Berlin. Da stand Urs Fischer, der Trainer von Union Berlin, am Pult der Pressekonferenz und versuchte, seine Emotionen in Worte zu fassen. Schließlich waren es vier Worte, mit denen der Coach des Fußball-Bundesligisten den Sprung ins Achtelfinale der Europa League zusammenfasste: „Der Wahnsinn geht weiter.“
Tatsächlich ist es die Europa-Reise, die für Union weitergeht. Die Köpenicker setzten sich im Play-off-Rückspiel zum Achtelfinale gegen Ajax Amsterdam mit 3:1 (2:0) durch und stehen damit in der Runde der 16 besten Teams. Die Auslosung des Achtelfinales findet am Freitag um 12 Uhr in Nyon/Schweiz statt. Mögliche Gegner für die Köpenicker sind dann der FC Arsenal, Real Betis Sevilla, Real Sociedad San Sebastian, Fenerbahce Istanbul, Feyenoord Rotterdam, Ferencvaros Budapest oder Union Royale Saint Gilloise, gegen die die Berliner schon in der Gruppenphase gespielt hatten.
Einen Wunschgegner wollte Fischer nicht nennen. „Wir freuen uns, egal, gegen wen wir spielen. Es ist das Achtelfinale in der Europa League, da ist nicht so wichtig, gegen wen du spielst. Es gibt keine leichten Gegner mehr. Wenn ich es mir dann trotzdem wünschen könnte, dann nicht diese Zwei, weil wir gegen sie schon gespielt haben.“ Gemeint sind Rotterdam, gegen die Union in der vergangenen Saison in der Conference-League-Gruppenphase gespielt hatte, sowie Royale Saint Gilloise, dem Gruppengegner in dieser Europa-League-Spielzeit.
Union Berlin sorgt für Ausnahmezustand in Köpenick
Ausnahmezustand in Köpenick. Der Verkehr rund um die Alte Försterei, der schon an normalen Tagen grenzwertig ist, kam nun vollends zum Erliegen. Ein Fanmarsch zum Stadion, der den außergewöhnlichen Europapokalabend einleitete, machte es möglich. Auch im Stadion fieberten 22.012 Zuschauer, darunter rund 1200 Fans aus der niederländischen Hauptstadt, dem Rückspiel entgegen.
Unions Fans hatten die „großartige Zeit“, wie Klubchef Dirk Zingler noch vor dem Hinspiel die derzeitige Phase der Köpenicker betitelt hatte, in zwei Spruchbändern zusammengefasst. „Wenn der Traum Wirklichkeit wird, wird das Leben zum Rausch“, stand darauf geschrieben. Und es sollte ein wahrlich berauschender Abend werden in der Alten Försterei.
Union Berlin spielt mit Haberer für Thorsby
Trainer Urs Fischer hatte fast die gleiche Startelf aufgeboten, die sich in der Johan Cruyff Arena die gute Ausgangsposition erspielt hatte. Lediglich Janik Haberer, der in Amsterdam noch wegen einer Gelb-Sperre gefehlt hatte, ersetzte Morten Thorsby.
Doch es entwickelte sich ein anderes Spiel als noch vor einer Woche, und das lag an Amsterdam. Hatte der niederländische Rekordmeister im Hinspiel noch enttäuscht, zeigte er nun, welch feinen Fußball er zu spielen in der Lage ist. Der Ball lief gut durch die Ajax-Reihen. Union Berin verlegte sich wie so oft vor allem auf die Solidarität in der Defensive, war dennoch ähnlich mutig bei Vorstößen wie beim ersten Aufeinandertreffen.
Union Berlin hat das Spielglück auf seiner Seite
Noch vor dem Spiel hatte Coach Fischer zu verstehen gegeben, dass seine Mannschaft noch eine Schippe drauflegen müsse, soll das Achtelfinale erreicht werden. Und dass sie natürlich dieses vielzitierte Spielglück bräuchte. Am Donnerstagabend hatte sie es, und zwar reichlich.
„Wir hatten so unsere Probleme im Spiel, heute hat man wirklich die Klasse von Ajax gesehen, vor allem in der ersten Hälfte, da mussten wir wirklich leiden“, bilanzierte Fischer: „Die Mannschaft ist aber trotzdem ruhig geblieben, war effizient. Wir waren in der ersten Hälfte so hektisch, so unpräzise, kaum hatten wir den Ball gewonnen, war der Ball auch schon wieder beim Gegner. Aber die Mannschaft hat dem Druck standgehalten.“
Knoche verwandelt Elfmeter für Union Berlin
Gut eine Viertelstunde war gespielt, als das Stadion erstmals brodelte. Nach einem Eckball von Josip Juranovic köpfte Danilho Doekhi den Ball an den Arm von Ajax-Verteidiger Calvin Bassey, Schiedsrichter Ricardo de Burgos (Spanien) ließ jedoch weiterspielen – bis sich der Videoassistent meldete. Nach eingehendem Studium der Bilder entschied de Burgos auf Handspiel und Elfmeter.
Robin Knoche trat an, und hatte Glück, dass der halb in die Mitte geschossene Ball von Ajax-Torhüter Geronimo Rulli nur an den Pfosten gelenkt wurde, von wo er zum 1:0 über die Linie flog (20.). Es war das Zeichen für Ajax, einen Gang hochzuschalten.
Nachdem Union-Torwart Frederik Rönnow im Nachfassen gegen Edson Alvarez klären konnte (39.), schoss Mohamed Kudus auf fünf Metern (!) vorbei (40.). Und als der ehemalige Champions-League-Teilnehmer Union dann mal ausgekontert hatte, stand Kudus beim vermeintlichen Ausgleich im Abseits (43.). Kurz darauf fasste sich auf der anderen Seite Unions Juranovic ein Herz, zog aus 20 Metern ab – 2:0, weil Torwart Rulli den Ball durchrutschen ließ (44.).
Doekhi trifft per Kopf für Union Berlin
Direkt nach dem Seitenwechsel ging der Wahnsinn weiter. Union war gedanklich offenbar noch in der Kabine, Amsterdam dafür umso wacher. Kudus nutze einen schläfrigen Moment in Unions Innenverteidigung und erzielte den Anschlusstreffer (47.).
Union geschockt? Keineswegs. Juranovic brachte einen Eckball in den Amsterdamer Strafraum, wo Doekhi herangerauscht kam – Ajax-Torwart Rulli flog beim Kopfball-Hammer fast mit ins Tor, 3:1 (50.). Zehn Minuten später jagte Amsterdams Kudus den Ball am Tor vorbei. Freistehend. Aus acht Metern. Und wieder: Spielglück für Union (60.).
Becker mit guten Konterchancen für Union Berlin
„Die Momente waren wirklich auf unserer Seite. Du gehst mit 2:0 in die Pause. Dieses Resultat entsprach aber nicht dem Spielvelauf“, sagte Fischer, „dann kommst du aus der Pause, machst einen Fehler, der zum Anschlusstreffer führt und im Gegenzug fällt das 3:1. Sonst wäre es wirklich schwierig geworden.“
Mit dem erneuten Zwei-Tore-Vorsprung im Rücken konnt Union nun sein gewohntes Spiel aufziehen, zumal der dritte Gegentreffer bei der Mannschaft von Trainer John Heitinga Spuren hinterlassen hatte. Ajax betrieb viel Aufwand, Union stand sicher. Sheraldo Becker hatte bei Kontern sogar Chancen zu erhöhen (70., 84.). Der Rest war einfach nur noch Ausnahmezustand in der Alten Försterei.
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