Berlin. Apps und Internetseiten fürs Online-Dating haben Konjunktur. Experten mahnen aber dringend zur Vorsicht. Denn Dates können böse enden.

Grafikerin Alexandra K. trifft sich mit Jürgen auf einen Kaffee in der Münchener Innenstadt. Ein sportlicher, gut aussehender Typ. Angeblich Werbefilmproduzent. Und Hobbykoch. Es wird draußen kühl und er sagt: „Ich hol schnell meinen Pulli.“ Er wohne in der Nähe. „Willst du kurz mitkommen?“, fragt er. Sie betreten eine Maisonettewohnung am Viktualienmarkt. Beste Adresse. Die untere Etage ist noch komplett leer. Er sei gerade erst eingezogen. Eine Wendeltreppe führt nach oben. „Da ist die Terrasse“, sagt er und bittet sie vorzugehen. Oben sind keine Möbel, aber dafür eine Matratze, die mitten auf dem Boden liegt. Daneben: Kamera und Stativ. „Das findest du doch auch geil, oder?“

Die Opfer schweigen oft aus Scham

Alexandra K. konnte sich damals aus seinem Griff um ihre Taille befreien und obwohl das Ereignis mittlerweile vier Jahre zurückliegt, bleibt es bis heute ein Tiefpunkt ihrer Zeit als Single. Sie kann es auf einer Party zwar so erzählen, dass alle am Tisch lachen, aber allen wird dann auch bewusst, wie schnell aus einem Date eine Straftat werden kann. Wie unwissend die Teilnehmer eines Online-Dates wirklich sind. Besonders, wenn man aus der Kontaktanzeige nicht viel mehr weiß als damals Alexandra K. über Jürgen: „36 Jahre alt, 193 cm groß, kinderlieb.“

Der Markt an Onlinepartnerbörsen boomt, ständig kommen neue Dating-Apps hinzu. Nie war es einfacher, mit Fremden in Kontakt zu kommen, sich zu verabreden. Ein niedrigschwelliges Angebot – auch für Verbrecher. Opfer werden ausgeraubt, misshandelt oder vergewaltigt. Die britische National Crime Agency verzeichnete 2014 bereits 184 Fälle von Vergewaltigung nach Online-Dating, 2009 waren noch 33 Fälle gemeldet. Manche Täter, so die Behörde, suchten gezielt nach Opfern. Manche sexuelle Übergriffe entstünden aus einer falschen Erwartungshaltung heraus.

Nach Schätzungen allein in Berlin jährlich 80 Anzeigen

Eine Statistik für Deutschland gibt es bisher nicht. Dirk Hoffmann von der Polizei in der Single-Hauptstadt Berlin ist für Verbrechen in Zusammenhang mit Online-Dating zuständig. Er spricht von 70 bis 80 Anzeigen im Jahr. Der Beamte geht davon aus, dass aber nur rund jeder 20. Fall angezeigt wird. Die Scham sei groß. Das bestätigt auch Bianca Biwer vom Opferverband Weißer Ring: „Zur Scham kommt der Selbstvorwurf, wie man diese Entwicklung nur zulassen konnte.“

„Das Gefährliche ist“, sagt Hoffmann, „dass viele Opfer beim Date innere Warnsignale nicht mehr wahrnehmen. Verliebte sind wie auf Drogen.“ Er kennt Fälle, in denen Menschen bei einem Date bis zu 500.000 Euro gestohlen wurden. Die Polizei habe inzwischen deutschlandweit Abteilungen wie seine eingerichtet. „Wir arbeiten dabei eng mit sozialen Netzwerken und Dating-Webseiten zusammen“, so Hoffmann. Die hätten schließlich auch ein Interesse daran, dass es nicht zu Verbrechen komme. Treffen könne es zudem jeden, egal ob Männer oder Frauen.

Dennis B. war einer von ihnen. Er hatte Dirk P. schon fünfmal getroffen, als er ihn in den Abendnachrichten sah – bei seiner Verhaftung: Er hatte drei Dating-Opfer mit einer Überdosis K.-o.-Tropfen getötet und sie ausgeraubt. Ein weiteres Opfer überlebte knapp. Dennis B. hat lange gebraucht, um sich wieder mit anderen zu verabreden. „Ich konnte monatelang niemanden treffen, sowieso nicht in fremde Wohnungen gehen“, sagt er. Schlimmer war, dass er beinahe ebenso ein Opfer geworden wäre. Er hatte sich mit Dirk P. verabredet, und der hatte angekündigt, „Grapefruitsaft und Bitter Lemon“ mitzubringen, genau die Getränke, die den bitteren Geschmack der K.-o.-Tropfen überdecken. Zu dem Date kam es nicht mehr. Dennis B.: „Ich hätte auch tot sein können.“

Biwer vom Weißen Ring rät zu Vorsicht bei Online-Dates. Man solle etwa einem Freund die Adresse des Dates weitergeben oder einen Anruf zu einer bestimmten Zeit vereinbaren. Mit Unbekannten sollte man sich nur an öffentlichen Orten treffen und nicht etwa in einer Wohnung.

All das weiß Alexandra K. inzwischen. Sie hat weiter Männer getroffen und wird demnächst heiraten. Jemanden, den sie ganz klassisch in einem Restaurant kennengelernt hat.