Wien. Österreich ist seit Dienstag wieder im harten Lockdown. Die Straßen Wiens sind nicht mehr wiederzuerkennen: Es herrscht gähnende Leere.
Dragana hat gerade aufgesperrt. Auf dem Grill brutzeln die Käsekrainer, die Bratwürste. Sie stapelt Bierdosen in den Kühler. Vor ihr: die Mariahilfer Straße , die Shoppingmeile der Stadt, in der es noch am Vortag wild zugegangen ist. Nun aber: gähnende Leere. Es ist später Vormittag.
Da und dort ein paar Spaziergänger, massenhaft Lieferwagen, Ware wird aus Läden in die Lkw verfrachtet – „Sortimentswechsel“, ruft eine junge Frau genervt. Dazwischen: Kinder auf Fahrrädern, der eine oder andere Jogger, ein paar Punks, ein paar Männer mit Plastiksäcken und Bierdosen auf Bänken sitzend.
„Mal sehen“, sagt Dragana, wendet die Würste und lacht. Sie hätte ja nicht aufgesperrt heute. Aber ihre Chefin wollte unbedingt. Und so steht sie eben heute da, brät Würste, stellt sicher, dass auch immer genügend kaltes Bier da ist. Und sie schimpft ein wenig mit ihren Gästen: „Trinken müssen’s aber woanders“, bellt sie – grinst aber zugleich. „Sonst gibt’s Probleme.“ Nicht, dass sie die Leute loshaben will. Nur, das ist die Bestimmung.
Lockdown: Österreich steht nahezu still
Lockdown , das bedeutet: Alles ist zu außer die Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Tankstellen, Tabakläden, Banken, Kfz- sowie Fahrradmechaniker, Post und Handyshops. Die Gastronomie darf ausschließlich auf der Gasse verkaufen. Der Würstelstand, der ist damit also praktisch das Geschäftsmodell für die Pandemie: unter freiem Himmel, Verkauf aus dem Kiosk heraus, kein direkter Kundenkontakt, was schon zuvor zu späterer Stunde seine guten Gründe hatte, kein Biergarten.

An der üblicherweise rund um einen solchen Würstelstand herumgebauten Theke festhalten darf man sich derzeit nicht. Aber auch hierzu sagt Dragana: „Mal sehen.“ Weil alles Neuland ist dieser Tage. Für alle – und eben auch für die Exekutivorgane: Man müsse jetzt „nicht damit rechnen, dass an jeder Ecke ein Polizist steht“, entwarnte ein Sprecher des Innenministeriums am Montag.
Seit Dienstag gilt in Österreich ein umfassender Lockdown. Neben der Schließung des Handels gelten weitgehende Beschränkungen. Prinzipiell gilt eine Ausgangssperre. Raus darf man – eigentlich – nur für berufliche Zwecke, zur Erholung, zum Individualsport. Treffen darf man nur Personen aus dem eigenen Haushalt oder nahe Verwandte sowie eine Bezugsperson. Es gilt eine Abstandsregel von einem Meter zu Personen, die nicht im selben Haushalt leben. Dienstleistungsgewerbe ist untersagt. Lesen Sie hier: Corona-Gipfel: Merkel erwartet schwierige Entscheidungen
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Corona-Maßnahmen: Eine leichte Abflachung der Kurve lässt sich erahnen
Veranstaltungen sind bis auf wenige Ausnahmen verboten. Schulen und Kindergärten laufen im Notbetrieb. Nötig geworden war das nach einem zuletzt exponentiellem Anstieg der Infektionszahlen . Hatte die Bundesregierung in Wien im Oktober noch die Zahl von täglich 6000 Neuinfektionen als kritische Marke festgelegt, ab der es zu Engpässen im Gesundheitssystem kommen könnte, so lag man bereits Anfang November weit darüber. Und zuletzt bei bis zu 9250 registrierten Infektionen pro Tag.
