Berlin. Trotz des verpassten Aufstiegs steigt das Interesse am Zweitligisten. Doch die beste Saison der Klubgeschichte weckt auch Erwartungen.
Von wegen, der 1. FC Union hat den Aufstieg in die Bundesliga verpasst. Zumindest gedanklich ist der Fußball-Zweitligist schon in der Erstklassigkeit angekommen. Kronzeuge ist Christian Streich. „Über Union Berlin als Aufsteiger wäre ich nicht böse gewesen“, sagte der Trainer des SC Freiburg. Zwar ist er auch nicht wirklich enttäuscht über die beiden direkten Aufsteiger VfB Stuttgart und Hannover 96. Doch Union, so der 51-Jährige, „wäre dann das Salz in der Suppe, finde ich. Aber gut, wenn mal ein bisschen weniger Salz in der Suppe ist, musst du sie ja trotzdem essen.“
Man hat Geschmack gefunden an den Köpenickern. Und die Köpenicker haben Geschmack am Aufstieg gefunden. Wenn schon das „Sahnehäubchen“, wie es Coach Jens Keller nannte, verpasst wurde, so „haben wir den Verein dennoch sehr gut repräsentiert“. Des Trainers Fazit ist ein positives: „Wir werden den Teufel tun und dieser Saison einen Makel anhängen.“
Aus Sicht des Klubs nachvollziehbar, aus Sicht von draußen jedoch nur bedingt. Dass sieben Spieler den Verein verlassen, weil auslaufende Verträge nicht verlängert wurden, ist Beleg genug dafür, dass der Kader eben nicht durchweg gleichwertig besetzt gewesen ist. Ein Schönheitsfehler, der sich in den entscheidenden Wochen offenbarte und den Union bei der Kaderplanung für 2017/18 weitestgehend zu beheben versuchen wird.
„Wir haben noch einiges zu tun, um den Kader zu vervollständigen“, so Keller. Mittelfeldspieler Marcel Hartel vom 1. FC Köln und Offensivmann Akaki Gogia, dessen Verpflichtung von Dynamo Dresden vor dem Abschluss steht, sind erst der Anfang eines Umbruchs, vor dem die Mannschaft steht.
Ob Abwehrchef Leistner bleibt, ist völlig offen
Die Aufmerksamkeit, die Union in den vergangenen Monaten erzielt hat, ist dennoch unbezahlbar. Es war Helmut Schulte, der Leiter der Lizenzspielerabteilung, der Anfang April wissen ließ, dass Union langsam in die Köpfe der Berliner wachse. Raus aus dem Wohlfühl-Biotop Köpenick. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte nun der „Berliner Zeitung“, dass Union „für das Zusammenwachsen der Stadt eine wichtige Rolle“ spielt. Der Sport werde in seiner gesamten Breite gestärkt, die Sportmetropole Berlin nun durch Ost und West repräsentiert.
Fundiert wird dies durch die beste Platzierung (Rang vier) und die beste Ausbeute (60 Punkte). Vor wenigen Tagen wurde das 16.000 Vereinsmitglied begrüßt, die Alte Försterei (Kapazität: 22.012) war mit 20.859 Zuschauern im Schnitt je Heimspiel zu 94,8 Prozent ausgelastet. Nie stand Union mehr im Fokus der Öffentlichkeit.
Der Zeitpunkt dafür könnte kaum besser sein. Jetzt, da der neue TV-Vertrag ab Sommer greift und die Kassen aller 36 Erst- und Zweitligisten noch kräftiger füllt. Jetzt, da Unions Pläne zur Vergrößerung des Stadions auf rund 35.000 Plätze auf ihre Umsetzung warten.
Und der Ausbau ist nicht nur wegen der Auflagen der Deutschen Fußball-Liga notwendig, in der Bundesliga mindestens 8000 Sitzplätze (derzeit 3617) anbieten zu müssen, sondern allein schon deshalb, um das gestiegene Interesse bedienen zu können. Die Maxime von Klubchef Dirk Zingler („Wir müssen uns weiter öffnen, damit uns auch die Menschen mögen, die nicht in Köpenick wohnen“) wurde in der abgelaufenen Spielzeit jedenfalls zu großen Teilen erfolgreich umgesetzt.
„Es ist im Leben schwierig, etwas zu verteidigen, wenn man es erreicht hat.“
Die neue Aufmerksamkeit weckt aber auch Begehrlichkeiten, mit denen sich Union noch intensiver beschäftigen muss. Ob Abwehrchef Toni Leistner (Vertrag bis 2018) bleibt, ist völlig offen. „Natürlich wollen wir ihn gern halten“, sagte Keller. Würde jedoch ein Angebot in der Größe von vier, fünf Millionen Euro kommen, „wäre ich als Trainer nicht in der Lage, nein zu sagen“.
Dem Interesse von Englands Zweitligisten Norwich City wird der 46-Jährige selbst nicht erliegen, „aber wenn Real Madrid anfragen würde, wäre es schwierig“, gab Keller mit einem Augenzwinkern zu. Und die steigenden Erwartungen? „Natürlich zählen wir nächste Saison zu den Aufstiegsfavoriten, daraus ergibt sich jedoch keine logische Konsequenz, dass wir Dritter, Zweiter oder Erster werden“, sagte Keller.
Er setzt auf den Lerneffekt. Die englische Woche Anfang April, die den damaligen Spitzenreiter Union schnell aus der Euphorie zurückholte, bewertete Keller wie folgt: „Es ist im Leben schwierig, etwas zu verteidigen, wenn man es erreicht hat. Aber die Spieler wachsen mit dieser Aufgabe.“ Der Hunger auf mehr als Liga zwei ist bei Union vorhanden. Auch wenn er erst nächstes Jahr gestillt werden kann.