Berlin. Nein, komplett vereinnahmen lassen will er sich von der Branche Profifußball nicht. „Es gibt wichtigere Dinge“, versucht Felix Kroos seine Einstellung zum Leben zu untermauern. Es gelingt ihm in jenem Moment, da er über Familie oder Gesundheit spricht. Davon, dass sein Bruder Toni, der Star von Real Madrid, sich mit einer eigenen Stiftung hilfsbedürftigen Kindern widmet. Dass er selbst, der Profi des 1. FC Union, als Botschafter dieser Stiftung das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin schon mehrmals besucht hat. Und wie schwer die ersten Begegnungen am Anfang gewesen sind. „Aber die Lebensfreude“, erzählt Kroos, „die die Kinder zeigen, obwohl sie todkrank sind – jeder wird erkennen, wie klein die Probleme sind, die man denkt zu haben.“
Der 27-Jährige polarisiert, seit er im Januar 2016 von Werder Bremen zum Fußball-Zweitligisten gekommen ist, zunächst auf Leihbasis, dann fest angestellt. Weil ihm seine Einstellung zum Leben oft als mangelnde Berufsauffassung ausgelegt wird, verfehlt mal wieder ein Pass sein Ziel. Fußball sei „nicht das Wichtigste, doch diese Aussage verstehen viele falsch, von wegen ich würde mich nicht genug für Fußball interessieren. Aber das stimmt nicht“, so Kroos. Wenn Union am Sonntag mit dem Ostderby gegen Erzgebirge Aue (15.30 Uhr, Alte Försterei) in die Saison 2018/19 startet, beginnt für Kroos erneut der Kampf gegen die Kritiker, auch gegen das immer noch häufig vorherrschende Image vom kleinen Bruder des großen Weltmeisters von 2014 und um eine Verlängerung seines am Saisonende auslaufenden Vertrages.
Kritik an den laut formulierten Aufstiegsträumereien
„Ich versuche, wieder das Beste herauszuholen. Das habe ich in der vergangenen Saison auch versucht, nur das klappt eben nicht immer“, gibt sich Kroos entsprechend kämpferisch. Das hat er immer schon getan, auch auf dem Platz, als es für Union in der ersten Jahreshälfte um den Klassenerhalt ging. „Ich bin jemand, der in erster Linie die Fehler bei sich sucht. Aber irgendwann ist das auch abgehakt. Ich freue mich, dass die Vorbereitung vorbei ist und es wieder losgeht.“ Auch wenn er wegen Leistenproblemen und eingeschränktem Trainingsumfang in der Vorbereitung einen Rückschlag hinnehmen musste.
Die Diskussionen um das Kapitänsamt blendet er aus. Nach zwei Jahren im Amt wurde er nun von Christopher Trimmel abgelöst. „Ich werde vorangehen, ob ich die Kapitänsbinde am Arm habe oder nicht. Dass ich Verantwortung übernehmen werde, daran wird sich nichts ändern. Aber sicher brauche ich da auch Unterstützung, die es so in der vergangenen Saison nicht gegeben hat.“ Tatsächlich fehlten in den brenzligen Wochen des Abstiegskampfes Profis in den Union-Reihen, an denen sich andere aufrichten konnten. „Ich glaube, dass wir als ganzer Verein viele Fehler gemacht und uns vielleicht auch deutlich überschätzt haben. Das passt nicht zu Union“, wagt Kroos doch noch einmal einen Blick zurück. Vielleicht auch, um sich rechtzeitig ins Gedächtnis zu rufen, wie es nie wieder werden soll an der Alten Försterei. „Wir haben uns auf unserer Qualität, die so häufig beschrieben wurde, ausgeruht und sie nicht auf den Platz gebracht.“ Es gelte, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Wir müssen wieder mehr als Einheit auftreten. Es waren auch zu wenig Spieler da, die Verantwortung übernommen haben. Eindeutig zu wenig. Da erhoffe ich mir mehr von einigen Spielern. Wenn das kommt, sind wir ein gutes Team.“
Schmiedebach und Hübner sollen mehr Sicherheit geben
Das hinterlässt ohne Zweifel den Eindruck eines Hilferufs, der bei Union offenbar gehört wurde. Zumindest wurden mit den ehemaligen Hannover-Profis Manuel Schmiedebach und Florian Hübner sowie dem Ex-Braunschweiger Ken Reichel drei Profis geholt, die über jede Menge Erfahrung verfügen. Spieler, die mit ihrer Ruhe der Defensive die so oft fehlende Sicherheit geben könnten. Der Schlüssel für eine bessere Kroos-Saison – und damit auch für eine bessere Union-Spielzeit – könnte Schmiedebach sein, der den Part im defensiven Mittelfeld übernehmen wird. „Allgemein gibt es schon mehr Sicherheit, dass hinter mir noch jemand auf der Sechs spielt“, ist sich Kroos sicher. Dass er dadurch weiter vorn, im zentralen Mittelfeld, agieren kann, dürfte ihm entgegenkommen. „Kann ich sehr gut mit leben“, bestätigt Kroos, „ich glaube aber nicht, dass wir nur ein System haben werden, sondern auch variieren werden.“ Dennoch weiß er selbst, dass er einen Gang höher schalten muss: „Ich muss mehr zum Abschluss kommen und dann ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass das eine oder andere Tor mehr herausspringt.“ Bislang waren es fünf (dazu elf Torvorlagen) – in zweieinhalb Jahren Union (70 Ligaspiele).
Es wird ein entscheidendes Jahr werden für den Jungen aus Greifswald, der mit seinem Bruder anfangs zum Badminton gegangen ist, weil die Mutter und der Onkel in diesem Sport Trainer waren. Der mit fünf, sechs Jahren zum Greifswalder SC gegangen ist, um Fußball zu spielen, „weil wir merkten, dass wir das ganz gut können und ein bisschen besser sind als die anderen“. Und der auch froh ist, dass mit Hamburg und Köln zwei Schwergewichte in der Zweiten Liga sind, auf denen der Fokus liegen wird. „Wir sind vorige Saison in die Favoritenrolle ein wenig reingedrängt worden, auch von Vereinsseite aus“, sagt Kroos und gibt für diese Saison aus: „Wir waren immer stark, wenn wir uns ein wenig zurückgehalten haben. Deswegen kann uns das guttun, dass die beiden Mannschaften da sind. Wir brauchen uns nicht kleinzureden, aber groß zu quatschen brauchen wir nicht mehr.“ Bleibt zu hoffen, dass Kroos und Kollegen die entsprechenden Taten folgen lassen.