Paris. Als Frankreichs für gewöhnlich vor Energie strotzender Präsident Emmanuel Macron am Dienstagmorgen noch vor Sonnenaufgang in die Mikrofone spricht, ist er auffallend bleich. Er verkörpert in diesem Moment die Fassungslosigkeit und die Trauer seiner um ihr Nationalheiligtum bangenden Landsleute.
„Das Schlimmste konnte verhindert werden“, erklärt Macron erleichtert – der fürchterliche Brand, der sieben Stunden zuvor im Dachstuhl der Pariser Kathedrale Notre-Dame ausgebrochen war, ist gelöscht. Das Feuer hat die weltberühmte Kathedrale zwar teilweise zerstört – doch den Pariser Feuerwehrleuten ist es unter Einsatz ihres Lebens gelungen, den völligen Kollaps des gotischen Sakralbaus zu verhindern.
Wie groß ist der Schaden?
Die Franzosen werden die Auswirkungen des Feuers noch jahrelang schmerzhaft spüren. Die Flammen haben die im Herzen von Paris auf der Flussinsel Île de la Cité thronende Kirche so stark zerstört, dass sie wohl auf Jahre hinaus für Gläubige und Besucher gesperrt sein wird. Ein Feuerwehrsprecher nennt die Schäden dramatisch. Der Brand vernichtete weite Teile des Dachs, der Spitzturm im Zentrum des Mittelschiffs brach zusammen. Auch im Kircheninnern wütete das Feuer, Fenster gingen zu Bruch. Das genaue Ausmaß ist noch nicht abzusehen. Dazu muss das Gebäude erst einige Tage abkühlen. Die Fassade mit den beiden charakteristischen Glockentürmen jedoch blieb intakt, die mächtigen Steinmauern hielten dem Großfeuer stand.
Warum ist das Feuer ausgebrochen?
Seit Wochen war das Dach von Notre-Dame mit Gerüsten umkleidet. Arbeiter waren damit beschäftigt, das aus dem Mittelalter stammende Baudenkmal vor Witterung und Luftverschmutzung zu schützen. Nach Einschätzung der Pariser Staatsanwaltschaft könnte der Brand von einem Gerüst ausgegangen sein. Auf Brandstiftung deutet demnach nichts hin, die Behörde ermittelt wegen „unbeabsichtigter Zerstörung“.
Es war 18.50 Uhr am Montagabend, als die ersten Flammen auf dem Dachboden entdeckt wurden. Innerhalb von Minuten breitete sich das Feuer aus. Die Bauweise hat das Inferno begünstigt: Zwar besteht das Gewölbe der Kirche, das jährlich 13 Millionen Besucher bestaunen, aus feuerfestem Stein. Darüber befindet sich jedoch ein Zwischenraum, in dem 1300 Eichenbäume verbaut waren.
Sie wurden vor rund 850 Jahren gefällt, die Stämme und Balken waren also alt und trocken. Rund 400 Feuerwehrleute waren im Einsatz, angeleitet von General Gilles Glin persönlich, dem Chef der militärisch organisierten Pariser Berufsfeuerwehr. Sie konzentrierten sich vor allem darauf, die Statik der Kirche zu schützen. Nach dem Einsturz des Spitzturms um kurz nach 20 Uhr fürchteten sie, die ganze Kathedrale könnte über ihnen zusammenstürzen. Glin ordnete daher an, die Feuerwehrleute aus dem Gebäude abzuziehen und schickte ein Kettenfahrzeug hinein, das den Innenraum ausleuchtete. Die Opferbilanz: zwei leicht verletzte Polizisten, ein verletzter Feuerwehrmann.
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Kann Notre-Dame überhaupt wiederaufgebaut werden?
Zahlreiche Franzosen kommen am Dienstag zum Seine-Ufer, mit Tränen in den Augen schauen sie auf das rußschwarze Kirchenschiff. Trotz des Schocks schauen sie nach vorne. Macron schwor noch in der Nacht: „Wir werden Notre-Dame wieder aufbauen.“ Er spricht von einer nationalen Spendenaktion.
EU-Ratspräsident Donald Tusk ruft die Mitgliedstaaten zur Hilfe auf. „Ich weiß, dass Frankreich das allein machen könnte, aber hier geht es um mehr als nur materielle Hilfe.“ Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, bringt eine internationale Geberkonferenz ins Spiel. Bereits jetzt haben mehrere Mäzene Großspendern angekündigt: François-Henri Pinault, Chef des Luxuskonzerns Kering, zu dem Modemarken wie Gucci, Brioni und Yves Saint Laurent gehören, verspricht 100 Millionen Euro.
Ein anderer Milliardär, Bernard Arnault vom Luxuskonzern LVMH, stellt gar 200 Millionen Euro in Aussicht – Notre-Dame sei ein Symbol Frankreichs. Auch die Milliardärsfamilie Bettencourt-Meyers und der Kosmetikriese L’Oreal wollen insgesamt 200 Millionen Euro spenden.
Doch ein originalgetreuer Wiederaufbau ist kaum möglich, wie der Kulturerbe-Experte Bertrand de Feydeau dem Radiosender France Info sagte: Das Dach könne nicht mehr so konstruiert werden wie vor dem Brand, da es „auf unserem Territorium derzeit keine Bäume von der Größe“ gebe, „die im 13. Jahrhundert gefällt wurden“. Trotzdem gibt sich Kulturminister Franck Riester überzeugt: „Wir haben immer noch die Fachkenntnis, ein solches Gebäude zu bauen.“
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Wie reagiert die Welt auf die Katastrophe?
Notre-Dame ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Europas – und ein Mythos. Jeder Franzose erweist der römisch-katholischen Kathedrale mindestens einmal im Leben seine Huldigung. Durch den Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ von Victor Hugo erlangte sie 1831 literarische Unsterblichkeit. Entsprechend nimmt die Anteilnahme überwältigende Ausmaße an, auch in Deutschland.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Macron Hilfe beim Wiederaufbau angeboten – „auch mit deutscher Expertise, mit deutscher Erfahrung“. Es habe sie tief berührt, die Kirche in Flammen zu sehen. Das habe sie Macron bei einem Telefonat am Dienstagvormittag übermittelt. Queen Elizabeth II. reagierte ebenfalls erschüttert. „Ich bewundere aufrichtig die Einsatzkräfte, die ihr Leben riskiert haben, um dieses bedeutende nationale Denkmal zu retten.“ Papst Franziskus nannte Notre-Dame in einem Brief an den Erzbischof von Paris das „architektonische Juwel eines gemeinsamen Gedächtnisses“.
Deutsche Kirchenexperten sorgen sich derweil, dass ein solches Feuer auch hiesige Kathedralen zerstören könnte. Der Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg, Claus Wolf, gibt zu bedenken: „Was in Paris passiert ist, lässt sich, wenn man ehrlich ist, nirgends ausschließen.“
Warum stehen ARD und ZDF in der Kritik?
Die ARD verzichtete am Mittwochabend auf einen „Brennpunkt“, auch das ZDF änderte das Programm nicht. Zum Ärger mancher Kritiker der öffentlich-rechtlichen Sender. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) etwa fragt: „Warum muss man CNN einschalten, während die ARD Tierfilme zeigt?“ ARD-Chefredakteur Rainald Becker verweist darauf, dass die „Tagesschau“ bereits einen Korrespondentenbericht gesendet habe. Er kontert: Das Erste sei kein reiner Nachrichtenkanal, „und Gaffer-TV machen wir auch nicht“. (von Jonas Erlenkämper und Peter Heusch)