Technik

Roboter werden schon bald zu Arbeitskollegen

| Lesedauer: 9 Minuten
Norbert Lossau

Foto: dpa

Der US-amerikanische Zukunftsforscher Paul Saffo hat bisher fast alle technische Entwicklungen richtig vorhergesagt – jetzt verrät er Morgenpost Online wie er sich die Zukunft vorstellt: Roboter werden einen großen Teil jener Jobs übernehmen, die heute noch von Menschen verrichtet werden.

Morgenpost Online: Sie sind Zukunftsforscher. Ist es überhaupt möglich, Vorhersagen über die Zukunft zu machen?

Paul Saffo: Es ist tatsächlich nur in wenigen Ausnahmefällen möglich, künftige Entwicklungen konkret vorherzusagen. Bei meinen Vorhersagen geht es jedoch darum, ein ganzes Spektrum von möglichen Entwicklungen zu identifizieren. Das kann dann die Grundlage für bessere Entscheidungen in der Gegenwart sein. Stellen Sie sich die Gegenwart als die Spitze eines Kreiskegels vor. Die Zukunft liegt dann innerhalb dieses Kegels. Je weiter wir in die Zukunft schauen, umso ungewisser wird sie. Aber es hängt eben auch von der Fragestellung ab, wie groß der Öffnungswinkel des Zukunftskegels ist. Innerhalb des Kegels gibt es viele denkbare Entwicklungen. In diesem Sinne ist es sehr gut möglich, die Zukunft vorherzusagen.

Morgenpost Online: Es geht also nicht darum, nur ein Szenario für die Zukunft zu entwickeln, sondern eine ganze Reihe?

Saffo: Ganz genau.

Morgenpost Online: Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Vorhersagen, die Sie gemacht haben?

Saffo: Mein Spezialgebiet ist die Technologie. Dabei geht es weniger um die Details künftiger Hard- oder Software, sondern eher um die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien. Neue Technologien sind Schlüsselfaktoren, die unser Leben dramatisch verändern können. Ich versuche, Technologietrends rechtzeitig vorherzusagen und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Veränderungen zu beschreiben.

Morgenpost Online: Können Sie bitte konkrete Beispiele für von Ihnen gemachte Vorhersagen geben, die dann auch so eingetreten sind?

Saffo: Für die 80er-Jahre hatte ich seinerzeit den Siegeszug des PC vorhergesagt, der auf der Technologie des Mikroprozessors basiert. Für die 90er-Jahre sagte ich die dramatische Entwicklung des Internets und der Kommunikationsanwendungen von Elektronik voraus. Nicht das einzelne System, sondern das Netzwerk von Einzelsystemen stand fortan im Vordergrund. Anfang der 90er-Jahre habe ich dann für dieses Jahrzehnt die zentrale Bedeutung von preiswerten Sensoren vorhergesagt, etwa RFID-Funkchips oder CCDs in Videokameras. Das sind alles Chips, deren Daten von Computern verarbeitet werden können. Auch diese Vorhersage ist wahr geworden.

Morgenpost Online: Und was wird die nächste Technologie sein, die unser Leben verändern wird?

Saffo: Die nächste große Sache, die die Menschen mindestens ebenso sehr erstaunen wird wie der PC oder das World Wide Web, das werden Roboter sein. Viele werden verblüfft sein, was da alles möglich sein wird. Das ist eine ganz logische Entwicklung: Am Anfang war der Mikroprozessor, dann die Vernetzung der Computertechnik, dann die Sensoren, gleichsam die Augen und Ohren der Computer. Warum sollte man das Ganze nicht jetzt auch auf Räder stellen. Und das sind dann die Roboter. Die Anfänge sind ja bereits zu beobachten. Es gibt bereits kleine Roboter als Spielzeug. 2003 kam der erste Roboterstaubsauger auf den Markt. Kleine Roboterhubschrauber, die schon klug genug sind, nicht gegen Wände zu fliegen, beeindrucken mich besonders. Die technologischen Grundlagen für ungezählte Roboteranwendungen sind schon heute verfügbar. Gebraucht wird jetzt nur noch die entsprechende Idee, und schon kann etwas ganz Neues Realität werden. Die Frage ist also: Wer wird der Steve Jobs oder der Bill Gates der Robotik sein? Ein großer Visionär könnte jetzt mit den zur Verfügung stehenden Technologien wirklich Großes, Neues schaffen, faszinierende Anwendungen, denen die Menschen nicht widerstehen würden.

Morgenpost Online: Sie sagen das Zeitalter der Roboter voraus. Was nützt uns denn diese Vorhersage heute?

