„Jeder Mensch macht Fehler. Das Kunststück liegt darin, sie zu machen, wenn keiner zuschaut“, hat Schauspieler Peter Ustinov einmal gesagt. In einer Zeitung funktioniert dieser Trick allerdings nicht, denn es schauen viele zu – bei der „Bild“-Zeitung zum Beispiel zwölf Millionen Leser täglich. Trotzdem war dort neulich zu lesen: „Im schönsten Glanz soll der Reichstag ab 23. Mai 2009, dem 50. Jahrestag der Bundesrepublik, erstrahlen.“ Und die „Berliner Zeitung“ schrieb über den 1. September 2009: „An diesem Tag vor 60 Jahren begann der Zweite Weltkrieg.“
Kopfrechnenden Lesern wird aufgefallen sein, dass die Bundesrepublik 2009 nicht 50, sondern 60 Jahre alt wird und dass der Zweite Weltkrieg vor 70 und nicht vor 60 Jahren begann. Kopfrechnenden Redakteuren – historische Allgemeinbildung einmal vorausgesetzt – hätte das auch auffallen können, doch die Mühe des Nachrechnens und Nachdenkens nimmt längst nicht jeder auf sich. Weshalb man etwa in der „Frankfurter Allgemeinen“ zum Polarmeer lesen konnte: „Kanada beansprucht eine halbe Million Quadratmeter Meeresgebiet zusätzlich als kanadisches Territorium.“ Das entspricht einer Fläche von 500 mal 1000 Metern, also einem halben Quadratkilometer. Tatsächlich beanspruchen die Kanadier eine Fläche von einer halben Million Quadratkilometern.
Dasselbe Blatt schrieb, unter Berufung auf den Rasier-Experten Braun, dass ein Mann „im Verlauf von 18 Monaten eine Fläche zu rasieren hat, die der Größe eines Fußballplatzes entspricht.“ Dieser Vergleich klang so gut, dass man ihn ungeprüft ins Blatt plumpsen ließ. Hätte man nachgerechnet, wäre indes herausgekommen, dass man sich im Hause Braun beim Rasieren geschnitten hat. Denn ein Fußballfeld hat eine Regelgröße von 68 mal 105 Metern, also von 7140 Quadratmetern. Anderthalb Jahre wiederum entsprechen 549 Tagen, sodass der typische Braun-Kunde täglich eine Fläche von 13 Quadratmetern barbieren müsste, was selbst bei kräftigem Bartwuchs unwahrscheinlich ist.
Das Boulevardblatt „Österreich“ wiederum präsentierte diese Rechnung: „2,50 Euro für einen Liter Punsch. Ein Viertel wird um 3 Euro verkauft. Das sind knapp 300 Prozent Gewinn.“ Falsch – es sind 9,50 Euro Gewinn (12 Euro Einnahmen minus 2,50 Euro Einkaufspreis), macht genau 380 Prozent.
Ein Zahlenproblem hat auch die „Süddeutsche Zeitung“. Dort stand: „Auf einem 2,2 Hektar großen Areal wollen die Vilsbiburger Stadtwerke Deutschlands höchstes Windrad aufstellen. Die Leistung wird 2000 Megawatt betragen.“ Demnach würde ein einzelnes Windrad doppelt so viel Energie erwirtschaften wie beispielsweise das Atomkraftwerk Brunsbüttel mit einer Jahresleistung von 806 Megawatt? Wohl kaum.
„Gebt Licht, Laternen!“, forderte Kurt Tucholsky bereits 1925 von Deutschlands Zeitungsmachern. Dem ist, auch im Zeitalter von Windrädern, nichts hinzuzufügen.
Die Kolumne "Wortgefecht" erscheint jeden zweiten Montag auf Morgenpost Online. Mehr von Sönke Krüger lesen Sie hier.