Berlin. Hand aufs Herz: Wer hatte noch nie ein mulmiges Gefühl, wenn er mit dem Auto über eine hohe Brücke fuhr? Sei es im Urlaub oder bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit. Der Blick von der Fahrbahn in die Tiefe und das unangenehme Gefühl: „Was, wenn jetzt ..?“
Die Bilder von der eingestürzten Morandi-Brücke in Genua rühren an Urängste des Menschen. Der Sturz in die Tiefe; die Hilflosigkeit; das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Und beinahe zwangsläufig stellt man sich die Frage: Könnte mir das auch passieren? In Deutschland?
Experten halten ein Szenario wie in Genua für denkbar. „Unsere Brücken verrotten gefährlich, ein Einsturzrisiko kann inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden“, sagte etwa der Bauingenieur und Architekt Richard J. Dietrich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der starke Verkehr setzt den Brücken zu
Dietrich, der selbst zahlreiche Brückenbauten verantwortet, sieht vor allem im überwiegend verwendeten Werkstoff Beton ein Problem: Schäden würden erst spät, wenn nicht gar zu spät sichtbar. „Wenn der Beton Risse hat, durch die Feuchtigkeit eindringt, löst sich irgendwann der Zement auf, dadurch rostet die freigelegte Stahlbewehrung, und spätestens dann leidet die Stabilität.“ Dietrich sprach sich für die Rückkehr zu Stahlbrücken aus, die deutlich langlebiger und weniger anfällig für Schäden seien.
Der Statik-Professor und Brückenbau-Experte Martin Mertens von der Hochschule Bochum sprach in der „Aktuellen Stunde“ des WDR sogar von einem „europaweiten Problem“. Ältere Brücken seien oft nicht für die Belastungen des heutigen Lkw-Verkehrs konstruiert worden.
Tatsache ist: Auch in Deutschland wurden in der letzten Zeit an Autobahnbrücken massive Schäden entdeckt.
• Dies gilt beispielsweise für die marode Brücke der A1 am Kreuz Leverkusen, die seit längerem aufwendig saniert wird und für schwere Lkw gesperrt ist. Ein Neubau der Brücke, über die täglich bis zu 120.000 Fahrzeuge rollen, ist in Arbeit.
• Ähnliches gilt für die Rheinbrücke der A40 bei Duisburg. Rund 100.000 Fahrzeuge nutzen täglich die Brücke. Mittelfristig kann die stählerne Konstruktion instandgehalten und verstärkt werden, langfristig muss ein Neubau her.
• In Berlin gilt die Rudolf-Wissell-Brücke auf der stark befahrenen Berliner Stadtautobahn A100 als Sorgenkind. Zuletzt wurde dort mehrfach saniert. Mit 930 Metern ist sie die längste Brücke der Hauptstadt und gilt als der am drittstärksten befahrene Autobahnabschnitt Deutschlands. Ein Neubau ist geplant.
• Auf der A7 in Hamburg südlich des Elbtunnels wird voraussichtlich von Jahresende an eine marode 400 Meter lange Tunnelrampe abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Anschließend wird dort eine vier Kilometer lange Hochstraße der Autobahn für das hohe Verkehrsaufkommen von mehr als 120.000 Fahrzeugen täglich von sechs auf acht Spuren ausgebaut.
Verkehr hat sich stärker entwickelt als gedacht
Viele Autobahnbrücken in Deutschland stammen aus den 60er- und 70er-Jahren und sind nun baufällig oder sanierungsbedürftig. Grund ist meistens das hohe Verkehrsaufkommen. Beim Bau der Brücken vor 40 oder 50 Jahren wurde bei den Berechnungen oft ein deutlich geringerer Verkehr zu Grunde gelegt als es heute der Fall ist. Der Verkehr hat sich schlicht stärker entwickelt als prophezeit.
Bei Brückeneinstürzen wie in Genua sind nach Ansicht eines Experten der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (BAYIKA) sehr unterschiedliche Ursachen denkbar. „Arbeiten können grundsätzlich eine Ursache sein“, sagte BAYIKA-Vorstandsmitglied Markus Hennecke der Deutschen Presse-Agentur. Auch Alterungsprozesse von Brücken können dem Experten zufolge eine Ursache von Einstürzen sein. (mit Material von dpa)