Für die Berlinerin Jenny Wolf dreht sich in Sotschi alles zu sehr um den Kommerz, sie sieht den Sport insgesamt auf dem Irrweg. Nach der Saison beendet die fünfmalige Weltmeisterin ihre Karriere.
Am Tag nach ihrer Ankunft in Sotschi feierte Jenny Wolf den 35. Geburtstag. Zurückhaltend natürlich, schließlich reiste die Eisschnellläuferin aus Berlin mit einigen Ambitionen zu den Olympischen Spielen. Fünfmal wurde sie Weltmeisterin, aber eines fehlt ihr noch: olympisches Gold. Wenige Wochen nach dem Rennen über 500 Meter am Dienstag beendet Wolf als eine der erfolgreichsten Sprinterinnen aller Zeiten ihre Karriere. Marcel Stein sprach mit ihr über olympische Ideale, die Enttäuschung von Vancouver und künftige Freiheiten.
Berliner Morgenpost: Frau Wolf, lange wussten Sie nicht, ob Sie noch einmal zu den Olympischen Spielen wollen. Warum eigentlich nicht?
Jenny Wolf: Wegen der Emotionen und dem Stress, die mit Olympischen Spielen verbunden sind. Es ist nervig, du fährst dort hin und hast so viele Regeln, musst viele Sachen beachten. Du stehst eigentlich nur unter Beobachtung, unter Druck. Das macht irgendwann keinen Spaß mehr.
Belastet Sie Olympia?
Es ist schon eine Belastung, aber mir geht es auch darum, was ich mir früher unter Olympia vorgestellt habe. Jeder redet immer von den Spielen als etwas Großem, so toll ist es aber eigentlich nicht. Alles weicht immer mehr ab von diesem alten Ideal. Auf dem Weg nach Sotschi habe ich alles zwar positiver gesehen. Jetzt, wo ich da bin, finde ich vieles aber wieder ärgerlich.
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Wie sah denn Ihr Ideal aus?
Du fährst hin, es wird sich um alles gekümmert, du hast den Kopf frei. Es geht nur um die Leistung, die Sportler, nicht um den Kommerz. So habe ich mir das als Kind vorgestellt. Davon sind wir weit weg, nur die Marke Olympia zählt noch.
Trotzdem sind Sie wieder da.
Nach vielen körperlichen Problemen gab es 2012 Überlegungen, mit dem Sport aufzuhören. Es lief nicht gut und das konkrete Ziel fehlte mir, denn zu Olympia wollte ich nach Vancouver nicht mehr. Dann habe ich mir eine Liste gemacht und abgewogen. Dabei ergab sich das Gefühl, dass ich jetzt nicht aufhören kann. Dann habe ich klar gesagt, dass Sotschi das Ziel sein muss. Anschließend konnte ich die beiden Jahre gut und auch mit viel Freude trainieren.
Ganz ohne Probleme?
Es ging auf jeden Fall besser als die beiden Jahre nach Vancouver. Aber ich habe schon gemerkt, dass ich nicht mehr ganz so frisch bin und die Belastung schwerer vertrage. Andererseits habe ich mich in der Vorbereitung auf diese Saison noch nie so gut gefühlt.
In Vancouver wurden Sie als große Favoritin Zweite. Welche Rolle spielt das noch?
Jetzt bin ich im Reinen damit, das ist abgehakt. Mit der Vorbereitung auf diese Olympischen Spiele habe ich aber gemerkt, dass ein paar Sachen wieder hochkommen.
Was für Sachen?
Eher positive. Ich freue mich, dass ich in Vancouver eine Medaille gewonnen habe. Auch als Stadt sehe ich Vancouver jetzt in einem ganz anderen Licht im Vergleich zu Sotschi. Direkt nach den Spielen habe ich damals alles eher negativ betrachtet.
Wann hat sich das gedreht?
Eigentlich erst, als ich konkret gesagt habe, dass ich mich auf Sotschi vorbereite. Ab da habe ich mich nicht mehr so viel mit der Vergangenheit beschäftigt, sondern wieder ein Ziel für die Zukunft gehabt.
Wie wichtig sind Ziele für Sie?
Zwei Jahre lang hatte ich keines, da war es verdammt schwierig, mich auf den Sport einzustellen. Da kamen Zweifel in mir auf, denn das Trainingsprogramm ist knallhart, es tut unglaublich weh, dir ist danach schlecht, du bräuchtest eigentlich zwei Tage, um dich zu erholen. Was natürlich nicht geht. Das macht man nicht, nur um eine Gegnerin zu schlagen. Es braucht schon ein größeres Ziel, um sich da zu überwinden.
