Berlin. Der Dauerschnee in den Alpen bricht Rekorde: „Wir haben schon jetzt an sechs Wetterstationen historische Niederschlagsrekorde“, sagt Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst. In einigen Orten wurde das Dreifache des Durchnittswertes gemessen. Doch der Schnee ist gefährlich.
Erst am Dienstag starb ein 24-Jähriger in Österreich durch eine Lawine, wie zuvor schon einige andere. Die meisten Unglücke verursachen die Wintersportler durch eigene Unvorsichtigkeit. Peter Hennekes, Hauptgeschäftsführer des in Grainau beheimateten Deutschen Skilehrerverbands, ist entsetzt über das Verhalten vieler Skifahrer. Wir berichten über das Schnee-Chaos in den Alpen im Newsblog.
In den vergangenen Tagen sind mehrere Skifahrer bei Lawinen-Unglücken gestorben, andere konnten lebend geborgen werden. Bei aller Tragik – sind diese Unglücke normal in einem Skiwinter?
Peter Hennekes: Wir haben nicht so viele Tage im Winter, an denen es so viel Neuschnee in so kurzer Zeit gibt. Teilweise mehr als ein Meter Pulverschnee – davon träumt jeder gute Skifahrer oder Snowboarder. Und jetzt ist er da! Bedauerlicherweise scheint da der eine oder andere seinen Kopf auszuschalten.
Werden die Skifahrer nicht ausreichend gewarnt?
Hennekes: An fehlenden Warnhinweisen kann es nicht liegen. Die Wintersportler werden auf allen medialen Kanälen über die teilweise gefährliche Lage in den Bergen abseits der gesicherten Pisten informiert. Wir als Skilehrer können uns das nur so erklären: Es gibt vermutlich einige Menschen, die trotz aller Warnungen bereit sind, das Risiko in Kauf zu nehmen.
Skifahrern und Snowboardern, die in dieser aktuellen Situation außerhalb der gesicherten Pisten unterwegs sind, muss klar sein, dass sie möglicherweise tödlich verunglücken können.
Leisten da Skischulen zu wenig Aufklärungsarbeit?
Hennekes: Die Skischulen sind in der Regel mehr als vorsichtig, eine andere Arbeitsweise können sie sich nicht leisten. Es gibt so nur ganz vereinzelt Lawinenunfälle, bei denen Skilehrer mit ihrer Gruppe beteiligt sind. Als Grundsatz gilt, die Kunden sind vor möglichen Gefahren bestmöglich zu schützen.
Was suchen Skifahrer abseits der Pisten, was sie auf den Pisten nicht finden?
Hennekes: Sie suchen dieses Gefühl des Schwebens, dieses Eintauchen im lockeren Pulverschnee und seine eigene Spur in den Schnee zu zeichnen. Dieses Gefühl kann man anderen, die es nicht selber schon mal erlebt haben, nur schwer erklären.
Der Schnee wirbelt um einen herum und der Skifahrer schwingt scheinbar schwerelos. Das ist tatsächlich ein unfassbar schönes Gefühl. Wer das einmal erlebt hat, will es möglichst häufig erleben. Aber man kann und darf es nicht erzwingen. Vor allem, wenn das Risiko zu groß wird.

Aber warum fehlt dann so vielen Skifahrern das Gefühl für das Risiko?
Hennekes: Es liegt häufig am fehlenden Wissen über das Risiko, an der Bereitschaft, auch mal auf ein Erlebnis zu verzichten, und an der mangelnden Ausbildung, das Risiko richtig einzuschätzen. Ich kann nur jedem, der die Pisten auch mal verlassen möchte, raten, sich intensiv von Experten schulen zu lassen. Man muss die gesamte Situation beurteilen können und stets wissen, wie das Risiko zu bewerten ist.
Natürlich muss ein solcher Skifahrer auch die richtige Sicherheitsausrüstung dabeihaben: Unabdingbar ist ein Lawinenverschüttetensuchgerät, kurz LVS-Gerät, eine Sonde, eine Schaufel und eine Erste-Hilfe-Ausrüstung. Zusätzlich ist ein Lawinenairbag-Rucksack sinnvoll. Aber ohne, dass ich mit der Ausrüstung umgehen kann, sie also richtig einzusetzen weiß, hilft das ganze Equipment nichts.
Nun hatten die vier deutschen Skifahrer, die in Lech in einer Lawine verunglückt sind, offenbar eine solche Ausrüstung dabei. Verleitet so eine Ausstattung womöglich zu mehr Leichtsinnigkeit?
Hennekes: Das kann schon sein, dass die Ausrüstung eine vermeintliche Sicherheit suggeriert. Aber jeder Skilehrer und Bergführer vermittelt seinen Kunden: Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Der Mensch muss die richtigen Entscheidungen treffen. Wer die Lage in einem Skigebiet nicht wirklich einschätzen kann und Warnhinweise der Experten vor Ort nicht beachtet, sollte sich nicht auf seine Ausrüstung allein verlassen.
Warum ist Skifahren abseits der Piste überhaupt erlaubt?
Hennekes: Was ist sinnvoller – die Eigenverantwortung des Sportlers zu stärken oder staatliche Regulierung zu fordern? Die Skigebiete tun heute schon alles dafür, die Grenzen zwischen gesichertem und ungesichertem Skiraum für jeden erkennbar zu kennzeichnen. Mehr kann man nicht machen.
Ein Verbot würde es für viele Skifahrer vermutlich noch reizvoller machen, die Grenzen zu überschreiten und die Pisten zu verlassen. Es helfen nur Aufklärung und Ausbildung: Wer die Piste verlässt, trägt eine enorme Verantwortung für sich selbst und auch für andere, die gefährdet werden können.
Auch beim Thema Alkohol und Skifahren gibt es keine klaren Regeln und keine Promillegrenze. Warum eigentlich?
Hennekes: Wenn wir Skilehrer merken, dass einer unserer Kursteilnehmer alkoholisiert Ski fährt, darf er die Bretter sofort abschnallen. Das geht absolut gar nicht. Das gilt im Übrigen im Straßenverkehr genauso. Warum es noch keine Debatte über zu viel Alkohol auf der Piste gibt, kann ich nicht beurteilen. Es ist aber auf jeden Fall ein Thema, über das wir reden müssen. Man gefährdet damit schließlich nicht nur sich selbst, sondern auch viele andere Gäste.
Im Übrigen: Wer am Nachmittag nach dem Skifahren einen heben möchte, soll das gern machen. Ans Steuer darf man sich danach aber auch nicht setzen, also bitte alkoholisiert auch nicht auf den Skipisten unterwegs sein.