Die Inzidenz lag am Dienstag bei 527,4. Erstmals lässt sich aber zumindest eine leichte Abflachung der Kurve erahnen. Denn der jetzige Lockdown, der ist nur die letzte Stufe in einer sich seit dem September stetig drehenden Eskalationsspirale. Erst Anfang November waren umfassende Maßnahmen geltend geworden. Grob gesagt galt: Die Gastronomie sperrt zu, der Handel bleibt offen. Dies einhergehend mit dem Appell an die Eigenverantwortung der Bürger. Lesen Sie hier: „Wunder von Madrid“: Corona-Teststrategie verfälscht Zahlen
Die Folge: Hamsterkäufe in Einkaufszentren, Rabattaktionen, die noch am Montag dazu führten, dass sich Hunderte Meter lange Warteschlagen bildeten. Und daher gab es auch nur eine bestenfalls minimale Abflachung der Kurve .
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Jetzt also die die Notbremse. Im Eingang ihres Cafés auf dem Wiener Yppenplatz sitzt Daniela Condric, die nackten Füße auf einen Klappsessel gelegt, den Laptop auf dem Schoß. Voll ist es hier an normalen Tagen von früh bis abends. Vor allem an sonnigen Tagen. Und sie scheint an diesem Tag. Nur aufsperren kann sie heute nicht. Homeoffice im eigenen Betrieb nennt sie das, was sie macht. Und irgendwie auch: „bezahlten Urlaub“.
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Corona-Krise: Die Gastronomie hofft auf 80-prozentigen Umsatzersatz
Denn während an allen Ecken und Enden um die Kompensation von Einnahmeausfällen gefeilscht wird, ist der Modus für die Gastronomie klar: Geltend gemacht werden können 80 Prozent des Umsatzes des November 2019.
Aber sie fangen schon ein paar Meter weiter an, die Alltagssorgen. Auf dem Brunnenmarkt , einem sonst aus allen Nähten platzenden Straßenmarkt, der sich vom Yppenplatz eine Straße entlangzieht: gähnende Leere. Hasim, der in einem Fleischereistand in einer Ecke kauert, fürchtet, dass ihm die Ware verdirbt. Die Nachbarstände haben gar nicht aufgesperrt. Dürfen sie auch nicht. Sie verkaufen Textilien, billige T-Shirts, Leggins, Sportschuhe.
Etwas weiter ein Falafelstand. Und auch hier skeptisches Schulterzucken und vielsagendes Schweigen des Verkäufers, der die Kichererbsen-Mehl-Bällchen im Fett brutzelt und in die Vitrine wirft. „Ich hätte nicht aufsperren sollen“, sagt er.

Der Wiener Würstelstand, der aber ist dieser Tage der krisenresistente Fels in der österreichischen Gastrobrandung. Ein Kiosk mit dem Nötigsten: Fleisch, Bier, Brot, Limonade und – je näher man sich der Innenstadt nähert – vielleicht sogar Wein oder auch Champagner. Aber egal, ob im Zentrum oder an der Peripherie: Die Damen und Herren am Wurstgrill sind durchweg zufrieden.
Und auch Daniela Condric nimmt es gelassen: Viele Menschen blieben in Wien , gingen viel aus, gaben Geld aus. „Das war der beste Sommer in den fünf Jahren, die ich hier bin“, sagt sie. Aber ihr ist auch klar: Das gilt für die Beiseln am Eck, das gilt für die Gastronomie mit Stammpublikum in der Region, für Wirtshäuser.
Das gilt aber nicht für die auf ausländische Gäste ausgerichtete Innenstadtgastronomie oder eben noch nicht so etablierte Lokale. Und abseits der Gastronomie ist ihr auch klar: Für andere Sparten gilt eben kein 80-prozentiger Umsatzersatz . Sie deutet in Richtung Markt und sagt: „Da fühlt man sich fast ein bisschen schlecht.“ Ihr Projekt für die kommenden Wochen: Sie lernt Gebärdensprache. Denn Zeit hat sie jetzt ja. Viel Zeit.
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