Saffo: Nun, das hängt davon ab, wo Ihre Position in der Business-Welt ist. Es ist klar, dass die Roboter zunächst die Welt der Industrie erobern werden. Dort gibt es sie ja bereits heute, und es werden mehr und mehr werden. Im nächsten Schritt werden Roboter einen großen Teil jener Jobs übernehmen, die heute noch von Menschen in Büros verrichtet werden. Auf den massiven Einsatz von Robotern im Haushalt werden wir noch länger warten. Ich weiß bislang noch nicht, was hier die Killer-Applikation sein wird. Doch ich garantiere Ihnen, irgendjemand wird das schon noch herausfinden. Als Geschäftsmann können Sie sich jetzt vielleicht darauf freuen, dass in Ihrem Bereich die Arbeit mithilfe von Robotern künftig effizienter werden kann. Als Politiker sollten sie rechtzeitig darüber nachdenken, wie die Arbeitsplätze, die hier verloren gehen werden, vielleicht an anderen Stellen neu geschaffen werden können. Es ist aber schwierig zu sagen, ob sich diese Entwicklung ganz allmählich vollziehen oder eher über Nacht passieren wird.

Morgenpost Online: Haben Sie auch schon einmal Prognosen gemacht, die sich schließlich als völlig falsch herausgestellt haben?

Saffo: Wenn man Dinge öfter falsch vorhersagt, dann ist man natürlich ein schlechter Zukunftsforscher. Es kommt eben darauf an, dass man den Prognose-Kegel, von dem ich eingangs sprach, nicht zu eng macht, sodass man alle realistischen Möglichkeiten berücksichtigt. Andererseits darf der Kegel nicht so weit werden, dass die Studie keine Aussagekraft mehr hat. Das ist eben die hohe Kunst der Prognose. Doch auch ich habe Fehler gemacht. So habe ich Anfang der 90er-Jahre in einer Kolumne des Magazins „Wired“ geschrieben, dass ich im Cyberspace eine neue virtuelle Hippie-Bewegung vorhersehe. Und das ist nicht passiert. Dieser Fehler ist geschehen, weil ich eine meiner eigenen Regeln des Vorhersagens verletzt habe. Man darf niemals eine Vermischung zulassen zwischen dem, was man selber hofft, dass es geschehen möge, und dem, was man ganz realistisch als eine Möglichkeit einschätzt. Eigene Hoffnungen oder Befürchtungen müssen strikt von der rationalen Analyse ferngehalten werden. Sonst gibt es da eine kognitive Dissonanz. Ja, ich gebe es zu – die digitale Hippie-Bewegung war reines Wunschdenken von mir.

Morgenpost Online: Die Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Heißt dies, dass auch das Prognostizieren schwieriger geworden ist?

Saffo: Eine Reihe von Zukunftsforschern glaubt dies. Ich sehe das aber nicht so. Ist denn unsere Gesellschaft wirklich komplexer geworden? Da bin ich mir wirklich nicht so sicher. Auf jeden Fall ist es jedoch so, dass heute mehr auf dem Spiel steht als früher. Wir können uns immer weniger Fehler leisten. Deshalb ist es wichtig, dass die wissenschaftlichen Prognosemethoden immer besser werden.

Morgenpost Online: Wer sind Ihre wichtigsten Auftraggeber?

Saffo: Zum einen bin ich Professor in Stanford und mache meine eigene Langzeitforschung. Ich versuche ständig, die Methodik der Vorhersage zu verbessern. Ein wichtiger Kunde von mir ist die Firma Samsung. Ansonsten arbeite ich für viele kleine Start-up-Unternehmen im Silicon Valley. Für die sind Prognosen extrem wichtig. Junge Firmen können ja besonders von neuen technologischen Entwicklungen und Trends profitieren. Schließlich bin ich als Berater verschiedener Regierungen tätig.

Morgenpost Online: Auch für die US-Regierung?

Saffo: Nein.

Morgenpost Online: Was ist denn besonders wichtig, um gut in die Zukunft schauen zu können?

Saffo: Ganz wichtig ist es, Ausschau nach Indikatoren zu halten, die bedeutende Veränderungen ankündigen könnten – Ereignisse und Entwicklungen, die irgendwie nicht ins bisherige Bild passen und die Vorboten von größeren Dingen sein können. Ich will Ihnen ein Beispiel aus dem politischen Bereich geben. Als im März 2001 die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan von den Taliban zerstört wurden, war das eine bis dahin nicht geschehene Qualität. Das war etwas schier Unglaubliches. Mir war damals sofort klar, dass dies ein Zeichen für kommende, dramatische Entwicklungen sein könnte. Ich habe Freunde im Außenministerium angerufen und gesagt: Ich weiß nicht, was das bedeutet, doch ich glaube, das ist wirklich von außerordentlicher Bedeutung. Heute glaube ich, dass dies ein Vorbote für die schrecklichen Anschläge vom 11. September war.

Das Gespräch führte Norbert Lossau