Was habe ich mir im Vorfeld nicht alles anhören müssen. Mir klingeln jetzt noch die Ohren vom nicht enden wollenden „Das schaffen die doch eh nicht“ oder dem nimmermüden „Die brauchen da gar nicht erst anzutreten“. Doch je lauter die Stimmen wurden, desto mehr habe ich mich an einen eisernen Grundsatz erinnert: Wer es versucht, kann scheitern; wer es aber gar nicht erst versucht, der ist schon gescheitert. Deshalb habe ich meine Radtour zusammen mit Bekannten von München nach Triest auch angetreten.
Wer jetzt alles auf die Goldwaage legt (aber wer tut das schon in diesen Tagen?), der wird mir natürlich vorhalten, dass der Vergleich, den ich jetzt anstellen werde, hinken wird. Anders als der 1. FC Union habe ich meine Herausforderung ja freiwillig angetreten, während die Köpenicker sich mit der famosen vergangenen Spielzeit in eine Situation manövriert haben, die allein schon aus Gründen des professionellen Sportlerdaseins einen Rückzieher quasi unmöglich macht.
Doch im Zusammenspiel zwischen Union und der zweithöchsten europäischen Klub-Etage ist dem einen oder anderen im Umfeld schon ein wenig schwindelig geworden ob des Höhenfluges, der an der Alten Försterei irgendwie nicht mehr aufhören mag. Kann man verstehen, wenn man über (zu) viele Jahre lang ein Image gepflegt hat, bei dem ein Scheitern – und wenn auch nur im Zweifelsfall – zum Selbstverständnis gehört hat. Doch Union hat sich entwickelt. Nicht zu einer Mannschaft, die in der Bundesliga zwingend zum oberen Drittel zählt (oder vielleicht doch?). Und sicher gar nicht zu einem Team, das Europa das Fürchten lehrt (oder vielleicht doch?). Aber zu einem Verein, der sich mehr denn je der Herausforderung stellt, die ihm auf seinem Weg begegnet.
Glauben Sie es oder nicht, es gab Momente, in denen ich mich daran erinnert habe. Wenn zum Beispiel Bad Gastein ebenso malerisch wie nah vor einem liegt – und sich als das Alpe d’Huez des kleinen Mannes entpuppt. Nicht mit 21 Spitzkehren zwar, aber mit einem Anstieg, der alles einfordert, was der menschliche Körper mitzubringen vermag.
Und ja, die Hürden werden ähnlich hoch werden, wenn am Freitagmittag in Istanbul die Gruppen für die Europa League ausgelost werden und Union mittendrin sein wird statt nur dabei. Wenn Namen wie Manchester United (vielleicht sogar noch mit dem unglaublichen Cristiano Ronaldo) aus dem Lostopf gezogen und der Union-Gruppe zugeteilt wird. Oder der FC Arsenal. Oder Conference-League-Sieger AS Rom mit „The Special One“ José Mourinho.
Kaum auszudenken, wie der Star-Coach der Römer an der Seitenlinie eskalieren wird, wenn seine Mannschaft im Hexenkessel der Alten Försterei von Trimmel, Becker, Siebatcheu und Co. niedergekämpft werden sollte. Sie halten mich für verrückt? Fragen Sie mal bei Borussia Dortmund nach, wie man sich fühlt, wenn man als haushoher Favorit von damals noch als Liga-Debütant agierenden Köpenickern schmachvoll geschlagen wird.
Es ist vielleicht einer der größten Trümpfe, wenn nicht sogar der größte, den Union bei seiner größten europäischen Herausforderung hat: die Wucht der heimischen Ränge. Auch wenn der Verein damit die Chance sausen lässt, sich im Olympiastadion einem größeren Publikum zu präsentieren. Von entgehenden Mehreinnahmen mal ganz zu schweigen.
Wer immer noch Zweifel hat, ob Union in der Europa League bestehen kann, dem seien noch einmal die Spiele in der Conference League in Erinnerung gerufen. Mit Feyenoord Rotterdam, Slavia Prag und Maccabi Haifa hatte Union die schwerste Gruppe erwischt – am Ende fehlte nur ein Tor zu Platz zwei und dem Sprung in die K.o.-Runde. Nun reicht sogar der dritte Platz in der Europa-League-Gruppe, um international zu überwintern, nämlich in der Conference League. Nicht zu vergessen: Die Mannschaft ist im Begriff, sich weiterzuentwickeln und damit bereit für die nächste Tor-Tour auf dem Kontinent.
Ich jedenfalls habe mein Ziel erreicht und bin – mit einem kleinen Abstecher nach Slowenien – in Triest angekommen. Und ja, der Vergleich hinkt ein wenig. Während Union nur sechs (Spiel)Tage Zeit hat, sein Ziel zu erreichen, habe ich mir acht Tage Zeit genommen. Ein Scheitern hatte ich übrigens nie eingepreist.