Berlin. Es ist ein Blick in weit, weit entfernte Galaxien – und einer in eine lange zurückliegende Vergangenheit. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hat das erste Farbbild des Weltraum-Teleskops "James Webb" gezeigt.
Nicht weniger als das "tiefste und schärfste Infrarot-Bild des frühen Universums" habe der fast zehn Milliarden Euro teure Apparat angefertigt, heißt es von der Nasa. Nur "ein kleiner Teil des Universums" sei auf dem Bild zu sehen, sagt deren Chef Bill Nelson bei der Vorstellung im Weißen Haus.
US-Präsident Joe Biden und sein Vize Kamala Harris haben es sich nicht nehmen lassen, bei dem "historischen Tag" (Biden) mit dabei zu sein. Harris spricht von einem "aufregenden neuen Kapital in der Erforschung unseres Universums", Biden sieht im Teleskop eine Erinnerung daran, "dass Amerika große Dinge tun kann".
James Webb blickt in die Vergangenheit
Tausende von gelben, orangefarbenen, weißen und blauen Spiralen, Bögen und Punkten vor einer tiefschwarzen Leinwand vermitteln einen Eindruck davon, wie es da draußen aussieht – oder vielmehr ausgesehen hat. Das Licht, das "James Webb" für die Aufnahme eingefangen hat, ist vier Milliarden Jahre alt und älter.
Für manche der Punkte auf dem Bild war Licht 13 Milliarden Jahre unterwegs, bis es auf das Herz des Teleskops getroffen ist, ein sechseinhalb Meter großer konkaver Spiegel. Der Himmelsausschnitt, den die Aufnahme abdeckt, ist dabei in etwa so groß wie ein Sandkorn, das jemand auf den Boden hält.
12 Stunden lang hat "James Webb" für sie hinausgestarrt in die vermeintliche Leere, auf eine Ansammlung von Galaxien mit dem Namen SMACS 0723. Diese wirkt wie eine Gravitationslinse und vergrößert viel weiter entfernt liegende Galaxien.
Um die Aufnahme anzufertigen, hat das Teleskop eine weite Reise zurückgelegt. 1,5 Millionen Kilometer entfernt von der Erde fliegt "James Webb" auf seiner Umlaufbahn durch das All, viermal so weit weg wie der Mond. Für die Reise zu seinem Bestimmungsort, der als zweiter Lagrange-Punkt oder L2 bekannt ist, brauchte das Teleskop fast einen Monat. Bis es einsatzbereit war, vergingen weitere Monate. Nun war es soweit.
"Mitnichten das Weiteste, das Webb sehen kann"
Experten jubeln ob der Aufnahme die, bei aller Faszination, nur ein Testbild ist, eine Kostprobe von dem, was "James Webb" eigentlich kann. "Fantastisch - Galaxien über Galaxien über Galaxien", sagte der Astronom Jonathan Lunine von der US-Universität Cornell.
"Obwohl es mitnichten das Weiteste ist, das Webb sehen kann, ist es das tiefste jemals aufgenommene Bild und zeigt die Kraft dieses bemerkenswerten Teleskops: unglaubliche Empfindlichkeit, eine große Bandbreite an Wellenlängen und scharfe Bild-Klarheit."
Der Astronomie-Professor Avi Loeb von der Harvard-Universität erklärte, in roter Farbe seien auf der Aufnahme ältere Galaxien zu sehen. Die hellen Kreise und Ellipsen seien jüngere Galaxien. Loeb zeigte sich "begeistert", dass das Weltraumteleskop noch näher an die Zeit des Urknalls - des Big Bang - vor 13,8 Milliarden Jahren blicken kann als bei der nun veröffentlichten Aufnahme.
Wunderwerk der Technik
Am Dienstag veröffentlichte die Nasa weitere von dem Teleskop aufgenommene Bilder. Die Farbbilder seien von Vertretern verschiedener an dem Projekt beteiligter Raumfahrtagenturen ausgewählt worden und zeigten unter anderem den sogenannten Carinanebel, eine Art Gaswolke, und den außerhalb unseres Sonnensystems gelegenen Planeten "Wasp-96 b", hatte die Nasa zuvor mitgeteilt.
Das auch mit deutscher Beteiligung gebaute Teleskop war im Dezember nach jahrzehntelangen Vorbereitungen ins All gebracht worden. Eine Ariane-5-Rakete flog James Webb am ersten Weihnachtstag vom Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana aus ins All. Das Teleskop übertrifft seinen Vorgänger Hubble an Größe und Komplexität bei Weitem.
Wissenschaftler erhoffen sich von den Aufnahmen des Teleskops unter anderem Erkenntnisse über die Zeit nach dem Urknall. Sie hoffen auf Bilder von Sternen, die älter sind als unser Sonnensystem und vielleicht nicht mehr existieren - und möglicherweise sogar auf Hinweise auf eine zweite Erde. Die Lebensdauer von "James Webb" ist dabei erstmal auf zehn Jahre angelegt. (mit dpa/AFP)
Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.