Im Rotwein steckt ein gutes Mittel gegen Diabetes. Doch soviel kann kein Mensch trinken, bis die nötige Wirkstoffmenge erreicht ist. Also packen Forscher das Gute im Rotwein in eine Tablette. Jetzt wird ihre lebensverlängernde Wirkung getestet.

An den medizinischen Nebenwirkungen von Rotwein als Hausmittel gegen allerlei Gebrechen hat die Wissenschaft bislang die positive Wirkung bei Angina pectoris und Fettleibigkeit nachweisen können. Nun dringt die Laborforschung in die Feinheiten vor. Die Substanz Resveratrol - nicht im weißen, aber im roten Wein in geringer Dosierung natürlich vorhanden - hat sich jetzt als ein Mittel gegen Diabetes herausgestellt. Der Haken dabei: Für eine wirksame Dosis bedarf es enormer Mengen Wein. Ein Mensch müsste 1000 Flaschen Rotwein im Jahr trinken oder aberwitzige Mengen der herkömmlichen Resveratrol-Kapseln schlucken - und mit drastischen Nebenwirkungen rechnen.

Jetzt hat eine US-amerikanische Forschergruppe ein Molekül identifiziert, das offenbar genauso heilsam ist wie Resveratrol, aber seine Wirkung ums 1000-Fache übertrifft. Die Substanz mache Versuchsmäuse empfänglicher für Insulin, berichten die Forscher der Firma Sitris Pharmaceuticals (Cambridge) in der heutigen Ausgabe von "Nature".

Lebensgefährliche Kettenreaktion

Der Hintergrund: Eine Unempfindlichkeit gegen das Hormon Insulin ist meistens ein Zeichen für Diabetes vom Typ 2, unter den fast 90 Prozent aller weltweit 170 Millionen Diabetiker fallen. Reagiert der Körper nicht fachgerecht auf Insulin, dann wird der Zucker nicht aus dem Blut ins Gewebe transportiert. Die Folge: Der Blutzuckerspiegel steigt lebensgefährlich, die Bauchspeicheldrüse produziert mehr und mehr Insulin ins Leere - um schließlich völlig zu versagen.

Die Rotweinsubstanz Resveratrol kann die lebensgefährliche Kettenreaktion unterbrechen, das bewiesen die Cambridge-Forscher um Christoph Westphal im Versuch mit Zellmaterial ebenso wie bei Labormäusen. Der Effekt: Diabeteskranke Tiere waren plötzlich wieder in der Lage, ihren Blutzuckerspiegel ohne künstliche Zugabe von Insulin eigenständig zu regulieren. Warum die Weinsubstanz wirkt?

Zelle in Not

Resveratrol beeinflusst eine Gruppe von Genen - sie heißen Sirtuine -, die normalerweise nur auf den Plan treten, wenn eine Zelle in Not gerät. Die Sirtuine steuern den Stoffwechsel und schützen die Zellen vor Krankheiten.

Eines der Sirtuin-Gene namens "SIRT1" steuert die Reaktion des menschlichen Körpers auf das Insulinsignal. Um seine medizinische Wirkung zu entfalten, muss allerdings Resveratrol in rauen Mengen vorhanden sein: Drei Flaschen Rotwein pro Tag müsste ein Diabetiker trinken, um "SIRT1" zu aktivieren - oder täglich mehrere Dutzend der in US-Drugstores rezeptfrei verfügbaren Resveratrol-Produkte schlucken, deren Nebenwirkungen nicht geklärt sind.

"Jetzt haben wir eine 1000-fach stärkere Substanz", schreibt Westphal in seiner Studie. Die Forscher haben ihre Studie mit dem synthetischen Sirtuinaktivator, "der den Effekt von Resveratrol nachahmt, aber 1000-fach potenziert ist", abgeschlossen - mit gutem Erfolg.

Diabetes und Alterung

Jetzt versuchen die Sirtris-Forscher, das Wissen in neue Medikamente umzumünzen. Die neue Pille, so hoffen die Wissenschaftler, könne nicht nur gegen Diabetes, sondern auch gegen Erkrankungen des Alterns helfen.

Schon seit Langem wissen Mediziner, dass sich Rotwein in geringen Mengen positiv auf die Gesundheit auswirkt. Ebenso lange beschäftigt die Mediziner das "französische Paradoxon": Warum verkraften unsere westlichen Nachbarn reichlich fettes Essen und erkranken dennoch seltener an Herz und Kreislauf und werden obendrein sogar älter als der europäische Durchschnitt?

Dass die Rotweinsubstanz Resveratrol dahinterstecken könnte, entdeckten die Sitris-Wissenschaftler vor etwa einem Jahr. Ihre Versuche zeigten: Die Substanz verlängert das Leben von Labormäusen um 24 Prozent, Fliegen und Fische leben mit Resveratrol sogar 59 Prozent länger. Resveratrol kommt nicht nur in Rotwein vor, sondern auch in Beeren, Granatäpfeln und anderen pflanzlichen Produkten. Ob das synthetische Resveratrol ebenfalls seine lebensverlängernde Wirkung entfalten kann, das wollen die Cambridge-Wissenschaftler jetzt als Nächstes prüfen.