündet in Zynismus, Resignation und dem Gefühl, ausgeliefert zu sein. Die Konzentration sinkt, eine einfache Entscheidung zu treffen fällt schwer.
Das Verhalten von Betroffenen verändert sich. Sie ziehen sich aus privaten Kontakten zurück. Hobbys werden aufgegeben. Alkohol wird häufig als Bewältigungsstrategie eingesetzt. Betroffene trinken, um abschalten zu können. Dem Gefühl der inneren Leere versuchen die Betroffenen entgegen zu wirken. So können zur Belohnung vermehrtes Einkaufen oder exzessive Verhaltensweisen schon auf Burnout hinweisen. Der Prozess des „Ausbrennens“ verläuft in typischen Phasen, und kann laut Nutzinger sehr unterschiedlich lange dauern. Teilweise zieht es sich über Jahre hinweg. Gewisse Situationen wie Mobbing oder Kränkungen können jedoch den Prozess massiv beschleunigen und sehr rasch die ersten Symptome zum Vorschein bringen.
Schleicht sich der Verdacht ein, dass man Gefahr läuft auszubrennen, raten Experten als erstes, sich mit Freunden oder dem Partner zu besprechen. Wie habe ich mich tatsächlich verändert? Drängt der Beruf alles andere in den Hintergrund? Habe ich mich selbst und Freunde vernachlässigt? Ein zweiter Schritt kann sein mit einem Fachmann zu sprechen. Teilweise können schon ein paar Coachingstunden sehr viel erreichen. Hier werden Verhaltensweisen überprüft mit dem Ziel, dass der Betroffene jetzt rechtzeitig merkt, wenn er sich verausgabt.
Nur noch Psychotherapie hilft
Aus dem Endstadium des Burnout-Prozess kommt der „Ausgebrannte“ jedoch nur mit psychotherapeutischer Hilfe heraus. Hier haben sich die Verhaltenstherapie und die psychodynamische Therapie bewährt. Laut neuester wissenschaftlicher Studien sind sie gleich gut wirksam. Diese beiden Psychotherapieverfahren werden auch von den meisten Krankenkassen anerkannt. Selbst in diesem Endstadium kann, so Bauer, kann mit 20 bis 30 Sitzungen enorm viel erreicht werden. Therapien gibt es ambulant oder auch stationär zum Beispiel für sechs Wochen in einer spezialisierten Klinik. Ziel ist krankheitsfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen zu erkennen und zu ändern. Durch diese psychotherapeutischen Verfahren aber auch durch Sport und Genusstraining wird außerdem die Fähigkeit Gefühle zu empfinden wieder entdeckt.
Wie viele Menschen vom Burnout-Syndrom betroffen sind, kann man nicht genau sagen. Nutzinger betont, dass die Zahl von sieben Prozent eine ganz grobe Angabe ist. Ungefähr so hoch ist der Anteil der deutschen Bevölkerung, der „unter der Problemkonstellation Burnout leidet“. Jedoch befänden sich viele davon im Vorstadium, wozu eben auch schon Konzentrationsschwäche, chronische Erschöpfung und eingeschränkte Leistungsfähigkeit zählen. Bauer hat in seiner Studie herausgefunden, dass von 949 befragten deutschen Lehrern, fast 30 Prozent an erheblichen belastungsbedingten Gesundheitsproblemen leiden. Vermeiden lässt sich das laut Nutzinger vor allem durch Eines: „Die Balance zwischen Arbeit, Beruf, Familie und Freizeit wieder zu finden“.