Und er zwingt das alles in Bilder, die wir noch nie gesehen haben, und in einen Bewusstseinsstrom, der mehr an assoziative Gedankenblitze denken lässt als an den gewöhnlichen, gängigen Kinoplot. Wer jetzt nicht abgeschreckt ist, den erwartet ein Kunst-, ein Meisterwerk, eine cineastische Offenbarung. Eine allerdings, die dem Zuschauer viel Konzentration abnötigt - und die Bereitschaft, sich auf eine solche Seelenwanderung einzulassen.
Es beginnt mit einem Brief, in dem eine Mutter erfährt, dass ihr 19-jähriger Sohn im Krieg gefallen ist. Der Schmerz ist unermesslich, nicht nur für die Mutter, sondern, in einem Zeitsprung, auch für einen der beiden Brüder, der noch als Erwachsener unter dem Familientrauma leidet. Wie soll, wie kann man diesen Verlust verarbeiten? Das ist das Grundthema dieses Films, das mit einem Zitat aus dem Buch Hiob beginnt, das von göttlichen Prüfungen handelte. Und dann explodiert die Leinwand, wir sehen knallbunte Farbkontraktionen, Vulkane, die Magma spucken, Zellen, die sich teilen. Ja, Malick holt weit aus, bis zum Urknall. Und wenn die Frage, wie man Trauer verwinden kann, das Motto dieser filmischen Doktorarbeit ist, dann werden nun These und Antithese formuliert, Natur und Gnade als Gegensätze eingeführt, die sich im Schöpfungsmythos wie später im eigentlichen Familiendrama abspulen.
Diese erste halbe Stunde ist eine wüste, assoziative Gemengelage, die von Off-Kommentaren, klassischer Musik und gewaltigen Bildkompositionen geprägt wird. Erst dann kommt der Film ganz bei sich an und erzählt von dem kleinen Jack, von seiner Kindheit im Texas der fünfziger Jahre. Da ist der Vater, der so schön Klavier spielen kann und seine Jungs doch mit aller Härte erzieht, ja sie zwingt, ihn zu schlagen, um zu lernen, sich durchzusetzen. Und da ist die Mutter, die das nicht erträgt, die stumm dagegen revoltiert und die Kinder umso mehr die Liebe lehrt.
Diese Kindheit wird elliptisch, nicht linear erzählt. Wie Erinnerungsfetzen und Flashs. Dabei ist der eigene Erlebnisraum, sind die neuen Stützen, mit denen man spielt, allemal wichtiger als die Tatsache, dass der Vater seine Stellung verliert. "Tree of Life" ist daher auch ein Film über das Erinnern, das Memorieren von Zeit.
Schon einmal wollte Terrence Malick die ganze Schöpfungsgeschichte als Ouvertüre in einen Film bannen. Das war 1979, bei einem Filmprojekt über den ersten Weltkrieg, das nie realisiert wurde. Es scheint, als habe ihn die Idee aber nie losgelassen. Malick ist ein absoluter Ausnahmeregisseur, mit gerade mal fünf Langfilmen in 40 Jahren wird er von Cineasten, aber auch von Filmschaffenden kultisch verehrt. Von Anfang an, also seit "Badlands" (1974), hat er nie nur einfache Geschichten bebildert, sondern mit Off-Kommentaren philosophisch hinterfragt und mit einem Bilderstrom versehen, der dank neuerer Techniken und leichterer Kameras immer leichter wurde.
Wie schon in "The New World" (2006), Malicks letztem Film, steht die Kamera nie still, sie scheint vielmehr zu schweben und durch Räume und Zeiträume zu gleiten. Sie bildet dabei zuweilen wie nebenbei ab und blickt dafür immer wieder staunend auf die einfachsten Dinge, Gras, das sich im Winde wiegt, Tropfen, die auf eine Wasserlache prasseln. Man mag das Naturmystizismus nennen; vielleicht ist es einfach das naive Staunen an der Schöpfung, das diesem Mann nie abhanden gekommen ist. Ein orgiastischer Bilderrausch, oder ein Trip, als wenn man auf Drogen wäre.
Malick hat 20 Jahre lang , zwischen 1979 und 1999, keinen Film gedreht; er gilt als publikumsscheu - in Cannes hat er jetzt nicht einmal seine Goldene Palme abgeholt - und kauzig, was seinen Kultstatus eher erhöht hat. Dass er zwischendurch an einer Dissertation über Heidegger saß, auch das sieht man seinen Filmen durchaus an. "Tree", das fünfte Opus in seinem schmalen Werk, darf man nun mit Fug und Recht als seinen persönlichsten Film betrachten. Die Kindheit des Films spielt in den fünfziger Jahren in Texas, also genau da, wo auch Malick seine Kindheit verbracht hat. In Sean Penn, der den erwachsenen Jack spielt, darf man ein Alter Ego Malicks vermuten, und in Brad Pitt, der mit diesem gutmütigen und doch so hartherzigen Familienoberhaupt eine seiner stärksten Leistungen erbringt, seinen eigenen Vater erahnen. Das alles muss man freilich nicht wissen. Über autobiografische Bezüge hinweg ist "Tree" eine große, großartige Reflexion über die Kindheit, ein Requiem des verlorenen Lebensraums.
Drama: USA 2011, 138 Min., von Terrence Malick, mit Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Hunter McCracken
+++++