Dr. Mario Ludwig über ein kleines Krabbeltier mit einem merkwürdigen Namen, das helfen kann, Bienenvölker zu retten
Das weltweite Bienensterben ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Durch die fehlenden Bienen, die eine wichtige Funktion bei der Bestäubung vieler Nutzpflanzen erfüllen, entstehen der Landwirtschaft jährlich Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe. Einer der Hauptfaktoren für das Bienensterben ist die Varroa-Milbe, ein ursprünglich in Ostasien lebender Bienenparasit, der 1977 nach Deutschland eingeschleppt wurde. Die rund ein Millimeter großen Milben ernähren sich von Bienenlarven und übertragen zudem auch noch pathogene Viren. Bis zu 30 Prozent der Bienenbestände werden jedes Jahr durch Varroa-Milben vernichtet. Eine Bekämpfung gestaltete sich bisher ziemlich schwierig. Greift man zur chemischen Keule, werden die Bienenvölker mit angegriffen. Bei organischen Bekämpfungsmitteln dagegen, wie Ameisen- oder Oxalsäure, liegt der Behandlungserfolg oft nur bei 80 Prozent. Jetzt gibt ein kleines, seltsames Tier Anlass für neue Hoffnung: der Bücherskorpion.
Das Tier hat trotz seines Namens kaum etwas mit „richtigen“ Skorpionen zu tun, sondern gehört zu den sogenannten Pseudoskorpionen, einer Spinnentierfamilie, die mit rund 100 verschiedenen Arten in Mitteleuropa vorkommt. Der Bücherskorpion sieht zwar im Prinzip genauso aus wie ein Skorpion, ihm fehlt aber der typische Schwanz mit Giftstachel und mit rund vier Millimeter Länge ist er auch viel kleiner. Seinen Namen hat das Tier der Tatsache zu verdanken, dass man es früher oft in Bibliotheken angetroffen hat, wo es zwischen verstaubten Büchern und Akten auf die Jagd nach seiner Lieblingsspeise gegangen ist: Staubläusen und Staubmilben. Bücherskorpione kommen vor allem in und um menschliche Behausungen vor, wo sie sich räuberisch von kleinen Insekten oder Milben ernähren. Für uns Menschen ist der Bücherskorpion völlig ungefährlich.
Er packt sie mit seinen Scheren
Im Verlauf seiner Examensarbeit hat vor kurzem der Hamburger Lehrer und Hobbyimker Torben Schiffer entdeckt, dass Bücherskorpione auch ausgesprochen gerne Varroa-Milben fressen. Im Laborversuch kann man gut beobachten, wie der Bücherskorpion, der rund drei mal so groß ist wie eine Varroa-Milbe, sich auf die Milbe stürzt, sie mit seinen Scheren packt und aus einer Giftdrüse in der Spitze des Scherenfingers Gift in sein Opfer injiziert. Dann wird das noch zappelnde Opfer zu den Mundwerkzeugen geführt und mit diesen ein Loch in die Körperwand gebissen. Durch die so entstandene Öffnung wird Verdauungsflüssigkeit in die Beute gepumpt und diese anschließend ausgesaugt.
Die Vorliebe der Bücherskorpione für Varroa-Milben ist keine ganz neue Erkenntnis. Alte Aufzeichnungen zeigen, dass Bücherskorpione seit langer Zeit in einer Art Symbiose mit den Bienen leben. Allerdings wurde der Bücherskorpion Mitte der 1970er- Jahre von uns Menschen aus den Bienenstöcken vertrieben. Zum einen sind die Imker gegen die Milben mit Chemikalien vorgegangen, davon waren auch die Bücherskorpione betroffen. Zum anderen stellten die Imker auf moderne „Beuten“ um. So nennt man die Kästen, in denen ein Bienenvolk lebt. Diese modernen Beuten haben glatte Holz- bzw. Styroporwände und bieten so den Bücherskorpionen nicht mehr die dringend benötigten Rückzugsmöglichkeiten in Form von Spalten oder kleinen Höhlen.
Ein Bücherskorpion erlegt und verzehrt am Tag bis zu neun Milben. Die Experten sind sich daher sicher, dass man bei einem Bienenstock mit einem Volk von 50.000 Bienen lediglich 150 Bücherskorpione braucht, um die Varroa-Milben dauerhaft in den Griff zu bekommen. Dazu muss man Bücherskorpione in ausreichender Anzahl züchten. Anschließend muss man nur noch die Bienenstöcke so umrüsten, dass sich die Bücherskorpione darin wohlfühlen: beispielsweise durch Anbauten, die mit Torf oder anderen Materialien gefüllt sind.
Dr. Mario Ludwig ist einer der bekanntesten Tierbuchautoren Deutschlands. Er schreibt an dieser Stelle über Phänomene in der Tierwelt.