Sie haben sich oft überwunden. Für 2013 stehen nur fünf trainingsfreie Tage in der Bilanz. Brauchen Sie das Schuften?
Der Trainer sagt schon, dass ich Sonntag auch mal frei machen kann. Doch dann gehe ich schon gern joggen oder fahre Rad oder gehe mit meinem Mann ins Fitnessstudio. Sonst kann ich abends nicht schlafen, wenn ich mich den Tag über nicht bewegt habe. Vom Gefühl her würde mir das fehlen, denke ich.
Nun steht aber schon länger fest, dass Sie nach der Saison ihre Karriere beenden.
Da freue ich mich schon drauf, andererseits bin ich auch gespannt, ob ich mir etwas anderes suche, mit dem ich mich selbst unter Druck setze oder mir Ziele stecke, um einen Schritt weiter zu gehen. Ich weiß nicht, ob ich diesen Ehrgeiz überhaupt ablegen kann.
Denken Sie manchmal an die Zeit danach?
Das kommt schon vor, dass ich ein bisschen den Abschluss im Kopf suche, dass ich überlege, wie es angefangen hat, wie das erste Weltcuprennen war.
Was genau geht Ihnen durch den Kopf?
Eigentlich staune ich immer, wie weit ich gekommen bin. Es war ja doch recht zäh die ersten drei, vier Jahre. Manchmal bin ich überrascht, dass es doch so gut ausging.
Werden Sie etwas vermissen?
Ich habe diesen Schritt lange genug geplant, und es gibt viele Sachen, die mir garantiert nicht fehlen werden. Die negativen Seiten hören auch auf.
Sie haben endlich Zeit für andere Dinge.
Als Leistungssportler fühle ich mich nicht dermaßen eingeschränkt. Aber Reisen im Winter, über Weihnachten, oder einfach spontan die Sachen packen und wegfahren, das könnte ich dann machen. Ich muss auch nicht mehr so auf meine Ernährung achten. Das ist so nervig manchmal, dass du darauf gucken muss, ob du genug Eiweiß zu dir genommen hast, ob du genug trinkst. Ich kann dann mal hungern, ohne dass ich beim Training zusammenbreche. Den Tagesablauf wird das unheimlich erleichtern.
Als Sprinterin verfügen Sie über sehr viel Kraft. Befällt Sie manchmal die Angst, nach der Karriere schwächer zu werden?
Das ist auch so ein Ding. Bei Olympia hat man den Körper so weit gebracht, dass er so fit ist wie hoffentlich noch nie in seinem Leben. Dann lässt man ihn einfach verkümmern, sage ich mal, dann beginnt der Abbau und schreitet Jahr für Jahr voran, das finde ich schon ein wenig traurig. Ich denke aber, dass es genug andere Freizeitsportarten gibt, die man betreiben kann. Außerdem ist mein Mann auch sehr sportbegeistert. Ich werde also immer Sport machen.
Wissen Sie schon, was Sie nach dem Sport machen wollen?
Noch gar nicht. Ein bisschen habe ich darüber nachgedacht, aber ich habe gemerkt, dass mich das stört. Dann fehlt der Fokus auf das, was bis dahin kommt.
Worauf ist Ihr Fokus ausgerichtet, auf Platz zwei angesichts der überragenden Südkoreanerin Sang-Hwa Lee?
Realistisch gesehen ist es schwierig, Sang-Hwa zu schlagen. Es ist auch unwahrscheinlich, dass sie einen schlechten Tag hat. Aber das heißt nicht, dass es unmöglich ist. Die Option besteht, und ich bin nicht bereit zu sagen, ich kämpfe um Silber und Bronze. Mein Ziel ist, Sang-Hwa zu schlagen und nicht, mir die anderen vom Leib zu halten.
Sie haben Literatur studiert, demnächst haben Sie auch Zeit. Ist daher bald mit einer selbst geschriebenen Biografie zu rechnen?
Ich habe mir auch schon überlegt, ob ich mich jetzt ein Jahr hinsetze und Schriftstellerin bin. Wenn, dann würde ich ganz sicher keine Biografie schreiben, sondern etwas Sportbezogenes. Aber da gibt es keine konkreten Überlegungen. Erlebt habe ich auf jeden Fall viel und könnte auch viel erzählen. Es hängt sicher davon ab, wie ich in Sotschi abschneide. Wenn ich doch noch Gold holen würde, wäre das eine Topstory und man könnte das Buch dahingehend verkaufen, wie man sich mental als Siegerin einstellt.