Marienfeld. Ruhe sucht Oliver Ruhnert in den Tagen von Marienfeld vergeblich. Das beginnt schon jeden Morgen, wenn die Glocken der Kirche auf dem Gelände des Hotels Klosterpforte mit ihrem Geläut der nächtlichen Erholungsphase ein jähes Ende bereiten. „Wenn die Kirchenglocken später läuten würden, wäre länger Zeit, um auch mal ein bisschen abzuschalten“, sagt Unions Geschäftsführer Profifußball und gibt zu: „Ich hatte eigentlich gedacht, dass es nach den ersten drei, vier Wochen etwas ruhiger wird. Hat nicht ganz geklappt. Aber natürlich verändern solche Dinge wie der Hosiner-Transfer oder die Testspielabsagen den Tag komplett.“
Es ist mitnichten so, dass der 45-Jährige mit ins Trainingslager des Fußball-Zweitligisten gereist ist, um Urlaub zu machen. Das weiß Ruhnert selbst natürlich am besten. Doch als erstmalig Hauptverantwortlicher für die Kaderzusammenstellung eines Profiklubs erfährt er gleich zu Beginn die Tücken des Alltags. Von Philipp Hosiners Wechselwunsch zu Sturm Graz „haben wir bis vor einer Woche noch nichts gewusst. Man muss sich im Profifußball von dem Gedanken lösen: Am 1.7. geht eine neue Saison los. Jeder Kader ist bis zum Ende einer Transferperiode fragil.“ Soll heißen: Bis zum 31. August ist für alle alles möglich. „Ich kann mir schon vorstellen, dass bis zum Ende dieser Transferperiode noch etwas passiert“, sagt Ruhnert.
Etat von über 45 Millionen Euro
Für den gebürtigen Sauerländer muss es vor allem darum gehen, Union im Milliardengeschäft Profifußball zu behaupten. Denn trotz eines Etats, der 45 Millionen Euro für 2018/19 überschreiten dürfte, zählen die Köpenicker nicht zu jenen Klubs, die mit Geldbündeln wedelnd die Spieler anlocken können. Union will mit anderen Attributen punkten, erklärt Ruhnert: „Ich denke schon, dass der Standort Berlin einen Vorteil bietet. Wir haben in Deutschland wirklich wenige so attraktive Städte, wie es Berlin noch dazu als Hauptstadt ohnehin schon ist.“
Dann ist da die Größe der Stadt mit ihren gut 3,5 Millionen Einwohnern. „Also kommen schon mal Spieler dazu, die in Berlin geboren sind und dann auch wieder gern nach Berlin zurückkehren, so wir wie das gerade wieder erleben“, erzählt Ruhnert. Mittelfeldmann Manuel Schmiedebach (zuvor Hannover) und Linksverteidiger Ken Reichel (Braunschweig) sind die aktuellen Beispiele dafür.
Und natürlich ist da noch das Stadion, mit dem Union laut Ruhnert punkten kann: „Die Alte Försterei ist in Spielerkreisen gern gesehen. Jeder weiß, was hier für eine geile Stimmung herrscht. Die Bedingungen, die vom Verein geschaffen worden sind, auch für die Lizenzspielerabteilung, sind für Zweitliga-Verhältnisse sehr, sehr gut. Das sind harte Faktoren, die die Spieler kennen. Union muss sich nicht irgendwo verstecken.“
Gelebter Familiengedanke ist dem Manager wichtig
Ruhnert geht da in Klosterpforte mit gutem Beispiel voran. In jeder Trainingseinheit sucht er die Nähe zu seiner Mannschaft. Eine Bezeichnung, die er umgehend in „die Mannschaft“ korrigiert, um zu dokumentieren, dass nicht er allein für deren Zusammenstellung zuständig ist, auch wenn er natürlich nun dafür verantwortlich zeichnet.
Der gelebte Familiengedanke ist ihm wichtig. So habe der neue Trainer Urs Fischer „an den Entscheidungen insofern seinen Anteil, dass ab dem Moment, als klar war, dass er Union-Trainer wird, natürlich auch den Spiegel bekommen hat, was sind hier wie genau welche Ideen. Klar ging es auch erst dann mit den Verpflichtungen Schlag auf Schlag, weil es mir wichtig war, dass der neue Trainer eingebunden war.“
So beobachtet Ruhnert die Einheiten in Klosterpforte sehr wohlwollend, mal am Spielfeldrand, mal vom Hochstand aus, die Arme auf die Balustrade gestützt, ab und zu unterbrochen vom Klingeln seines Handys. Eine Szene, der durchaus etwas Patriarchalisches beiwohnt, auch wenn Ruhnert diese Art des Sportlichen Leiters gar nicht verkörpert. „Gemeinsam“ und „zusammen“ sind die Schlagworte, die er ohne Unterlass kommuniziert. Seine Erklärung dafür: „Natürlich bin ich als Geschäftsführer Profifußball auch daran interessiert, dass sich der Verein nachhaltig sehr positiv entwickelt. Es wird nach Ruhnert und Fischer immer wieder neue Leute geben, aber der Verein wird bleiben. Und er wird weiter eine Marke sein.“
Das Wort Bundesliga vermeidet er
Der derzeitige Kader scheint auf dem richtigen Weg zu sein, um für diese Marke werben zu können. „Mit dem Auftreten der Mannschaft bin ich bislang sehr zufrieden. Die Neuen zu integrieren und eine gute Stimmung zu erzeugen innerhalb des Kaders – das ist bislang mehr als gelungen. Auch zu sehen, wie durch den neuen Trainer neues Leben entstanden ist, das wollten wir erreichen. Aber wir haben ambitionierte Ziele und sagen, wir wollen mittelfristig auch mal hoch.“
Es ist ein Zwei-Jahres-Zeitraum, in dem Ruhnert denkt. So lange läuft auch sein Geschäftsführer-Vertrag bei Union. „Ich glaube, dass man in dieser Zeit einen Kader entwickeln kann, der das widerspiegelt, wofür du selbst stehst“, erklärt er: „Das braucht eine gewisse Konstanz in den Positionen. Leider geht das manchmal aufgrund von Ergebnissen nicht.“ Das Wort Bundesliga kommt ihm dabei schwer bis gar nicht über die Lippen. „Wir spielen doch schon dort“, kontert Ruhnert. Den Zusatz „2.“ hat er dabei geflissentlich übersehen.