Neurophysiologen haben jetzt den wissenschaftlichen Beweis für eine Erkenntnis erbracht, die Poeten schon seit der Antike beharrlich vertreten haben: die Liebe hält – im günstigsten Fall – ein Leben lang an. Prosaischer ausgedrückt: das ventrale Tegment des Gehirns und sein Nucleus accumbens werden auch nach Jahren der Zweisamkeit von dem Gedanken an den Partner aktiviert.
Die Emotionen, die das frische Verliebtsein auslösen, gelten oft als wenig haltbar, sind einem Ansturm von erodierenden Faktoren ausgesetzt – dem sprichwörtlichen Zahn der Zeit, in dem Eheprobleme, Häuslebau und die oft zermürbenden Jahre des gemeinsamen Kinderaufziehens die Romantik der ersten gemeinsamen Tage verdrängen. Bei denjenigen Menschen jedoch, die all diese Klippen umschifft haben, reagiert das Gehirn auf eine verblüffend ähnliche Weise wie in der Anfangszeit einer Beziehung. Eine amerikanische Forschergruppe hat mit einem modernen bildgebenden Verfahren, dem 3T-Brain Scanner, die Aktivitäten in bestimmten Gehirnregionen gemessen, die als Sitz emotionaler Empfindungen gelten.
Dabei gelang, so formulierte es die Anthropologin Helen Fisher von der Rutgers University in New Jersey auf dem Kongress „Neuroscience 2008“ in Washington, erst mal der Nachweis, dass „romantische Liebe“ im Zentralnervensystem auch über viele Jahre eine festen Sitz hat. Die amerikanischen Forscher untersuchten 17 Probanden, die im Schnitt seit mehr als 21 Jahren mit einem Partner zusammen waren, in einem simplen Test. Sie zeigten ihnen ein Bild des Lebensgefährten – abwechselnd mit dem Porträt einer neutralen Person. Gleichzeitig sahen sie sich die Gemütsregungen der Probanden im Gehirnscanner an. Das Gerät, ein Magnetresonanztomograf zur Darstellung der verschiedenen Hirnregionen und ihres Aktivitätslevels, zeigte in dem als ventrales Tegment bezeichneten Gehirnabschnitt eine Aktivierung, die derjenigen entsprach, die man in früheren Studien bei Frischverliebten gefunden hatte.
Aber es gab auch deutliche neurophysiologische Unterschiede zwischen Menschen, die sich in der akuten Phase einer neuen Liebensbeziehung befanden und jenen, die Teil einer gereiften Partnerschaft waren. Bei Frischverliebten wurden starke Aktivitäten im Gyrus cinguli registriert – das ist eine Hirnregion unterhalb des Stirnhirns, in dem Empfindungen wie Obsession und auch Angstgefühle zu finden sind, die häufig zur stürmischen Gefühlslage am Beginn einer Liebesbeziehung gehören. Bei langjährig Verliebten dagegen wurde eine erhöhte Aktivität von serotoninreichen Regionen im Hirnstamm registriert. Diese gelten im Spektrum emotionalen Erlebens eher als Sitz von Ruhe und Gelassenheit. Das heißt indes bei weitem nicht, dass eine Liebesbeziehung, die schon viele Jahre hinter sich hat, langweilig sein muss. Denn auch der Nucleus accumbens war bei den Testpersonen, wenn sie bildlich oder in Interviewfragen mit dem Gedanken an den Lebenspartner konfrontiert wurden, in einem Zustand erhöhter Erregung.
Der Nucleus accumbens ist eine Kernstruktur im unteren Vorderhirn. Sie spielt eine zentrale Rolle beim Verlangen und bei dem Belohungsgefühl, das eine Erfüllung des Verlangens mit sich bringt.
„Individuen in lang andauernden Beziehungen“, erklärte Fisher auf dem Washingtoner Kongress, „sehen in ihrem Liebhaber, ihrer Geliebten etwas hochgradig Belohnendes und sehnen sich nach dem Zusammensein mit diesem Objekt. Die Manie der frühen Phase einer Liebe hat indes einem Gefühl der Ruhe, der Ausgeglichenheit Platz gemacht.” Die Wissenschaftlerin hat zahlreiche Bücher zur Physiologie menschlicher Beziehungen („Warum wir lieben. Die Chemie der Leidenschaft”, „Das starke Geschlecht. Wie das weibliche Denken die Zukunft verändern wird.”) verfasst.
Die Neurologin Fisher weiß auch aus eigener Forschung, dass der Nucleus accumbens auch für die stärkste Form des Verlangens zuständig ist: die Sucht. Womit alte, lange vor Erfindung des Gehirn-Scans vorgebrachte Weisheiten eine Rechtfertigung finden wie jene, die beispielsweise Bryan Ferry in den 1980er Jahre so einfühlsam besang: Love is the drug for me...