Berlin. Der 1. FC Union entscheidet, wer absteigt. Das mag anmaßend klingen und nach enormer Entscheidungsgewalt, beinhaltet aber viel Wahres, wenn man sich das Restprogramm der Köpenicker in Liga zwei anschaut. In vier der verbleibenden fünf Partien geht es gegen Teams, die in der Tabelle hinter Union (11. Platz, 37 Punkte) liegen (siehe Infokasten) – allesamt abstiegsbedrohte Mannschaften. Die Berliner Entscheidungsgewalt in der Frage, welche Teams in der kommenden Saison in Liga drei antreten müssen, ist also keinesfalls anmaßend. Das heißt aber auch, dass Union den eigenen Klassenerhalt selbst in der Hand hat.
So viel Macht kann schon verwundern – wo Union sich schon schwertut, eine Schlüsselfrage in eigener Sache überzeugend zu beantworten: Bleibt der Trainer oder muss er gehen?
Der Hofschneider-Effekt bleibt aus
Er bleibt. Der Grund dafür ist wenig schmeichelhaft. Mangels Alternativen hält Union an André Hofschneider fest. Obwohl nach dem erneut enttäuschenden 0:0 gegen den MSV Duisburg am Sonnabend nur wenige Argumente für den Verbleib des 47-Jährigen sprechen, hat sich die Vereinsführung um Präsident Dirk Zingler und Sport-Geschäftsführer Lutz Munack nicht dazu durchringen können, einen zweiten Trainerwechsel in dieser Saison zu vollziehen. Intern scheint es keine adäquate Lösung zu geben. Kurz vor dem Ende dieser Spielzeit ist es wohl auch schwierig, einen externen Kandidaten an die Alte Försterei zu holen.
Fakt ist: Der erhoffte Effekt nach dem Rausschmiss von Jens Keller ist ausgeblieben. Munack hatte damals gesagt: „Unser Vertrauen darin, in der bestehenden Konstellation Konstanz in unsere sportlichen Leistungen zu bekommen, ist nicht mehr gegeben.“ Für Konstanz hat Hofschneider gesorgt. Allerdings sind die sportlichen Resultate konstant negativ.
Der Mannschaft fehlt es an Führungsstärke
Damit ist die Hoffnung nicht aufgegangen, die Präsident Zingler, Helmut Schulte, Leiter der Lizenzspielerabteilung, sowie Munack beim Trainerwechsel im Dezember hatten: Dass Hofschneider die Mannschaft so zum Leben erwecken möge, wie es ihm in der Rückrunde 2015/16 gelungen war. Damals hatte Hofschneider das Team von Chefcoach Sascha Lewandowski übernommen. Der mittlerweile verstorbene Lewandowski hatte sein Amt aus gesundheitlichen Gründen abgegeben. Hofschneider gab den lethargischen Profis die Spielfreude zurück und führte Union von Rang 13 auf Platz sechs.
Doch aktuell ist es Hofschneider, der Lethargie verbreitet. Am Sonnabend erschien der Trainer beinah teilnahmslos, erklärte seine Enttäuschung über die fehlende Risikobereitschaft der Offensive und forderte gebetsmühlenartig, den Kopf oben zu behalten. Motivation und Zuversicht, die Mannschaft aus der miserablen Lage herauszuführen, sehen definitiv anders aus. Dabei ist er mitverantwortlich für die Köpenicker Misere.
Union kann aus der engen Ligakonstellation kein Vorteil ziehen
Seit Hofschneider Anfang Dezember von Unions A-Jugend an die Seitenlinie der Profis wechselte, ging es abwärts. Damals stand Union noch auf einem aussichtsreichen vierten Platz, vielversprechender Kontakt zu den Aufstiegsrängen inklusive. Nun Rang elf, nach der Ära Keller sind nur elf Punkte aus 13 Spielen hinzugekommen. Die Folge: 37 Zähler, Abstiegskampf.
Der gestaltet sich aufgrund der schlechten Leistungen in der Zweiten Liga äußerst spannend. Ein anschauliches Beispiel: Holstein Kiel. Der Aufsteiger spielte bisher eine schwache Rückrunde, konnte nur zweimal gewinnen und findet sich trotzdem auf Platz drei wieder. Kein Team überzeugt und ruft langfristig stabile Leistungen ab.
Dass Union daraus keinen Profit schlagen kann, ist bezeichnend, hat aber Gründe: Die Mannschaft leidet unter fehlender Führungsstärke. Das war schon der Fall, als Hofschneider übernommen hatte. Eine Verbesserung ist nicht erkennbar. Vielmehr hat sich die Situation durch die Langzeitverletzung von Sebastian Polter noch verschlimmert. Der Stürmer war damals der einzige, der sein Team mitreißen konnte. Auch deshalb waren Zweifel an Kapitän Felix Kroos aufgekommen. Eigentlich sollte der Spielführer ja das Spiel führen... Am Sonnabend wusste der 27-Jährige nicht mehr, wie er die aktuelle Lage begründen sollte. Dafür hat Christopher Trimmel eine Idee, wie das Union-Spiel künftig auszusehen hat: „Zweikämpfe annehmen, laufen, kämpfen, hinten dicht machen, und sich vorn Chancen erspielen.“ Klingt simpel, nach fußballerischer Basisarbeit. Vielleicht ist es das Rezept, das Union zum Klassenerhalt verhilft.
Erste Spieler deuteten bereits Wechselabsichten an
Von der Führungsetage sind Entscheidungen gefordert – spätestens zum Ende der Saison. Dann wird Union einen neuen Trainer brauchen. Ein Name, der im Umfeld herumgeistert, ist der von Torsten Lieberknecht. So prompt und so energisch wie dieser Name bei Union dementiert wird, kann man schon wieder misstrauisch werden, ob der Bundesliga-erfahrene Trainer von Eintracht Braunschweig nicht doch ein Kandidat in Köpenick ist.
Eine frühzeitige Entscheidung in der Trainerfrage würde auch die Kaderplanung für 2018/19 erleichtern. Schon vor wenigen Wochen wurden Wechselabsichten angedeutet. Steven Skrzybski und Simon Hedlund sind nur zwei Namen, die bei anderen Klubs auf der Einkaufsliste stehen. Die Perspektive mit einem vielversprechenden Trainer erneut Richtung Bundesliga zu blicken, könnte den einen oder anderen vom Bleiben überzeugen.
In dieser ganzen Misere gibt es übrigens auch Gewinner: Unions A-Junioren. Als Hofschneider das Nachwuchs-Bundesligateam Anfang Dezember verließ, stand die U19 dort, wo sich jetzt die Profis wiederfinden: im Abstiegskampf. Mittlerweile konnten sie sich aus der bedrohlichen Region befreien. Immerhin Unions U19 wird wohl auch 2018/19 Bundesligafußball spielen.